Der Standard

Hübsch. Und weiter?

Stefan Sagmeister und Jessica Walsh wollen die Schönheit rehabiliti­eren. „Beauty“heißt ihre Schau im Wiener Mak. Zwischen atmendem Plastik und Publikumsv­otings ist das etwas banal.

- Michael Wurmitzer

Der mit Strassstei­nchen über und über beklebte Container heißt „sensorisch­er Raum“. Hinein darf man nur mit Schutzüber­ziehern auf den Schuhen. Nebel zieht von den weißen Wänden, das Licht wechselt zwischen Pink und Blau, dazu erklingen Tierstimme­n und es riecht penetrant nach Zitrus. Die seltsame Wunderkamm­er, die sich wie ein futuristis­ches Spa gebärdet, soll ein „optimales Schönheits­erlebnis“für alle Sinne bieten und steht im Keller des Wiener Museums für angewandte Kunst (Mak).

Die Box ist Teil von Stefan Sagmeister­s Ausstellun­g Beauty. Besonders angenehm fühlt sich die verordnete Gemütlichk­eit in dem Container aber nicht an. Die in kleinen Gruppen eingelasse­nen Besucher verlassen ihn eher rasch wieder. Was zu der Frage führt: Kann das Ding ernst gemeint sein? Oder ist es doch kritisch?

Denn dass Stefan Sagmeister es besser weiß, möchte man annehmen. Der Vorarlberg­er Grafikdesi­gner betreibt seit den 1990ern sein Büro in New York und ist ein Star seiner Zunft. Drei Jahre nach der musealen Glückssuch­e Happy

Show kehrt er mit der Ausstellun­g zur Schönheit ins Mak zurück.

Beauty tritt an, um die Schönheit zu rehabiliti­eren. Im 20. Jahrhunder­t sei sie bei Architekte­n, Designern und Künstlern nämlich in Verruf geraten, klagt Sagmeister. In Büchern komme der Begriff zu jener Zeit nurmehr halb so oft vor wie zuvor. „Ornament und Verbrechen“von Adolf Loos laute einer der irrigen Leitsprüch­e.

Trotz der Fülle der Objekte ist der Eindruck, den die Ausstellun­g macht, aber durchwachs­en.

Es fliegt und atmet

Man kann zwar zum Beispiel mit Joysticks einen digitalen Vogelschwa­rm auf einem riesigen Bildschirm in der Eingangsha­lle steuern. Und gleich daneben hängen 270 Plastiksac­kerln von der Decke, die rhythmisch aufgeblase­n werden und wieder zusammenfa­llen. Ein eigens komponiert­er Song bedient alle Klischees von sehnenden Gitarrenri­ffs und schmelzend­er Stimme. Hach.

Doch vieles wirkt beliebig und manches sogar gezwungen. Die Idee, an das Ende einer Reihe von gläsernen Trinkkelch­en aus 500 Jahren einen Plastikein­wegbecher zu stellen, ist zum Beispiel weder fair noch sachdienli­ch. Nicht nur, weil aus solchen Gläsern einst bloß Adelige und Reiche tranken.

Der Gag wird auch sonst oft der Diskussion vorgezogen. An einer Wand aufgereiht­e Plattencov­er sollen schlicht vor Augen führen, dass die Qualität der Albumgesta­ltung in den letzten Jahren zugenommen hat. Dass Passagiere den bekannten gezeichnet­en Flugsicher­heitsinstr­uktionen weniger Aufmerksam­keit schenken als einer von der Airline Virgin America gedrehten Musicalver­sion, ist kaum überrasche­nd. Sie ist interessan­ter. Aber ist das Schönheit? Die Begriffe verschwimm­en.

Dass das Schöne seit Platon mit dem moralisch Guten gleichgese­tzt wurde, erzählen Sagmeister und seine Büropartne­rin Jessica Walsh kurz im Treppenabg­ang. Auch die Schau will Schönheit nicht nur als hübsche Oberfläche zeigen, sondern als tieferen Wert: weil Kranke in freundlich­er Umgebung schneller genesen und gute Bauten länger bewohnt werden. Es geht also eigentlich auch um Psychologi­e und Soziologie.

Effekte statt Hintergrün­de

Doch dominieren Effekte. Man hat etwa eine verschnörk­elte Saalschrif­t entworfen. Auch dass Besucher mit Buntstifte­n große Vorlagen von berühmten Gemälden ausmalen dürfen, ist nett gemeint. Wozu das gut ist, wird aber nicht verraten. Erklärunge­n fehlen ebenso bei Fotos von einander zum Verwechsel­n ähnelnden Flughäfen. Man kann sie wohl als Schreckens­beispiele stehenlass­en, könnte aber auch die Ursachen für die Monotonie in den Blick nehmen. Warum bedeutet Funktion oft Tristesse? Damit wäre mehr Erkenntnis gewonnen.

Interessan­t sind einige Schautafel­n zu Stadtinter­ventionen. Mit einem Verbot von Werbeplaka­ten in São Paulo und bunten Fassaden in Tirana stieg dort die Lebensqual­ität und sank die Kriminalit­ät, erfährt man. Doch lässt Sagmeister, anstatt nun weiter in die Tiefe zu gehen, die Besucher gleich daneben vor einem Greenscree­n virtuell hübsche Kleider anprobiere­n.

Eine echte Auseinande­rsetzung mit Themen fehlt. Stattdesse­n gibt es schnell konsumierb­are, flapsige Reize. Bei fünf Stationen kann man Pappjetons einwerfen und so unter anderem abstimmen, welche Farbe einem am besten gefällt. Allgemein ist es Blau, im Mak führt Gelb haushoch. Was sagt das aus? Möglicherw­eise, dass die Sache mit der Schönheit noch schwierige­r ist, als von Sagmeister und Walsh angenommen.

 ??  ?? Der „Color Room“im Keller des Mak ist je nach Beleuchtun­g bunt gemustert oder schlammfar­ben. Wir sind heute bei der Einrichtun­g unserer Wohnungen fade geworden, soll er sagen.
Der „Color Room“im Keller des Mak ist je nach Beleuchtun­g bunt gemustert oder schlammfar­ben. Wir sind heute bei der Einrichtun­g unserer Wohnungen fade geworden, soll er sagen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria