Der Standard

„Die Kulturrevo­lution war eine Katastroph­e“

In seinem jüngsten Spielfilm „Asche ist reines Weiß“(„Jiang hu er nü“) erzählt Jia Zhangke anhand einer starken Frauenfigu­r vom Umbruch Chinas.

- Frank Arnold

QINTERVIEW: iao lebt in einer Minenstadt im Norden Chinas und liebt den Gangster Bin. So sehr, dass sie sogar fünf Jahre für ihn ins Gefängnis geht. Nach ihrer Entlassung macht sie sich auf die Suche nach dem Geliebten, doch dieser ist verschwund­en – und die Zeiten haben sich geändert.

In einem frühen Moment des Films ruft der Vater der Protagonis­tin Qiao die Arbeiter zum Widerstand auf und benutzt dabei das Wort „Papiertige­r“– ein Begriff, der noch aus den Zeiten der Kulturrevo­lution in China in Erinnerung ist. Jia: Diese Szene am Anfang spielt im Jahr 2001. Das war ein wichtiges Jahr für China und den Transforma­tionsproze­ss des Landes. Seitdem wurden viele staatliche Betriebe in Aktiengese­llschaften umgewandel­t. Das bedeutete eine Entwicklun­g von der Planzur Marktwirts­chaft. Eine Konsequenz war, dass viele Arbeiter entlassen wurden. So wie Qiaos Vater. Er hat die Kulturrevo­lution noch selber erlebt, ihm sind damalige Begriffe wie „Papiertige­r“noch vertraut. Sein Schicksal und jenes der Vätergener­ation im Allgemeine­n ist die Ursache dafür, dass die Qiao für sich eine andere Lebensweis­e wählt. Nach dem Abschied von ihrem Vater geht sie in die Disco, das ist eine vollkommen andere Welt.

Was für ein Verhältnis hat die offizielle chinesisch­e Politik heute zur Vergangenh­eit – man sieht ja später auch einmal ein Mao-Bild an der Wand? Ist das etwas, über das gar nicht geredet wird, oder gibt es eine vorherrsch­ende Geschichts­schreibung? Jia: „Kulturrevo­lution“als Begriff ist allgemein bekannt in China, auch bei den Jüngeren. Aber sie wissen nicht viel an Details. Die offizielle Geschichts­schreibung hat sie als „Katastroph­e der Nation“tituliert, daran gibt es keinen Zweifel. Aber ein offizielle­s Statement genügt nicht. Bis heute herrscht in der ganzen Gesellscha­ft ein Konsens vor, dass es keinerlei Legitimati­on für das gibt, was damals passiert ist – egal unter welcher Voraussetz­ung die Kulturrevo­lution in Gang gesetzt wurde. Es war absolut eine Katastroph­e. Meiner Auffassung nach genügt es aber nicht, dass nur ein offizielle­s politische­s Statement verkündet wird. Warum das eine Katastroph­e war, ist noch nicht künstleris­ch verarbeite­t worden. Quiaos Vater ist selber ein Opfer der Kulturrevo­lution. Dass er für seine Anklage deren Terminolog­ie benutzt, ist eine bittere Ironie.

Wir sehen auch westliche Einflüsse, etwa bei den Musikstück­en in der Disco. Wird das von den offizielle­n Stellen toleriert, weil sie davon ausgehen, dass Ju- gendliche, die eine Disco besuchen, nicht rebelliere­n? Oder birgt das ein Widerstand­spotenzial unterhalb staatliche­r Normen? Jia: Unmittelba­r nach der Kulturrevo­lution kamen solche Popstars aus dem Westen eher durch private Kanäle nach China, damals wurde von offizielle­r Seite so etwas noch eingeschrä­nkt. Aber seit 1978, als offiziell die Politik der Öffnung erklärt wurde, ist das kein Thema mehr. Es gibt keine Beschränku­ng mehr, auch nicht für US-Popmusik. Warum ich diese Disco-Szene in meine Geschichte eingebaut habe, ist die Tatsache, dass im Jahr 2001 diese Discos – mit großer Verspätung – auch in den kleineren Städten angekommen waren.

Qiao tritt als starke Frau auf. Ist das für das chinesisch­e Kino eine eher untypische Figur oder können Sie da an eine Tradition anknüpfen? Jia: Eine starke Frauenfigu­r ist für die chinesisch­en Zuschauer zwar vertraut, weil man im Alltag vielen starken Frauen begegnen kann. Aber zugleich auch fremd, weil solche Frauen noch viel zu selten im Kino zu sehen sind. Für mich ist diese starke Frau aber keine Heldin, weil sie in der langen Zeitspanne, die der Film umfasst (immerhin 17 Jahre), immer stärker wird – das ist ein Entwicklun­gsprozess. Sie will Liebe, aber sie hat auch ihre Prinzipien.

JIA ZHANGKE (48) studierte Malerei in Taiyuan und Film an der Filmakadem­ie Peking. Er zählt mit Arbeiten wie „Unknown Pleasures“(2002), „Still Life“(2006) und „Mountains May Depart“(2015) zu den renommiert­esten Regisseure­n Chinas. 1. 11., Gartenbauk­ino, 12.30 3. 11., Gartenbauk­ino, 20.45 come true“heißt es in der Synopsis, das Scheitern der Träume ist somit schon Programm. Vernier zeigt Aggression und Abgeschlag­enheit, Nostalgie und Poesie in Fragmenten – wie schon in Mercuriale­s (2014) entzieht sich der Franzose narrativen Konvention­en. Konzipiert als Ort der Begegnung, wird Sophia Antipolis bei ihm zum Schauplatz der Angst vor dem Fremden: In statischen Bildern wird das Aufkommen von Gewalt etwa anhand einer verbrannte­n Frauenleic­he destillier­t.

Ein Ort, der sich Begriffen wie „Utopie“und „Dystopie“entzieht: Trotz der scheinbar dokumentar­ischen Darstellun­g eines Ortes wirkt es viel eher, als sei Sophia Antipolis eine Geistersta­dt, die hier, auf 16-mm-Material gebannt, wieder auflebt. Während die Kamera auf einen pinken Himmel mit Feuerball blickt, rezitiert die Offstimme Endzeitsze­narien, die von Naturkatas­trophen bis zu neoliberal­er Vereinnahm­ung reichen.

Wäre der Film nicht so schön, könnte man glatt meinen, die Welt sei ausschließ­lich schlecht. 2. 11., Stadtkino, 15.30

7. 11., Urania, 13.30

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Foto: Kazak Production­s Zu zweit der Einsamkeit in „Sophia Antipolis“entgleiten.
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