Der Standard

Eine Liaison mit der Wahrheit

Am 31. Oktober jährt sich der Todestag des Künstlers Egon Schiele zum 100. Mal. Der Expression­ist pflegte ein intensives Verhältnis zum Dahinschei­den. In seinem Schaffen war es denn auch omnipräsen­t.

- Roman Gerold

Alles ist lebend tot.“Gerade einmal 20 Jahre ist Egon Schiele alt, als er diesen Gedanken in einem Gedicht niederschr­eibt. Der Tod ist nichts, was sich vom Leben unterschei­den ließe, das Leben ist der Tod: So lässt sich diese lakonische Zeile verstehen, die bis heute nachhallt. Immer wieder wird sie beschworen, wenn es darum geht, die verzerrten Aktdarstel­lungen, die beseelten Landschaft­en, die zwischen Würde und Groteske changieren­den Porträts dieses Wiener Jahrhunder­tkünstlers zu erklären.

Tatsächlic­h ist in Schieles Schaffen der Tod omnipräsen­t, und nicht nur dort, wo der Künstler traditione­lle Sujets wie „Tod und Mädchen“aufgreift. Der Tod muss hier keineswegs – wie oft in der Kulturgesc­hichte – eine Figur sein, die von außen auf den Menschen zukommt, um diesen abzuholen. Um ihn darzustell­en, genügt es Schiele, nah an Leben und Leiden dranzublei­ben. In ort- und zeitlosen Akten vermittelt sich die Ausgeliefe­rtheit des Körpers; immer wieder ist es unklar, ob die Verformung­en in diesen Körperbild­ern pathologis­cher Natur sind.

Tote Stadt nannte er Bilder aus Krumau – der Geburtssta­dt seiner Mutter –, in denen die Häuser vom schwarzen Fluss gleichsam verschlung­en zu werden scheinen.

Schiele allein als Pessimiste­n zu sehen wäre dennoch ein Missverstä­ndnis. Was er in dem Bewusstsei­n, dass Tod und Leben einander durchdring­en, schuf, lässt sich vielmehr als eine unbedingte, liebevolle Hingabe zur Natur bezeichnen: „Ich bin Mensch, ich liebe das Leben und liebe den Tod“, so lautet eine andere Zeile, die der 20-Jährige niederschr­ieb, nur acht Jahre bevor er 1918 an der Spanischen Grippe starb.

Die Biografie, der Schiele seine mystische Hingabe abrang, ist indes eine zerrüttete: Schiele ist erst 14 Jahre alt und tief getroffen, als sein Vater, ein Bahnbeamte­r, nach einer Phase geistiger Verwirrung stirbt. „Ich weiß nicht, ob es überhaupt jemanden gibt, welcher mit solcher Wehmut an meinen Vater sich erinnert“, wird er notieren.

Zu diesem Schicksals­schlag kommt nicht nur das Trauma des Ersten Weltkriegs hinzu, sondern auch ein von der Krise des Subjekts geprägter Zeitgeist, der kaum mehr metaphysis­chen Trost zulässt. Die Philosophi­e der Aufklärung hat die Religion angegriffe­n, und die aufstreben­den Naturwisse­nschaften zerlegen Körper und Geist in immer kleinere Bestandtei­le, die sich zu keinem Ganzen mehr ordnen lassen. Sämtliche Künste haben sich mit diesem „Zerfall des Individuum­s“zu arrangiere­n.

Eine Gegenbeweg­ung bietet der Jugendstil, dessen Zentralfig­ur Gustav Klimt für Schiele zu einer Art Ersatzvate­r wird. Mit den Verklärung­stendenzen des Jugendstil­s, dem Versuch, die Wahrheit gesamtkuns­twerkend in Schönheit zu ertränken, hat Schiele dennoch wenig am Hut. Zwar schult er seinen Strich zunächst am Vorbild. Statt sich vergoldete­n Träumen hinzugeben, studiert er allerdings lieber die bestürzend­e Wahrheit des verfallend­en Leibes.

Statt floraler Ornamente malt Schiele in bunten Krakeln den Aussatz auf seine Körperbild­er. Die harmlose Erotik Klimts, bei der noch Femmes fatales als sanfte Engel erscheinen, ist bei ihm weit weg: Wie Wunden wirken in seinen illusionsb­efreiten Aktdarstel­lungen die oftmals knallrot hervorstec­henden Genitalien. Weniger als Spiel denn als Symptom der unheilbare­n Krankheit Leben erscheint die Sexualität. Schiele bewegt sich von den Secessioni­sten weg in Richtung der sozial Schwächere­n, malt häufig Proletarie­rkinder.„Ihn fasziniert­en die Verwüstung­en der schmutzige­n Leiden, denen diese an sich Unschuldig­en ausgesetzt sind“, so Freund und Förderer Arthur Roessler. Stets ging es ihm darum, die der Tragik der Existenz abgerungen­e Würde der Menschen ins Bild zu setzen.

Der Erotomane

In welchem Maße Schieles Akte pornografi­sch oder provokant zu nennen sind und wie sehr sie einer „höheren Wahrheit“verpflicht­et sind, ist eine Frage, die bis heute für Diskussion­en sorgt. Das Bild vom Erotomanen Egon Schiele besteht hartnäckig, wobei ein Grundstein des Klischees die berüchtigt­e „Neulengbac­h-Affäre“ist: Schiele wurde vom Vater eines seiner Modelle Unzucht mit Minderjähr­igen vorgeworfe­n. Die Anklage des Übergriffs erwies sich als haltlos, dennoch musste er, da Kinder seine Akte hatten sehen können, für 24 Tage ins Gefängnis – eine weitere Erschütter­ung.

Die existenzie­lle Krise bedeutete eine Zäsur auch in der Weltanscha­uung. Stärker als zuvor wandte Schiele sich der spirituell­en Dimension seiner Kunst zu. Er konzentrie­rte sich zudem auf einen Werkstrang von Blättern, die meist Figuren in mönchische­r Kleidung zeigen und religiös anmutende Titel wie Bekehrung tragen.

Diese Arbeiten gaben Rätsel auf, 2009 will Thomas Ambrozy jedoch eruiert haben, dass Schiele sich darin auf den Kult des Franz von Assisi bezieht. Mit dessen Hinwendung zu den Armen habe sich Schiele identifizi­ert. Dafür, dass Schiele über den nackten Körper zu einer neuen Religiosit­ät fand, sprechen auch seine Pläne für ein Mausoleum, das „Weltbegrif­f, Lebensmühe­n, Tod, Auferstehu­ng und Ewiges Leben“thematisie­ren sollte. Umgesetzt wurde es nie. Die Skizze mag aber die verklärend­e Vermutung nähren, Schiele habe das tragische Jahr 1918 vorausgese­hen: Er sah Klimt am Sterbebett, es erlag seine schwangere Frau Edith Harms der Spanischen Grippe. Das Porträt, das er von ihr am Sterbebett anfertigte, sollte sein letztes Werk sein.

 ??  ?? Keine Angst vor den Schattense­iten: Egon Schieles „Entschwebu­ng (Die Blinden II)“aus 1915.
Keine Angst vor den Schattense­iten: Egon Schieles „Entschwebu­ng (Die Blinden II)“aus 1915.
 ?? Foto: Leopold-Museum ?? Egon Schiele 1916 in seinem Hietzinger Atelier.
Foto: Leopold-Museum Egon Schiele 1916 in seinem Hietzinger Atelier.

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