Totengräber der Demokratie
Bis vor kurzem galt Jair Bolsonaro noch als verschrobener Hinterbänkler im brasilianischen Parlament, der nur mit grotesken rassistischen, homophoben und die Militärdiktatur verherrlichenden Aussagen auf sich aufmerksam machte. Erst vor zweieinhalb Jahren wurde er überregional bekannt, als er sein Votum für das Amtsenthebungsverfahren gegen die linksgerichtete Präsidentin Dilma Rousseff dem wohl bekanntesten Folterer während der Militärdiktatur widmete – Coronel Alberto Brilhante Ustra. Auch Rousseff war politische Gefangene und wurde Anfang der 1970er-Jahre fast zu Tode gefoltert. Ernst genommen haben Bolsonaro weder Politiker noch Experten. Das war ein großer Fehler. Denn als Gegenentwurf zum Establishment ging er kontinuierlich seinen Weg und gilt heute für eine knappe Mehrheit der Brasilianer als Messias, der mit harter Hand durchgreifen will. Für den Rest der Gesellschaft aber haben sich mit der Wahl des ExMilitärs zum Präsidenten die unheilvollsten Befürchtungen bewahrheitet. Ihre Vertreter warnen vor der Entmachtung des Parlaments und vor einem neuen Militärputsch. Es braucht keine prophetische Gabe, um zu wissen, dass Brasiliens erst 33 Jahre alte Demokratie unter Bolsonaro leiden, vielleicht sogar ausgehebelt werden wird. Denn allzu viele Parallelen mit der Geschichte drängen sich auf: Unter dem Vorwand der Korruption wurden in Brasilien schon mehrfach Staatsstreiche angezettelt. Zum Beispiel 1964 gegen João Goulart, der soziale Reformen anschob, aber Wirtschaft und Inflation nicht in den Griff bekam.
Unter dem Vorwand, Recht und Ordnung wiederherzustellen, putschte damals das Militär. Mittel- und Oberschicht wussten die Offiziere auf ihrer Seite – wie derzeit Bolsonaro. Zunächst gelobten sie, die Demokratie wiederherzustellen, errichteten dann aber die am längsten währende Militärdiktatur (1964–1985) in Lateinamerika. Auch Bolsonaro versprach nach seinem Wahlsieg, die Verfassung zu respektieren – obwohl alle seine bisherigen Aussagen dem widersprechen: Folter, Vergewaltigungen, Gewalt gegen Homosexuelle und Schwarze – für ihn ist das legitim.
Bolsonaro hat bereits „Säuberungen“angekündigt und damit klargemacht, was er von Meinungsfreiheit und Opposition hält. Vermeintliche „Kommunisten“wie Fernando Haddad, seinen Gegner bei der Stichwahl, will er ins Gefängnis stecken, „nicht nur zu Besuch“. Politische Aktivisten sollen nach Übersee verfrachtet werden. Schon einmal mussten Kritiker wie der Architekt und Erbauer der Hauptstadt Brasília, Oscar Niemeyer, und einige der bekanntesten Musiker Brasiliens das Land verlassen.
Der US-Politikwissenschafter Steven Levitsky hat in seinem Buch Wie Demokratien sterben exemplarisch nachgewiesen, wie Diktatoren sich etablieren, auch mithilfe traditioneller Parteien. Das Establishment habe Bolsonaro die Türen geöffnet, so der Harvard-Professor. Die einzige Chance sei jetzt, ein breites demokratisches Bündnis gegen Bolsonaro zu schmieden. Doch dafür sind die Gräben zu tief.