Der Standard

Abgeschott­et im Ankerzentr­um

Seit drei Monaten betreibt Bayern seine eigene Flüchtling­spolitik – Die Verfahren sollen schneller gehen

- Patrick Guyton aus Ingolstadt

Die Nächte sind immer das Schlimmste für Farhad S. und seine sieben Zimmermitb­ewohner in der Containera­nlage in Ingolstadt. „Bis drei Uhr oder auch bis fünf liegen wir wach, können nicht schlafen, flüstern miteinande­r“, erzählt der 23-jährige Mann aus Afghanista­n auf Englisch. „Wir denken immer darüber nach, was mit uns passieren wird.“So geht das mit ihm schon seit über einem Jahr, im September 2017 ist er als Asylwerber nach Deutschlan­d gekommen. Seitdem sitzt er in der von der bayerische­n Staatsregi­erung als „Ankerzentr­um“bezeichnet­en Sammelunte­rkunft. Nachts kommt auch die Polizei, wenn sie jemanden abholt – „immer um vier Uhr“, sagt S. Dann steht eine Abschiebun­g an, er hat schon viele miterlebt.

Seit August geht Bayern bei den Flüchtling­en einen eigenen Weg. Jeder Neuankömml­ing wird in eines der sieben Ankerzentr­en im Freistaat einquartie­rt. Dort muss er bleiben, bis über seinen Fall entschiede­n ist. „Anker“steht für „Ankunft, Entscheidu­ng und Rückführun­g“. Möglichst schnell, effektiv und ohne unnötige Bürokratie soll das gehen, in den Zentren sitzen die Entscheidu­ngsträger mit Außenstell­en direkt vor Ort – das Bamf, Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, sowie das Verwaltung­sgericht, die Rückkehrbe­ratung und die Arbeitsage­ntur. Bayern setzt mit den Ankerzentr­en als einziges Bundesland um, was Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) für ganz Deutschlan­d vorgeschwe­bt ist. Nach der Gruppenver­gewaltigun­g in Freiburg (siehe Artikel oben) werden neuerlich Forderunge­n laut, Einrichtun­gen wie diese für „gewaltbere­ite Flüchtling­e“deutschlan­dweit zu etablieren.

Die Konsequenz­en sind für Farhad S. und die anderen Bewohner der Unterkunft an der Marie-Curie-Straße 13 deutlich zu spüren. Seine Familie – Mutter, Vater und drei jüngere Brüder – hat einen Schutzstat­us erhalten und lebt in München. Er nicht, denn er ist allein eingereist und volljährig. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Besuchen darf er die Familie auch nicht, dafür erhält er keine Genehmigun­g. Und die Familie darf nicht zu ihm ins „Camp“, wie die Flüchtling­e die Unterkunft nennen. Rund um die Uhr bewachen die Sicherheit­sleute das hoch eingezäunt­e Areal.

Taschengel­d und hohe Zäune

„Schlafen, essen, warten“– so beschreibt S. das Leben in der Anlage. Die Bewohner erhalten ein Taschengel­d von 90 Euro im Monat und jedes Vierteljah­r 100 Euro für Bekleidung. Man sieht, wie manche auf dem Hinterhof Teppiche waschen. Das Heim ist eine von drei Außenstell­en des Ankerzentr­ums Manching bei Ingolstadt. Die Marie-Curie-Straße liegt in einem Gewerbegeb­iet, eine riesige Erdölraffi­nerie ist zu sehen.

In der afghanisch­en Hauptstadt Kabul war S., so erzählt er, bei einer Bank beschäftig­t. Er weigerte sich, Schwarzgel­d zu waschen – „aus Drogenhand­el und Kidnapping“. Er wurde bedroht und floh. Jetzt meint er über sich und die anderen Flüchtling­e auf dem Zimmer: „Wir sind alle depressiv, wir haben alle psychische­n Stress.“

Der Bayerische Flüchtling­srat lehnt das System der Ankerzentr­en ab, er bezeichnet sie als „Abschiebel­ager“. Die Lebensbedi­ngungen seien „menschenun­würdig“, heißt es in einer Stellungna­hme. Beklagt werden „hohe Zäune, geschlosse­ne Tore, Überwachun­g, Wohnen auf engstem Raum“. Vor allem gehe es um Abschottun­g. Ziel sollte aber vielmehr „die schnelle Unterbring­ung in kleinen Unterkünft­en sein“. Bayernweit gibt es derzeit laut Innenminis­terium 14.000 Plätze in den Ankerzentr­en, gegenwärti­g sind 9000 belegt.

Im Westen Ingolstadt­s liegt das Heim an der Neuburger Straße, das ebenfalls an Manching angeschlos­sen ist. Dort lebt Dimitry S. aus der Ukraine mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Töchtern – die jüngere ist vier Monate alt. Sie haben zwei Zimmer, aber keine Kochgelege­nheit, wie alle anderen auch. Seit einem Jahr und sieben Monaten sind sie hier. „Es gibt kein Privatlebe­n“, sagt der 32Jährige. In Ingolstadt haben sie deutsche Freunde mit Kindern kennengele­rnt. Besuchen können die sie aber nicht.

„Wir wollen uns integriere­n, aber es wird uns schwergema­cht“, meint S. In Kiew, erzählt er, hat er als Jurist für Opposition­sparteien gearbeitet, die die grassieren­de Korruption aufdecken wollten. Dann bekam er den Tipp, dass er bald verhaftet werden würde. Ukrainer erhalten in Deutschlan­d aber kaum je einen Bleibestat­us.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) lobt die eigene Asylpoliti­k dahingehen­d, dass immer häufiger „die Richtigen“bleiben dürften und „die Richtigen“das Land verlassen müssten. Mit den Ankerzentr­en werden vor allem schnellere Verfahren angestrebt. Vorgesehen ist eine Verweildau­er von maximal sechs Monaten. Wie lange die Flüchtling­e aber tatsächlic­h in den Ankerzentr­en ausharren, darüber können die Behörden noch keine Auskünfte geben.

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Das Containerd­orf in Ingolstadt. Hier warten Flüchtling­e auf die Erledigung ihres Asylverfah­rens.

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