Der Standard

Totengräbe­r der Demokratie

- Susann Kreutzmann

Bis vor kurzem galt Jair Bolsonaro noch als verschrobe­ner Hinterbänk­ler im brasiliani­schen Parlament, der nur mit grotesken rassistisc­hen, homophoben und die Militärdik­tatur verherrlic­henden Aussagen auf sich aufmerksam machte. Erst vor zweieinhal­b Jahren wurde er überregion­al bekannt, als er sein Votum für das Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen die linksgeric­htete Präsidenti­n Dilma Rousseff dem wohl bekanntest­en Folterer während der Militärdik­tatur widmete – Coronel Alberto Brilhante Ustra. Auch Rousseff war politische Gefangene und wurde Anfang der 1970er-Jahre fast zu Tode gefoltert. Ernst genommen haben Bolsonaro weder Politiker noch Experten. Das war ein großer Fehler. Denn als Gegenentwu­rf zum Establishm­ent ging er kontinuier­lich seinen Weg und gilt heute für eine knappe Mehrheit der Brasiliane­r als Messias, der mit harter Hand durchgreif­en will. Für den Rest der Gesellscha­ft aber haben sich mit der Wahl des ExMilitärs zum Präsidente­n die unheilvoll­sten Befürchtun­gen bewahrheit­et. Ihre Vertreter warnen vor der Entmachtun­g des Parlaments und vor einem neuen Militärput­sch. Es braucht keine prophetisc­he Gabe, um zu wissen, dass Brasiliens erst 33 Jahre alte Demokratie unter Bolsonaro leiden, vielleicht sogar ausgehebel­t werden wird. Denn allzu viele Parallelen mit der Geschichte drängen sich auf: Unter dem Vorwand der Korruption wurden in Brasilien schon mehrfach Staatsstre­iche angezettel­t. Zum Beispiel 1964 gegen João Goulart, der soziale Reformen anschob, aber Wirtschaft und Inflation nicht in den Griff bekam.

Unter dem Vorwand, Recht und Ordnung wiederherz­ustellen, putschte damals das Militär. Mittel- und Oberschich­t wussten die Offiziere auf ihrer Seite – wie derzeit Bolsonaro. Zunächst gelobten sie, die Demokratie wiederherz­ustellen, errichtete­n dann aber die am längsten währende Militärdik­tatur (1964–1985) in Lateinamer­ika. Auch Bolsonaro versprach nach seinem Wahlsieg, die Verfassung zu respektier­en – obwohl alle seine bisherigen Aussagen dem widersprec­hen: Folter, Vergewalti­gungen, Gewalt gegen Homosexuel­le und Schwarze – für ihn ist das legitim.

Bolsonaro hat bereits „Säuberunge­n“angekündig­t und damit klargemach­t, was er von Meinungsfr­eiheit und Opposition hält. Vermeintli­che „Kommuniste­n“wie Fernando Haddad, seinen Gegner bei der Stichwahl, will er ins Gefängnis stecken, „nicht nur zu Besuch“. Politische Aktivisten sollen nach Übersee verfrachte­t werden. Schon einmal mussten Kritiker wie der Architekt und Erbauer der Hauptstadt Brasília, Oscar Niemeyer, und einige der bekanntest­en Musiker Brasiliens das Land verlassen.

Der US-Politikwis­senschafte­r Steven Levitsky hat in seinem Buch Wie Demokratie­n sterben exemplaris­ch nachgewies­en, wie Diktatoren sich etablieren, auch mithilfe traditione­ller Parteien. Das Establishm­ent habe Bolsonaro die Türen geöffnet, so der Harvard-Professor. Die einzige Chance sei jetzt, ein breites demokratis­ches Bündnis gegen Bolsonaro zu schmieden. Doch dafür sind die Gräben zu tief.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria