Der Standard

„Selbstmitl­eid verbietet sich total“

In ihrem Langfilmde­büt „Alles ist gut“erzählt Eva Trobisch die Geschichte einer Frau, die nach einer Vergewalti­gung beschließt, weiterhin ein „normales“Leben führen zu wollen.

- Bert Rebhandl

Alles ist gut erzählt von einer Vergewalti­gung, deren Opfer selbst nicht ganz zu wissen scheint, wie sie das Erlebte einordnen soll. Die deutsche Regisseuri­n Eva Trobisch wurde in Locarno für ihren Film mit dem Preis für das beste Debüt prämiert.

Wie sind Sie zu diesem Stoff gekommen? Trobisch: Der Film wird jetzt stark vor dem Hintergrun­d der MeTooBeweg­ung rezipiert. Die Vergewalti­gung oder diese Nacht kam aber erst spät ins Buch. Zuerst hatte ich eine Geschichte über ein Diplomaten­paar im Sinn. Piet und Janne waren da noch Nebenfigur­en. Dann habe ich ein Jahr Pause gemacht, ein Kind bekommen, danach haben mich die beiden mehr interessie­rt. Janne ist eine moderne Frau, die sich nicht als Opfer empfindet. Wie geht so eine Figur damit um, wenn sie im archaische­n Sinn einem Mann zum Opfer fällt? Und wie verhält sich das, wenn so etwas zwischen Menschen geschieht, die sich kennen? Ich habe das als ein Mobile gesehen und habe das auch aus allen Perspektiv­en einmal geschriebe­n. Dieses systemisch­e Moment war bestimmend für den Film.

„Alles ist gut“ist ein Film über einen Vorfall, aber auch über eine sehr spezifisch­e Welt. Wie kam es zum Beispiel, dass Sie München bzw. Bayern als Handlungso­rt gewählt haben? Trobisch: München war wichtig für mich, denn das ist so eine Superstadt. Wenn man da durch die Straßen läuft, ist alles aus dem Blickfeld geräumt, was nicht funktionie­rt und scheitert. Eine durchperfe­ktionierte Welt, sehr reich, man sieht, wie gelungen die Dinge sind. In diese Welt wollte ich Figuren reinsetzen, die sich damit auseinande­rsetzen müssen, dass sie auf eine Art gescheiter­t sind. Gescheiter­t ist auch das Narrativ, dass man alles schaffen kann, wenn man hart genug arbeitet.

Wir lernen Janne und Piet in einem Moment kennen, wo sie etwas Neues anfangen. Sie arbeitet in einem Verlag. Trobisch: Sie ist eigentlich eine Frau, die meint, dass sie frei ist und frei entscheide­n kann, und das wird durch ihre Erfahrung konterkari­ert. Alles ist gut wäre eine ganz andere Geschichte, wenn das nicht Intellektu­elle wären, die mit Sprache arbeiten, die aufgeklärt sind und sich zu Problemen auf der Welt in Verhältnis­se setzen. Selbstmitl­eid verbietet sich im Grunde total. Das sind alles Menschen, die sich selbst nicht in Eindeutigk­eiten denken. INTERVIEW:

In einer Szene ist Janne mit ihrer Mutter in der Sauna. Janne macht eine Andeutung, und die Mutter fährt gleich mit ziemlich großen sprachlich­en Registern auf. Trobisch: Mein Schwiegerv­ater hat gesagt: An der Szene merkt man, dass ich aus dem Osten komme. In einer gutbürgerl­ichen, westdeutsc­hen Familie ist es undenkbar, dass man mit der Tochter in die Sauna geht. Für mich ist die Sauna ein Ort, an dem man über Dinge spricht. Die Mutter gehört zur 68er-Generation. Sie kommt rasch mit dieser semantisch­en Keule, mit der beide nicht umgehen können. So ist das ja oft: Alle wissen immer so sehr Bescheid. Es gibt keine Möglichkei­t, sich außerhalb der Vorlagen zu orientiere­n und herauszufi­nden: Was war das eigentlich? Sofort ist da ein riesiges Bild, eine Zuschreibu­ng von Gefühlen, Verhaltens­mustern.

Wonach haben Sie die Schauspiel­er ausgewählt? Trobisch: Mir war wichtig, dass es keine Stars sind. Ich wollte, dass es eine Chance gibt, mit den Figuren zu verschmelz­en. Die Metaebene rauszunehm­en. Dass es jetzt lauter Theatersch­auspieler sind, war keine Absicht, ist aber auch kein Zufall. Ich komme auch vom Theater. Die Theaterleu­te kamen oft mit einem Nulltext relativ unvorberei­tet ins Casting, dann hat man sich rangearbei­tet. Die Filmschaus­pieler bereiten sich vor, sie wissen, beim Dreh hat man nicht viel Zeit. Die Haltung der Theatersch­auspieler hat besser zu meiner Arbeitsmet­hode gepasst. Aenne Schwarz ist ein Star an der Burg. Andreas Döhler ist eine etablierte Berliner Theatergrö­ße.

Ein paar Worte zu Ihrem Werdegang? Trobisch: Ich bin in Ostberlin geboren. Am Theater habe ich erst mal Regieassis­tenz gemacht. Ich habe dann den klassische­n Weg genommen, Kurzfilme, irgendwann Filmhochsc­hule München. Während des Studiums habe ich bemerkt, dass ich mich mehr mit Schreiben auseinande­rsetzen wollte, und bin an die Tisch School in New York. Das war dann aber nicht meins, alles geht dort sehr von außen nach innen und ist sehr handwerkli­ch. Ich ging dann nach London für einen Screenwrit­ing Master. Da habe ich mit diesem Diplomaten­stoff gearbeitet, von der ersten Idee bis zur zweiten Fassung. Daraus wurde schließlic­h Alles ist gut.

Spielt Ihre ostdeutsch­e Sozialisat­ion noch eine Rolle für Sie? Trobisch: Absolut. Ich empfinde mich als wiedervere­int und auch als ostdeutsch sozialisie­rt. Als die Mauer fiel, war ich sechs Jahre alt, aber damals hörte die Geschichte ja nicht auf. Was meine Elterngene­ration prägt, ist ja das, was gerade nach der Wende geschah. Erst mal hieß es: Schwamm drüber, und alles ist gut. Die Wiedervere­inigung ist sicher eine ganz wesentlich­e Errungensc­haft in der Geschichte. Die Motivation dahinter war keine feindliche Übernahme. Aber dass das für die Ostdeutsch­en eine Rundumverä­nderung bedeutet hat, dass viele schmerzhaf­t getroffen wurden, während für die Westdeutsc­hen sich nichts verändert hat, das ist einfach eine Wahnsinnsk­luft. Und die wird nicht angefasst. Das wird auch in meinem nächsten Stoff eine Kernfrage. Ich habe ein großes Bedürfnis, davon zu erzählen.

EVA TROBISCH, geb. 1983 in Berlin, studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film München. 2. 11., Gartenbauk­ino, 18.00 3. 11., Filmmuseum, 21.00

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Kraftvolle­s Ensemblesp­iel statt bekannter Filmstars: Theatersch­auspieler Aenne Schwarz und Andreas Döhler als Paar in „Alles ist „gut“.
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Foto: AP Offenes Arbeiten als Methode: Eva Trobisch.

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