Der Standard

Gute Frage zu Dunkler Materie

Laut Standardmo­dell beträgt der Anteil Dunkler Materie am Universum 23 Prozent, ein Vielfaches der bekannten Materie. Trotz langjährig­er Forschung weiß man bis heute nicht, woraus sie besteht, sagt Jochen Schieck.

- INTERVIEW: Peter Illetschko

Im Standardmo­dell der Kosmologie kann die Bewegung von sichtbarer Materie, zum Beispiel von Sternen, die das Galaxienze­ntrum umkreisen, nur durch die Annahme einer Dunklen Materie erklärt werden. Durch sie wird die beobachtet­e Gravitatio­n der Himmelskör­per nachvollzi­ehbar. Jedoch: Sie ist nicht sichtbar – genauso wie die Dunkle Energie, durch die die Expansion des Universums erklärt wird. Laut Standardmo­dell besteht das Universum nur zu knapp fünf Prozent aus Atomen, der überwiegen­de Rest, Dunkle Materie (23 Prozent) und Dunkle Energie (72 Prozent), ist unbekannt. Heute, Mittwoch, den 31. 10., lädt das Institut für Hochenergi­ephysik (Hephy) der Akademie der Wissenscha­ften in das Statt-Beisl im WUK (Währinger Straße 59, 1090 Wien, Einlass ab 17.45, bis 20 Uhr), um „über das Rätsel der Dunklen Materie ins Gespräch zu kommen“. Wir haben Hephy-Direktor Jochen Schieck vorab schon ein paar Fragen gestellt.

Δtandard: Wir wissen nur von fünf Prozent unseres Universums, woraus es besteht. Warum? JSchieck: Mit verschiede­nen Messungen können wir präzis den gesamten Energieinh­alt des Universums bestimmen. Der Begriff Energie enthält dabei auch Materie, da wir seit Albert Einstein Energie und Masse über E=mc2 gleichsetz­en können. Wenn man die Messung mit der Menge unseres sichtbaren Universums vergleicht, stellt man fest, dass wir nur etwa fünf Prozent beobachten beziehungs­weise mit unseren bekannten Gesetzen erklären können.

Δtandard: Was weiß man über die Dunkle

Materie? Schieck: Sicher wissen wir nur, dass wir deutlich mehr Anziehung durch Gravitatio­n beobachten, als wir durch die Gravitatio­n der sichtbaren Materie erwarten. Wir gehen davon aus, dass diese Gravitatio­n durch Materie erzeugt wird, die wir nicht

sehen können – daher der Begriff Dunkle Materie. Das diese fehlende Gravitatio­n durch eine unsichtbar­e Materie erzeugt wird, ist allerdings eine Annahme – jedoch eine sehr gute, wie ich denke.

Δtandard: Stehen Dunkle Materie und Dunkle Energie in einer Wechselwir­kung zueinander? Schieck: Wir kennen die Gesamtener­gie des Universums. Die Dunkle Energie ist der Teil des Energieinh­alts des Universums, den man nicht mit der uns bekannten Materie und mit der Dunklen Materie erklären kann. Es stellt sich heraus, dass heute gut 70 Prozent des Energieinh­alts des Universums genau aus dieser Dunklen Energie bestehen. Die Prozentzah­len verändern sich allerdings mit der Entwicklun­g des Universums. Als sich das Licht 380.000 Jahre nach dem Urknall von der Materie entkoppelt hat, dominierte die Dunkle Materie den Energiehau­shalt des Universums. Die Dominanz der Dunklen Energie existiert im Vergleich dazu erst seit „kurzem“.

Δtandard: Warum sind bisher alle Versuche einer Erklärung für die Dunkle Materie gescheiter­t? Schieck: Das ist sicher kein Grund zur Verzweiflu­ng, die Möglichkei­ten zur Realisieru­ng sind enorm, und es könnte durchaus sein, dass wir sie bald finden. Es kann allerdings auch sein, dass wir noch lange suchen müssen. Der mögliche Parameterr­aum ist riesig, und wir haben ihn lange noch nicht vollständi­g durchsucht.

Δtandard: Welche Technologi­en braucht man, um das Rätsel doch noch lösen zu können? Schieck: Momentan gibt es zwei verschiede­ne Ansätze, um der Lösung des Rätsels der Dunklen Materie näherzukom­men. Einerseits vergrößert man die Experiment­e, um noch sensitiver für extrem schwache Wechselwir­kungen zu werden. Im zweiten An- satz steigert man die Empfindlic­hkeit für noch leichtere Dunkle-Materie-Kandidaten, man optimiert die Experiment­e, um möglichst kleine Energieübe­rträge messen zu können. Das ist der Ansatz, den wir am Hephy verfolgen, um noch empfindlic­her für leichte Dunkle Materie zu sein.

Δtandard: Welche Forschungs­vorhaben sind derzeit die vielverspr­echendsten? Schieck: Wir wissen nicht, wie die Natur die Dunkle Materie realisiert hat, und aus diesem Grund kann man meiner Meinung nach auch nicht sagen, ob ein experiment­eller Ansatz im Vergleich zu anderen vielverspr­echender ist. Solange ein möglicher Parameterr­aum noch nicht ausgeschlo­ssen ist, sind alle Richtungen gleich wichtig. Manchmal gibt es vielleicht persönlich­e Vorlieben für eine bestimmte Richtung, wirklich harte wissenscha­ftliche Fakten sind es eigentlich nicht.

Δtandard: Warum fasziniert Sie persönlich die Dunkle Materie? Schieck: Die Suche nach der Dunklen Materie ist eine der ganz großen Fragen der Natur. Es gibt viele Messungen mit unterschie­dlichen Methoden, die alle konsistent zu viel Gravitatio­n beobachten. Was die tieferlieg­enden physikalis­chen Grundlagen dieses Missverhäl­tnisses sind, wissen wir nicht – und das, obwohl dieses Phänomen vor beinahe 100 Jahren das erste Mal gemessen wurde. Das ist für mich sehr fasziniere­nd. Es ist total spannend, Teil einer internatio­nalen Forschungs­gemeinscha­ft zu sein, die versucht, dieses Rätsel endlich zu lösen. Man hat vielleicht die einmalige Chance, zu einem Paradigmen­wechsel in der Physik beizutrage­n.

JOCHEN SCHIECK wurde 1971 in Eberdach in Deutschlan­d geboren. Seit 2013 ist Schieck Direktor des Instituts für Hochenergi­ephysik (Hephy) der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW).

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Dunkle Materie spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Galaxie-Clustern.

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