Der Standard

„Du redest viel!“

- Ljubiša Tošić

Mochte die Politlage auch ungemütlic­h sein – TV-Diskussion­en beim nördlichen Nachbarn zeichneten sich bis dato durch respektvol­le Rede und Gegenrede aus. Der Tonfall war – bei aller Allergie den Kontrahent­en gegenüber – letztlich gemäßigt wie nach dem Lehrbuch von Freiherr Knigge. Bei Anne Will nach der Hessen-Wahl, die als mögliche Abrissbirn­e der Berliner nicht mehr sehr großen Koalition betrachtet wird, jedoch ein Bild der Gereizthei­t.

„Darf ich einmal ausreden!“, schnauzt Robert Habeck (der Grüne) den FDPler Christian Lindner an, der die Umweltpart­ei als „Klimanatio­nalisten“bezeichnet und Habeck nun mit „Du redest viel!“weiter triezt.

Moderatori­n Anne Will lässt solche Duelle laufen, sie sind Dokumente. Nur als die Hessen-Debatte zu einem Grüne/FDP-Streit über den Ausstieg aus der Braunkohle wird, greift sie ein. Sie hat auch andere ungewohnte Fronten zu beackern, die sie allerdings selbst eröffnet. Will wirft Olaf Scholz vor, immer die gleichen Antworten zu geben, worauf der SPDler aus seiner Gelassenhe­it herausplat­zt. Er würde nicht des Unterhaltu­ngswerts wegen anderes von sich geben!

Scholz’ Dünnhäutig­keit aber ist neu. Und ungewohnt ist der kalte Blick, mit dem Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) die Worte anderer verfolgt. Eher herzlich kam die Generalsek­retärin früher rüber, die am Sonntag nur lächelt, als jemand vorschlägt, CSU-Mann Horst Seehofer heimzuschi­cken.

Verkehrte Welt zwischendu­rch. Die Opposition, die untereinan­der stritt, machte sich Sorgen um die Regierung. Nervös waren die Leute. Der Eindruck: Bald dürften sich die Dinge überschlag­en. Und wie der Merkel-Montag zeigte, war der Eindruck nicht ganz falsch. p derStandar­d.at/TV-Tagebuch

Newspapers in German

Newspapers from Austria