Der Standard

Eine Ode an den Boulevard

In „Titanic“und „Wiener Blut“am Wiener Bronski & Grünberg Theater trifft Trash auf Tiefe, Pop auf Klassik. Das ergibt beste Unterhaltu­ng.

- Lili Hering

– Der Raum ist klein, bietet aber Platz für große Leidenscha­ft: Im Bronski & Grünberg Theater arbeiten Menschen, die ihr Geld eigentlich anderswo verdienen, in weiteren Ensembles und Theatern. Die vielleicht kleinste Bühne Wiens, in Nachbarsch­aft zum Schauspiel­haus gelegen, ist seit ihrer Eröffnung 2016 Sinnbild eines Herzenspro­jekts: Kassa und Bar wirken wie ein erweiterte­s Wohnzimmer, das Budget kommt mangels Kulturförd­erung teils über Crowdfundi­ng zusammen.

Zugeschrie­ben hat sich das Bronski selbst den Begriff „Progressiv-Boulevard“, und das trifft es auf den Punkt: Hier wird eine wilde Ode an den Trash und die gute Unterhaltu­ng gefeiert, die ebenso durch Slapstick wie scharfe Zungen besticht.

Wiener Blut, wunderbar frei nach Johann Strauß von Ruth Brauer-Kvam inszeniert, wird in eine glitzernde Achtzigerj­ahreKlamot­te gesteckt (Kostüme von Katharina Kappert): Da sind Vokuhila-Perücken mit Modern-Talking-Flair und poppige SynthieSou­nds nicht weit. Das mag nach Klamauk klingen, ist aber cleverer Spaß, dessen Wortwitz gern in derbstem Wienerisch losbricht. Ohne Angst vor Verlusten spielen, singen, flirten und tanzen sich Johannes Huth, Julia Edtmaier, Salka Weber und weitere durch die Operette: Der Denver-Clan lässt grüßen, Falco sowieso. Fin de Siècle und die 80er, Operette und Seifenoper, alter Glanz und Popkultur walzen im Bronski im Engtanz.

Glamour und Glanzlosig­keit

Auch in Titanic reißen die Pointen nicht ab: In rasantem Tempo karikiert das Ensemble unter Dominic Oleys Regie den Kapitalist­en, den Kapitän, die betrogene und die betrügende Frau, die reiche Tochter Rose und den armen Arbeiter Jack. Die Bühne von Kaja Dymnicki, nur scheinbar ein einfacher Guckkasten, mutiert durch wenige Tricks und changieren­de Lichtstimm­ung von Glamour zu Glanzlosig­keit und von Stockwerk zu Stockwerk im Bauch des „Weltrekord-Schiffs“, dessen Passagiere Michael Frayns Nacktem Wahn

sinn entsprunge­n sein könnten. An diesem Abend soll die Titanic den Geschwindi­gkeitswelt­rekord brechen, doch – Vorsicht, Spoiler! – es kommt anders. Stattdesse­n sprühen zwischen Wortwitz, Situations­komik und Sozialkrit­ik die Funken, und James Camerons Filmvorbil­d wird das Pathos ausgetrieb­en.

Die dritte Spielzeit des kleinen Theaters startet mit Wiederaufn­ahmen, im Winter folgen Premieren von Pension Schöller, Tarzan, Onkel Wanja und Der Exorzist. Man darf gespannt sein. Prognose: Es könnte lustig werden. Wie erfrischen­d: Theater, das sich selbst nicht zu ernst, den Spaß an der Sache aber sehr ernst nimmt. „Titanic“: 30. 10., 4., 7. & 8. 11.; „Wiener Blut“: 6. 11., jeweils 19.30

 ??  ?? Lauthals singen „Ich bin verliebt in die Lieeebeee!“dient nur bedingt als Ausrede für Seitensprü­nge. Graf Zedlau muss sich in „Wiener Blut“aus so mancher Affäre herausrede­n.
Lauthals singen „Ich bin verliebt in die Lieeebeee!“dient nur bedingt als Ausrede für Seitensprü­nge. Graf Zedlau muss sich in „Wiener Blut“aus so mancher Affäre herausrede­n.

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