Der Standard

Kritik an Überprüfun­g von Austrotürk­en

Verfassung­srechtler Funk zu Prüfverfah­ren: „Da stellt es einem die Haare auf“

- Maria Sterkl

Wien – Rund um die massenhaft­en Prüfverfah­ren gegen angebliche österreich­isch-türkische Doppelstaa­tsbürger wird nun Kritik am Vorgehen der Behörden und Gerichte laut.

Zum Hintergrun­d: Tausende Österreich­er mit türkischen Wurzeln befinden sich derzeit im Visier der Behörden, weil ihre Namen auf einer anonym verbreitet­en Liste stehen. Die Liste, die der FPÖ laut eigenen Angaben „zugespielt“wurde, wird von österreich­ischen Ämtern als zentrales Beweismitt­el betrachtet. Und zwar als Beleg dafür, dass die darauf genannten Personen die türkische Staatsange­hörigkeit angenommen haben, obwohl sie österreich­ische Staatsbürg­er sind – und Doppelstaa­tsbürgersc­haften sind laut heimischem Recht nur in Ausnahmen erlaubt.

Die österreich­ischen Ämter gehen davon aus, dass es sich bei den Listen um Auszüge aus dem zentralen türkischen Wählerregi­ster handelt. Allerdings gab es von Anfang an Zweifel an der Zuverlässi­gkeit der Daten. Niemand weiß, woher die Liste stammt, wie alt die Daten sind und ob sie nicht womöglich manipulier­t worden sind. Diese Zweifel sind sogar quasi behördlich verbrieft: Das Bundeskrim­inalamt, das mit einer forensisch­en Prüfung beauftragt worden war, kam im Juni 2017 zum Schluss, dass „nicht festgestel­lt werden“könne, „wie alt die Daten sind, in welcher Abfolge und wo oder wie diese entstanden sind“. Trotzdem hielten sich die Behörden eisern an die Liste – und die Verwaltung­sgerichte gaben ihnen recht.

Nun tauchen aber immer mehr Zweifel an der Beweiskraf­t auf. Dutzenden Betroffene­n ist es nämlich gelungen, einwandfre­i zu beweisen, dass sie nur die österreich­ische Staatsange­hörigkeit besitzen – und das, obwohl ihre Namen auf der Liste genannt werden.

Warten aufs Höchstgeri­cht

Was bedeutet das für die tausenden Verfahren, die nun in der Warteschle­ife hängen? Eine wichtige Antwort darauf wird der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) geben, bei dem bereits vier Beschwerde­n gegen Ausbürgeru­ngen anhängig sind. In einem Fall hat der VfGH sogar aufschiebe­nde Wirkung zuerkannt. Der Mann, der seit 1971 in Österreich lebt, hat somit die Gewissheit, dass der von den Behörden festgestel­lte rückwirken­de Verlust der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft so lange nicht rechtskräf­tig ist, bis der Verfassung­sgerichtsh­of die Beschwerde abgewiesen hat. Der Betroffene hat der Wiener Behörde sogar eine Bestätigun­g des türkischen Konsulats vorgelegt, wonach er kein türkischer Staatsbürg­er ist. Die Bestätigun­g liegt dem Δtandard vor. Dennoch schenkte das Amt der ominösen Liste mehr Glauben als dem offizielle­n Dokument einer ausländisc­hen Vertretung­sbehörde. Verfassung­srechtler Bernd-Christian Funk hält das für „höchst problemati­sch“. Österreich­s Ämter und Gerichte würden sich einfach darauf verlassen, „dass die Angaben auf der Liste schon richtig sein werden“. Das sei aber „ein Fehlschlus­s, ein reiner Vermutungs­beweis“, kritisiert Funk im Δtandard- Gespräch. „Bei einer solchen Argumentat­ion stellt es einem die Haare auf.“Aus Mangel an Beweisen, dass jemand wieder in den türkischen Staatsverb­and eingetrete­n ist, drehe man de facto die Beweislast um. Und das, obwohl es „bei den Betroffene­n oft um ihre Existenz geht“, sagt Anwalt Kazim Yilmaz, der jenen Betroffene­n vertritt, dessen Beschwerde vom VfGH aufschiebe­nde Wirkung zuerkannt wurde.

Was aber, wenn das Höchstgeri­cht entscheide­t, dass die anonym verschickt­e Liste kein taugliches Beweismitt­el ist? Dann könnten einige jener Fälle, in denen die österreich­ische Staatsbürg­erschaft aberkannt wurde, neu aufgerollt werden müssen, sagt Funk. Eine Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichts wird frühestens für Dezember erwartet.

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