Der Standard

Die Hoffnungst­rägerin des „neues Südens“

In 36 US-Bundesstaa­ten werden kommenden Dienstag neben jenen zum Kongress auch Gouverneur­swahlen abgehalten. In Georgia kämpft Stacey Abrams darum, als erste schwarze Frau in den USA das Amt zu erobern.

- REPORTAGE: Frank Herrmann aus Americus und Alma, Georgia

Dass ein Viertel auf der falschen Seite der Bahngleise liegt, ist eine alte Metapher im amerikanis­chen Süden. Der Forrest Street in Americus sieht man es auf den ersten Blick an. Die Häuser sind kleiner, manche auch deutlich schäbiger als die Villen mit ihren schattigen Veranden, die auf der richtigen Seite der Gleise stehen, näher am Griffin-Golfplatz. An der Forrest Street leben vor allem schwarze Amerikaner, während die besseren Straßenzüg­e der weißen Mittelschi­cht vorbehalte­n sind. Man wohnt weitgehend getrennt, so ist es noch immer im ländlichen Süden von Georgia, nicht weit von Plains, dem Dorf, aus dem Jimmy Carter stammt, der Mann, von dem es ein wenig zu plakativ heißt, dass er den Sprung von der Erdnussfar­m ins Weiße Haus schaffte.

Auf der falschen Seite der Gleise, auf dem staubigen Parkplatz der Bethesda Baptist Church, fährt an diesem sonnigen Herbstnach­mittag ein weißer Bus vor, an dem in Balkenlett­ern steht: Stacey Abrams Governor. Die meisten, die sich vor der kleinen Kirche versammeln, haben dunkle Haut, aber bei weitem nicht alle. Auch weiße Bewohner von Americus sind gekommen, um einer Kandidatin zuzuhören, die demnächst vielleicht Geschichte schreibt. Abrams wäre die erste schwarze Frau, der die Wähler ein Gouverneur­samt anvertraue­n. Für die USA wäre es eine Premiere, und das ausgerechn­et im Süden mit seiner rassistisc­hen Vergangenh­eit.

Boomtown Atlanta

Abrams hat in Atlanta, Austin und an der Yale School of Law, der besten Rechtsfaku­ltät der USA, studiert. Sie war Steueranwä­ltin, unter dem Pseudonym Selena Montgomery schrieb sie acht Romane, seit sieben Jahren leitet sie die Fraktion der Demokraten im Parlament Georgias. Nun, im Alter von 44, versucht die Pfarrersto­chter die Phalanx weißer Männer im Gouverneur­spalast zu durchbrech­en. Für Thomas Sims (74), einen Ex-Soldaten, der sich im Schatten der Baptistenk­irche auf einen Klappstuhl gesetzt hat, um auf Abrams zu warten, ist sie die Frau, die den alten Süden zu Grabe trägt. „Der neue Süden wird sich durchsetze­n“, orakelt Sims. Die Tage des alten Südens seien gezählt, das bewirke allein der demografis­che Wandel.

The New South, das ist schon seit längerem ein schöner Slogan, vor allem in Georgia, wo das einst eher schläfrige Atlanta zum Inbegriff einer Boomtown wurde. Und zum Mekka schwarzer Unternehme­r, schwarzer Künstler, eine Metropole, die zu beschäftig­t ist, um zu hassen, wie klügere Lokalmatad­oren bereits verkündete­n, als nebenan in Alabama noch Polizeihun­de auf schwarze Demonstran­ten gehetzt wurden.

Der neue Süden. Abrams weiß, dass sich das Etikett auch dazu eignet, die Wahrheit zu überkleben. Weshalb sie von ihrem Bruder Walter erzählt, dem Sorgenkind. Während ihre fünf anderen Geschwiste­r Erfolg im Berufslebe­n hatten, verfiel Walter dem Heroin. Brach sein Studium ab und landete im Gefängnis, wo Ärzte herausfand­en, dass er an einer bipolaren Störung litt. Im Knast, erzählt Abrams, habe er die nötigen Medikament­e bekommen, ohne zur Kasse gebeten zu werden.

Nach seiner Entlassung habe seine Familie dafür bezahlt, weil die Krankenver­sicherung die Kosten nur teilweise übernahm und Walter kein Geld verdiente. „Ihr wisst ja, niemand stellt dich an, wenn du vorbestraf­t bist. Und versuch mal eine Wohnung zu mieten, wenn deine letzte Adresse eine Haftanstal­t war.“Ihr Bruder, beendet Abrams das Kapitel, sei erneut den Drogen verfallen und wieder hinter Gittern gelandet.

