Seehofer unter Druck
Wenn Angela Merkel als Parteichefin geht, muss es auch Horst Seehofer tun, heißt es nun in der CDU. Dort herrscht allerdings auch Sorge vor einer Spaltung durch die vielen Nachfolgekandidaten.
Wenn Angela Merkel als Parteichefin geht, muss es auch Horst Seehofer tun, heißt es nun in der CDU.
Am Tag nach dem Tag, der für die CDU eine Zäsur brachte, macht Angela Merkel Business as usual. Sie eröffnet in Berlin eine Afrika-Konferenz, an der auch Bundeskanzler Sebastian Kurz teilnimmt, und kann sich dort über warme Worte freuen. „Ich möchte Ihnen und dem deutschen Volk gratulieren für das, was Sie in der ganzen Welt gemacht haben“, sagt der ägyptische Präsident Abdelfattah al-Sisi zu Gastgeberin Merkel.
Noch ist Merkel da und im Amt. Doch in der CDU gibt es nach ihrer Ankündigung, auf dem CDU-Parteitag von 6. bis 8. Dezember in Hamburg nicht mehr als Vorsitzende zu kandidieren, nur noch ein Thema: Wer macht das Rennen? Wer wird ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin?
Am Dienstag kündigte auch der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz seine Kandidatur offiziell an – nach „reiflicher Überlegung“, wie er mitteilte. Die Union brauche einen „Aufbruch und Erneuerung mit erfahrenen und mit jüngeren Führungspersönlichkeiten“, erklärt der 63jährige Jurist, der als langjähriger innerparteilicher Rivale von Merkel gilt. Er sei bereit, dafür Verantwortung zu übernehmen und „gleichzeitig alles zu tun, um den inneren Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit der CDU Deutschlands zu stärken“.
AKK führt bei Wettanbieter
Somit haben sechs Personen ihren Hut in den Ring geworfen: Merz, Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Gesundheitsminister Jens Spahn, der Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen, der hessische Unternehmer Andreas Ritzenhoff und das Berliner CDU-Mitglied Jan-Philipp Knoop. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet überlegt noch.
Entscheidet er sich auch zur Kandidatur, dann stünde es zwei zu zwei bei den vier aussichtsreichsten Kandidaten: Laschet und Kramp-Karrenbauer zählen zum liberalen Flügel der CDU, Merz und Spahn hingegen zum konservativen.
Der weltgrößte Wettanbieter Ladbrokes (aus Großbritannien) bietet schon Wetten auf die Nachfolge Merkels als Bundeskanzlerin an. Mit einer Quote von 2:1 führt Kramp-Karrenbauer, dahinter kommen Merz (5:1) und Spahn (10:1).
Völlig neu ist für die CDU, dass es bei der Wahl am Parteitag so viele Kandidaten gibt. Bisher war ein Kandidat – seit Merkel eben eine Kandidatin – üblich, Kampfabstim- mungen kamen nicht vor. „Ich finde es klasse, dass wir mehrere Kandidaten haben“, sagt der neue Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Aber angesichts der Bewerber aus den verschiedenen Lagern mahnt er auch: „Der oder die Neue muss ein Brückenbauer sein.“
Mike Mohring, Chef der Thüringer CDU, macht sich ebenfalls Gedanken über die nahende Kampfabstimmung und mögliche Folgen. „Es wäre gut, wenn nicht einer als Verlierer übrig bleibt“meint er.
Ein Beispiel nehmen
Merkels Rückzugsankündigung wirft nun auch wieder das Schlaglicht auf CSU-Chef Horst Seehofer. Der hatte nach den schweren Verlusten der CSU bei der Bayern-Wahl am 14. Oktober zunächst personelle Konsequenzen für sich ausgeschlossen und auf die Zeit nach der Koalitionsbildung verwiesen. Erst wenn die Gespräche zwischen CSU und Freien Wählern zur Bildung einer neuen Regierung beendet sind, will er die Wahlschlappe aufarbeiten.
Doch nun wird der Ruf laut, er möge sich an Merkel ein Beispiel nehmen. Sie hatte ja auch das fette Minus der CDU bei der Hessen-Wahl am Sonntag zum Anlass genommen, um ihren Abschied als Parteivorsitzende anzukündigen.
„Angela Merkel hat es geschafft, einen selbstbestimmten Abgang als Parteivorsitzende zu gehen, das wünsche ich auch dem Kollegen Horst Seehofer“, sagt Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Und der hessische CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Brand, macht vor allem Seehofer für das Wahldesaster der CDU/ CSU in Hessen und Bayern verantwortlich. „Wer sein Ego über die Verantwortung stellt und mehr nach pathologischen als nach politischen Maßstäben agiert, darf sich nicht wundern, wenn Leute sich mit Wut und Entsetzen abwenden.“
Auch die SPD-Spitze schreibt in einem Papier, Seehofer sei eine große Belastung für die Koalition. Bis auf weiteres will sie aber in der Regierung bleiben. Diese werde ohnehin nicht mehr lange halten, mutmaßt der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Zeit. Seine Einschätzung: Spätestens nach der Europawahl im Mai werde Merkel auch das Kanzleramt aufgeben und dadurch den Weg zu einer Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen freimachen. Neuwahlen hält er hingegen für unwahrscheinlich.
Wenn ein Regierungschef von Deutschland seinen Rückzug ankündigt, löst das bei den EU-Partnern naturgemäß größere Verunsicherung aus. Das ist bei Angela Merkel nicht anders als 2005 bei Gerhard Schröder, 1998 bei Helmut Kohl; oder 1974, als Willy Brandt Helmut Schmidt Platz machte. Auch wenn (nur) fünf Kanzler in fünf Jahrzehnten von enormer Stabilität zeugen: Immer fragte man sich, ob auf Deutschland weiter Verlass sei.
Jede Veränderung wurde mit Argwohn beäugt. Zu Recht. Denn ob es in Malta, Ungarn, Belgien oder in Polen rundgeht, ist für den Fortgang der EU selten spielentscheidend. Deutschland aber ist das wirtschaftlich stärkste, politisch neben Frankreich einflussreichste Mitglied der Union.
Eine echte Krise in Berlin, die Fortsetzung der Lähmung in der Europapolitik seit Herbst 2017, das wäre schon im Normalfall schwierig. Im Moment ist auch im gemeinsamen Europa nur wenig normal: Großbritannien wird in fünf Monaten aus der EU austreten. Die Brexit-Verhandlungen sind in der kritischen Endphase. Der Streit über die EU-Migrationspolitik geht munter weiter. In Italien scheint die Regierung ausprobieren zu wollen, ob man den Euro destabilisieren, „knacken“könnte. Insofern kommt der von Merkel angekündigte Rückzug zu einem ganz ungünstigen Moment. Erschwerend: Merkel will nur auf Raten gehen, wäre also innenpolitisch geschwächt. Ein klarer Schnitt, eine rasche Regierungsumbildung, wäre für die EU wohl besser.