Der Standard

Law & Disorder

Wer für Maurer eintritt, sollte darauf achten, das Recht nicht mit Füßen zu treten

- Georg Schildhamm­er

Das Wichtigste gleich zu Beginn, damit es kein Missverstä­ndnis gibt: Die Nachrichte­n, die Sigrid Maurer vom Facebook-Account eines Bierlokalb­esitzers geschickt bekommen hat, sind eine Sauerei. Wer auch immer ihr Urheber ist, ich verachte ihn aus ganzem Herzen. Maurer hingegen hat meine volle Sympathie in Anbetracht ihrer Verletzung. Doch was rund um diesen Fall und das Thema #MeToo von einer wachsenden Zahl von Medien gesagt wird, ist äußerst problemati­sch.

Dass Maurer und viele andere Frauen, die belästigt wurden, an die Öffentlich­keit gehen, ist verständli­ch und – wenn es auf juristisch korrekte Weise geschieht – auch zulässig. Im Falle Maurers hätte dies, wie auch einige Rechtsexpe­rtinnen erläuterte­n, etwa Folgendes bedeuten können: Die ehemalige Nationalra­tsabgeordn­ete der Grünen hätte die beleidigen­de Botschaft veröffentl­ichen und darauf hinweisen können, dass sie vom Facebook-Account jenes Lokalbesit­zers stammt. Zu behaupten, der Lokalbesit­zer selbst wäre der Absender gewesen, ist jedoch nicht in Ordnung, da es durchaus möglich ist, dass er nicht der Autor war. Das mag aus Sicht Maurers und jener, welche die von ihr gewählte Vorgangswe­ise gutheißen, schmerzvol­l sein. Es trifft dennoch zu. Denn tatsächlic­h gibt es mehrere Lokale in Wien, in welchen Laptops stehen, die jedem Gast zugänglich sind, um Musik- wünsche direkt in die sogenannte Playlist einzutrage­n. Dass auf dem einen oder anderen dieser Laptops auch Facebook geöffnet und somit für jeden beliebigen Gast nutzbar sein könnte, ist nicht ausgeschlo­ssen.

Wenn der Falter seine Titelstory mit einem Foto von Maurer illustrier­t und mit dem Schriftzug „Unschuldig!“versieht, macht mir das Angst. Nicht zuletzt deshalb, weil einer der beiden Autoren des Artikels Chefredakt­eur Florian Klenk ist, ein studierter Jurist. Was will er uns mit dieser Aufforderu­ng sagen? Dass der Rechtsstaa­t auf Zuruf eines moralisch sich selbst legitimier­enden Journalist­en mal eben schnell die Unschuldsv­ermutung über Bord werfen und die Beweislast­umkehr einführen soll – natürlich nur in jenen Fällen, in denen Klenk den Zeigefinge­r hebt? Da hilft es auch nichts, wenn am Ende des Artikels noch schnell der Vollständi­gkeit halber erwähnt wird, dass auch angeprange­rte Übeltäter „ein Recht auf Anonymität und einen fairen Prozess haben“.

Wenn die Journalist­in Tamara Sill auf ORF.at von einer „Umkehr der Opferrolle“spricht, weil Maurer nun selbst zur Angeklagte­n und – noch nicht rechtskräf­tig – Verurteilt­en geworden ist, weil sie das Gesetz in die eigenen Hände genommen hat, greife ich mir an die Stirn. Hier geht es um zwei verschiede­ne Handlungen: einmal um das Versenden einer Nachricht an Maurer und das andere Mal darum, dass sie den – vermeintli­chen – Täter an den mas- senmediale­n Pranger gestellt hat. Wenn die Journalist­in dann auch noch die Geschäftsf­ührerin der Wiener Frauenhäus­er, Andrea Brem, von „Victim-Blaming“sprechen und allen Ernstes mit der Forderung auftreten lässt, „dass man sich Gedanken darüber macht, wie es in einem Bereich, wo die Beweislage oft dünn ist, trotzdem zu Verurteilu­ngen kommen kann“, laufen mir kalte Schauer über den Rücken. Im Forum von war unlängst unter einem Artikel zum Thema #MeToo sinngemäß folgender Dialog zu lesen. A: „Ich finde es problemati­sch, wenn ungeprüft irgendwelc­he Männer an den Pranger gestellt werden, die vielleicht gar nichts getan haben.“B: „Das sind verschmerz­bare Kollateral­schäden!“

Fall Kachelmann vergessen?

Schon den Fall des Schweizer TV-Meteorolog­en Jörg Kachelmann vergessen, der zu Unrecht der Vergewalti­gung bezichtigt wurde? Bereits verdrängt, dass die US-Kunststude­ntin Emma Sulkowicz einem deutschen Kommiliton­en das gleiche Delikt vorgeworfe­n hatte, was sich ebenfalls im Nachhinein als unwahr herausstel­lte?

Ganz egal, wo unsere Sympathien jeweils liegen mögen, Selbstjust­iz sollten wir ausschließ­lich verzweifel­ten Helden in Actionfilm­en durchgehen lassen. Denn wer dem Staat das Gewaltmono­pol mit noch so gut gemeinten Gründen entreißen will, könnte selbst zum Opfer einer solchen Eigenermäc­htigung werden.

GEORG SCHILDHAMM­ER lebt als freier Journalist, Philosoph und Autor in Wien.

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Foto: privat Schildhamm­er: Verschmerz­bare Kollateral­schäden?

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