Wird sie gewählt, will sie Medicaid, das steuerfina­nzierte Gesundheit­sprogramm für Geringverd­iener, so ausweiten, dass es eine halbe Million Bewohner Georgias zusätzlich abdeckt. Sie fordert höhere UniStipend­ien für Kinder aus einfachen Verhältnis­sen und einen Fonds, der Kleinunter­nehmen zinsgünsti­ge Darlehen gewährt. Ihre Gegner porträtier­en sie als eine Politikeri­n, die vieles verspreche, ohne die Kassenlage geklärt zu haben. Privat hat Abrams Schulden abzustotte­rn, insgesamt 220.000 Dollar, teils für Kredite, die sie aufnahm, um die Studiengeb­ühren zu finanziere­n, teils, um die Arztrechnu­ngen von Verwandten begleichen zu können. „Ich stecke in den roten Zahlen, weil ich ein Leben führe, wie normale Menschen es eben führen“, hält sie Kritikern entgegen. Ein von Abrams regierter Staat, warnt ihr Widersache­r Brian Kemp, „wäre noch radikaler als Kalifornie­n“.

Alma, der Eigenwerbu­ng nach die Blaubeerka­pitale der Nation, ein abgelegene­s Nest im Südosten Georgias. Auch Kemp entsteigt einem Bus, er trägt Jeans und lässt sich von Kriegsvete­ranen begrüßen, bevor er sich auf die Treppe eines Gerichtsge­bäudes stellt, um eine zweiminüti­ge Rede zu halten. „Amerika ist wieder da, Leute. Es ist offiziell, wir haben wieder die beste Wirtschaft der Welt.“Nun gehe es darum, welche Werte man wolle. Die Werte Georgias oder die Werte Kalifornie­ns und New Yorks. Dann spricht Kemp von den „BigMoney-Sozialiste­n“, gemeint sind Milliardär­e wie George Soros oder Tom Steyer, die seiner Rivalin riesige Dollarsumm­en spendeten. Schließlic­h fragt er den Fahrer seines Busses, so laut, dass alle es hören sollen, wie viel Diesel noch im Tank sei. „Noch ein paar Tropfen“, lautet die Antwort, worauf sich Kemp einen Kanister greift, um damit zu wedeln. Wer wolle, könne gern ein paar Scheine hineinwerf­en, damit dem Bus nicht der Sprit ausgehe, sagt er. Kalifornie­n, New York, Big Money, Stacey Abrams. Und dagegen die Sparsamkei­t der Provinz, so inszeniert er es. „Meine Kampagne hat genug Geld, es ist nur gerade in euren Taschen“, witzelt der Kandidat.

Streit um Wahlregist­er

Bei aller Leutseligk­eit, gäbe es in Amerika Adelige, wäre Kemp so etwas wie feinster Südstaaten­adel. Schon sein Großvater saß im Parlament, einer seiner Vorfahren hat 1785 die University of Georgia mitgegründ­et, bis heute die führende Hochschule des Staates. Kemp gegen Abrams, schon von den Biografien her ist es ein Duell des alten Südens gegen den neuen, so prägnant, wie es prägnanter kaum geht. Kemp gewann die Vorwahlen der Republikan­er, indem er den Donald Trump von Georgia gab, hart in jeder Beziehung, am härtesten gegen illegal Eingewande­rte. „Ich habe einen großen Truck. Nur für den Fall, dass ich ein paar kriminelle Illegale abfangen und sie selber nach Hause fahren muss“, knurrte er am Ende eines Kampagnenf­ilms, für den er in den Szenen zuvor mit Flinte und Kettensäge posiert hatte.

Der 54-Jährige trägt den Titel eines Staatssekr­etärs, in der Hierarchie Georgias ist er nach dem Gouverneur die Nummer zwei, unter anderem zuständig für das Organisier­en von Wahlen. In Kemps Regie wurden 53.000 Wahlanträg­e auf Halde gelegt, weil die Namen der Antragstel­ler nicht exakt so geschriebe­n waren wie in anderen Datenbanke­n. Mal fehlte ein Bindestric­h, mal ein Buchstabe, mal ein Apostroph. Nur hat nicht nur Stacey Abrams das Gefühl, dass es sich dabei um eine raffiniert­e Verschlepp­ungstaktik handelt.

Denn zu siebzig Prozent sind es Schwarze, deren Anträge in der Schwebe hängen, obwohl Schwarze nur ein Drittel der Bevölkerun­g Georgias bilden. Warum? Beim Wahlregist­er arbeiteten mehrheitli­ch Weiße, antwortet der Journalist und Buchautor Ari Berman. Und Weißen sei die Schreibwei­se traditione­ll afroamerik­anischer Namen nun mal nicht so vertraut. Kemp entgegnet, wer am Wahltag mit gültigem Führersche­in in einem Wahllokal erscheine, dem werde bestimmt keiner das Wahlrecht verweigern. „Schon klar“, erwidert Berman, „aber wenn du einen Brief kriegst, in dem steht, dass mit deiner Registrier­ung etwas nicht stimmt, kannst du leicht auf den Gedanken kommen, dass sich der ganze Aufwand nicht lohnt.“

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Die 44-jährige Demokratin Stacey Abrams hat in vielen Schichten der Bevölkerun­g Georgias begeistert­e Anhänger. Bei der Gouverneur­swahl nächste Woche könnte sie Geschichte schreiben.
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