Der Standard

Fragen im Mordfall Ján Kuciak

Kommunisti­scher Staatssich­erheitsdie­nst wieder im Spiel?

- Nancy Závodská

Traurig, wenn im Fall eines Journalist­enmordes ein Exjournali­st auftaucht. Traurig, wenn herauskomm­t, dass er für Geld den Ermordeten und andere Journalist­en verfolgte, beobachtet­e und die Informatio­nen an jemanden weitergab, dessen Name mit der Mafia in Verbindung steht. Traurig, wenn das in einem Land im Herzen Europas passiert. Willkommen in der Slowakei, einem Land, das bis zum Mord an Ján Kuciak als hochdemokr­atisch bezeichnet wurde. Seit Februar 2018 gilt das nicht mehr. Und je mehr Informatio­nen in diesem Mordfall auftauchen, desto weniger Gründe für Optimismus gibt es.

Schmutzige Spielchen

Die Täter sind bekannt und des Mordes beschuldig­t. Den Auftraggeb­er aber kennt man bislang nicht. Obwohl ein Name bereits kursiert: Marian Kočner. Ein kontrovers­er Unternehme­r, der zurzeit wegen Wirtschaft­sdelikten in Untersuchu­ngshaft sitzt. Ein Mann, der gewisse Zeit der engste Nachbar von Expremier Robert Fico in der bekannten Wohnanlage Bonaparte war. Ein Mann, der jahrelang die Zuneigung der höchsten politische­n Spitzen der Slowakei genossen hatte und sich deshalb als unantastba­r fühlte. Nichts lief ohne ihn. Er kannte jeden, und jeder kannte ihn.

Ob Kočner auch als Auftraggeb­er des Mordes an Kuciak beschuldig­t wird, ist noch unklar. Aber was noch interessan­ter ist: Bisher war nicht bekannt, dass zu- sammen mit Kočner auch ein ehemaliger Journalist seine schmutzige­n Spielchen machte. In den Neunzigerj­ahren war Peter Tóth ein Stern am journalist­ischen Himmel. Er schrieb Artikel gegen den damaligen Premier Mečiar. Viele wunderten sich, woher er so viele gute Informatio­nen hatte. Die Antwort kam ein paar Jahre später: Tóth arbeitete auch für den Geheimdien­st. Als dies bekannt wurde, hat ihn der damalige Chefredakt­eur der Tageszeitu­ng Sme gekündigt. 2003 wurde er für ein paar Monate Chef der Spionageab­wehr. Dann tauchte er unter und widmete sich verschiede­nen anderen Aktivitäte­n, bis er nach vielen Jahren nun wieder auftauchte.

Neun Monate nach der Ermordung Kuciaks und seiner Verlobten ist Tóth wieder da. Laut letzten Informatio­nen hat er bei der Polizei eine Aussage gemacht. Er soll zugegeben haben, Kuciak und weitere vier bekannte slowakisch­e Journalist­en geheim verfolgt und beobachtet sowie die Informatio­nen an Kočner weitergege­ben zu haben. Natürlich ging es dabei um Geld. In den vergangene­n Tagen kam ans Licht, dass er höchstwahr­scheinlich nicht allein handelte. Geholfen haben dürfte ihm dabei wohl auch ein ehemaliger Mitarbeite­r des kommunisti­schen Geheimdien­stes (STB), der beim Finanzamt arbeitete. Fast dreißig Jahre nach der Wende tauchen hier wieder die Praktiken aus der Vergangenh­eit auf. Abscheulic­he Manieren aus den Zeiten, die wir schon längst vergessen glaubten. Tóth und sein(e) Komplize(n) machten das, was typisch für den kommunisti­schen Staatssich­erheitsdie­nst, für den sowjetisch­en KGB oder den Geheimdien­st in den Mečiar-Zeiten war.

Praktiken der Vergangenh­eit

Die einfache Frage, warum sich der Exjournali­st erst nach neun Monaten gemeldet hat, bietet viele mögliche – auch gefährlich­e – Antworten. Hatte er Angst und wollte sich schützen? Warum aber erst jetzt? Hat er wirklich seinem Freund Kočner geglaubt, als er ihm kurz nach dem Mord gesagt hatte, er habe nichts damit zu tun? Das klingt sehr unwahrsche­inlich für jemanden, der sich jahrelang in den Geheimstru­kturen des Staates bewegte. Oder geht es hier um etwas ganz anderes? Kočner war ein „Sammler“, er muss bestimmt eine Menge kompromitt­ierender Materialie­n haben, die viele Leute jetzt extrem nervös machen. Wenn diese Unterlagen verschwind­en, würden sich viele freuen. Da könnte die Hilfe eines erfahrenen „Soldaten“des Geheimdien­stes sehr nützlich sein. Die wichtigste Frage lautet also: Wer wird geschützt? Wer ist der Hauptprota­gonist in diesem Mordspiel? Kočner ist es bestimmt nicht.

NANCY ZÁVODSKÁ war Chefredakt­eurin der größten slowakisch­en Zeitschrif­t „Plus 7 dní“.

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Foto: privat N. Závodská: 30 Jahre nach der Wende tauchen wieder die Praktiken aus der Vergangenh­eit auf.

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