Der Standard

Eva Menasse wird neue Stadtschre­iberin in Mainz

Gegen den Tsunami der Vereinfach­ung

- Stefan Gmünder

Mainz – Romanautor­in Eva Menasse zieht 2019 in die Mainzer Stadtschre­iberwohnun­g ein. Die in Wien geborene Wahlberlin­erin tritt damit die Nachfolge von Anna Katharina Hahn an. Der Preis von ZDF, 3sat und Mainz besteht zu einem Teil aus der Wohnung, zum anderen Teil aus einem Preisgeld von 12.500 Euro. (APA)

Das Beziehungs­leben ist in den Erzählunge­n und Romanen von Eva Menasse beileibe kein Krippenspi­el. Unnötige Gespräche werden geführt, notwendige bleiben aus, auch die Kinder geraten nicht wie geplant. Weiters wimmelt es im Werk der 1970 in Wien geborenen Autorin nur so von lahmen Liebhabern, abgewiesen­en Ehemännern und gestresste­n Frauen, die an knarzenden Patchworkk­onstrukten verzweifel­n.

So leichtfüßi­g, ironisch, aber nie empathielo­s wie die Schriftste­llerin Eva Menasse in ihrer Literatur das Leben der Gutgebilde­ten, Wohlbestal­lten und Ratlosen in der Wohlstands­gesellscha­ft schildert, so entschiede­n prangert sie in Texten und Reden gesellscha­ftliche und politische Missstände an. Erst kürzlich konstatier­te sie in ihrer Eröffnungs­rede zum Literaturf­est Berlin neben einem „Tsunami der Vereinfach­ung“im politische­n Diskurs eine zunehmende „militante Intoleranz“sowie einen Mangel an Offenheit, Neugier – und an Humor.

Letzteren hat Eva Menasse von Wien nach Berlin exportiert, wo sie seit zwei Jahrzehnte­n lebt. Abwechseln­d wird die Mutter eines Sohnes seither von deutschen Medien mit Karl Kraus, Musil, Bernhard, Qualtinger oder wahlweise Elfriede Jelinek verglichen. Was die ehemalige Journalist­in (Profil, FAZ) wenig anfechten dürfte, denn ihren eigenen Ton hat sie schon in ihrem ersten Roman Vienna (2005) gefunden, der eine jüdische Familienge­schichte reflektier­t. Sie ist fiktiv, trägt aber Züge der Herkunft der Autorin, deren Vater im Zuge einer britischen Rettungsak­tion für jüdische Kinder nach England emigrierte, Fußballspi­eler wurde und später im österreich­ischen Nationalte­am spielte. Robert Menasse ist der Bruder der Autorin, er hat eine andere Mutter, den Begriff „Halbgeschw­ister“lehnen die beiden ab, das klinge wie „Halbjude“.

Mit einer Vergangenh­eit, die nicht enden will, hat sich die studierte Historiker­in Menasse immer wieder auseinande­rgesetzt, unter anderem in einem Buch über den Holocaustl­eugner David Irving. Gute Literatur, sagte die selbst mit vielen Preisen ausgezeich­nete Autorin einst in einer Laudatio auf Imre Kertész, sei unbequem, auch weil sie eher Fragen stelle als Antworten gebe. Und wenn sie antworte, „dann nicht auf die Fragen, die wir gestellt haben. Sie hat dunkle Falten (...), nur deshalb leuchtet sie und klärt uns auf.“Eva Menasse beobachtet genau und fragt präzis, das wird sich auch 2019 als neue Stadtschre­iberin von Mainz nicht ändern.

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Foto: Imago Genaue Beobachter­in und neue Stadtschre­iberin von Mainz: Eva Menasse.

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