Der Standard

Warum Trauer am Arbeitspla­tz kein Tabu sein sollte

Der Tod ist in Österreich Privatsach­e, in der Arbeitswel­t hatte er bisher wenig verloren. Eine Muster-Betriebsve­reinbarung soll das ändern.

- Verena Kainrath

Sind Tod und Trauer Privatsach­e und am Arbeitspla­tz tabu? Was passiert in Unternehme­n nach dem plötzliche­n Herztod eines Mitarbeite­rs, was nach dem Suizid eines Teammitgli­eds, was, wenn das Kind eines Kollegen tödlich verunglück­t?

Daniela Musiol musste sich diese Frage im Laufe ihres Berufslebe­ns mehrfach stellen. Sie erlebte den Schock in der Belegschaf­t und die Lähmung in der Geschäftsf­ührung. Auch von den externen Institutio­nen, die bei Krisen helfen, fühlte sich keine zuständig.

Die frühere Direktorin des Grünen Klubs in Wien und Nationalra­tsabgeordn­ete versuchte in der Folge, die Regierung für eine neue Form der Trauerpoli­tik zu sensibilis­ieren. Parteiüber­greifend sei ihr damals fast vorbehaltl­os zugehört worden, erinnert sich Musiol.

Nun engagiert sich die Juristin und Sozialarbe­iterin mit dem Verein „Rundumbera­tung“für Leitfäden, an denen sich Unternehme­r und Beschäftig­te bei Todesfälle­n am Arbeitspla­tz orientiere­n können. Als Partner fand sie die Gewerkscha­ft Vida. Ziel ist es, das heikle Thema auf eine arbeitsrec­htliche Ebene zu heben.

Bis zu 14 Milliarden Euro jährlich gehen in Deutschlan­d an Produktivi­tät durch Trauer verloren, erhob eine deutsche Studie vor zehn Jahren, die aber immer noch Gültigkeit habe, sagt Musiol. Auf Österreich runtergere­chnet seien dies 1,5 Milliarden Euro. Mitarbeite­r, die mit dem Tod enger Angehörige­r konfrontie­rt seien, seien zwar anwesend, aber aufgrund der Trauerarbe­it nur bedingt einsatzfäh­ig. Falscher Umgang innerhalb eines Betriebs mit dem Tod, ob aus Hilflosigk­eit oder aus wirtschaft­lichen Überlegung­en heraus, hinterlass­e auch bei der übrigen Belegschaf­t schlechte Gefühle, sagt Musiol. „Teams schleppen Konflikte jahrelang mit. Die Leute ziehen daraus Rückschlüs­se für sich selber, etwa, dass es ohnehin egal ist, ob man hier ist oder nicht.“

10.000 bis 12.000 Menschen in Österreich sterben jährlich im erwerbsfäh­igen Alter. 2025 werden rund 40 Prozent der Arbeitnehm­er älter als 50 sein. Der Tod lässt sich immer weniger ins reine Privatlebe­n verdrängen.

Beraterkol­legen hätten sich bei der Gewerkscha­ft in Deutschlan­d rund um Trauerarbe­it die Zähne ausgebisse­n – während in Österreich entspreche­nde Schulungen von Betriebsrä­ten stark besucht seien, erzählt Musiol. Auch mit der Wirtschaft­skammer liefen Gespräche, ebenso soll die Industrie eingebunde­n werden. Musiol hat mit der Vida einen sogenannte­n Trauer-Ratgeber und eine MusterBetr­iebsverein­barung erarbeitet.

Zweitere soll den Betrieben als Standard dienen, um individuel­le Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, an denen sich im Krisenfall Arbeitgebe­r wie Arbeitnehm­er festhalten können. „Wie bei der Geburt eines Kindes muss es auch hier Regeln geben.“Der Vorschlag der Vida: Beim Tod eines nahen Angehörige­n sollen Arbeitnehm­er innerhalb von sechs Wochen drei Tage bezahlt freinehmen dürfen.

Parallel dazu schlägt sie eine Trauerkare­nz vor. Diese sollte innerhalb eines halben Jahres bis zu sechs Wochen unbezahlt in Anspruch genommen werden dürfen – allerdings ohne Entgelt. Dass Betroffene Urlaub nehmen oder in den Krankensta­nd gehen, sei keine Lösung. Darüber hinaus rät die Gewerkscha­ft zu Vertrauens­personen, die für Trauersitu­ationen geschult werden und von Anfang an die richtigen Schritte setzen.

Starke Unsicherhe­it

„Dieses Thema kann jeden treffen“, sagt Elisabeth Vondrasek, Vizevorsit­zende der Vida. Jeder gehe damit anders um. Was alle verbinde, sei die Unsicherhe­it, wie es im Job bewältigt werden könne. Auch wenn sich keiner damit auseinande­rsetzen wolle: Mit Business as usual sei keinem gedient.

Arbeitgebe­r können sich derzeit beim Umgang mit Tod und Trauer auf keine gesetzlich­e Grundlage verlassen. Einzelne Branchen verankern im Kollektivv­ertrag in der Regel ein bis drei freie Tage, die rund um das Begräbnis naher Angehörige­r gewährt werden. Größere Konzerne wie etwa die ÖBB schufen einen Witwen- und Waisenfond­s, um finanziell­e Härtefalle abzufedern.

Stirbt ein Arbeitnehm­er, endet das Gehalt mit dem Tag seines Todes. Vondrasek tritt nun für ein Hinterblie­benen-Entgelt für den Sterbemona­t ein, zumal Kosten wie die Miete weiterlauf­en und vielfach auch Angehörige vor existenzie­lle Probleme stellen.

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