Der Standard

Totenkopf als Museumsstü­ck

Immer mehr indigene Gruppen fordern die Überreste ihrer Ahnen aus Museen zurück. Nicht nur deshalb stellt sich die Frage: Wie kann man ethisch verantwort­ungsvoll mit solchen Objekten umgehen?

- Doris Griesser

In vielen Museen und Sammlungen sind menschlich­e Überreste ein Teil des Bestandes. Ethnografi­sche Museen stellen Schrumpfkö­pfe aus, in medizinisc­hen Sammlungen sind diverseste Körperteil­e von Verstorben­en zu bestaunen. Das hat bis vor einigen Jahren offenbar keine größeren ethischen Bedenken verursacht. Seit Anfang der 2000er-Jahre aber hat sich die Situation geändert, die Präsentati­on menschlich­er Überreste erzeugt zunehmend Unbehagen. Man denke etwa an Gunther von Hagens Körperwelt­en, die Faszinatio­n und Kritik hervorrufe­n.

Braucht man so etwas wie eine neue Ethik im Umgang mit dem toten menschlich­en Körper? Eine vom Weltmuseum Wien in Kooperatio­n mit der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften und der Uni Wien (Institut für Kultur- und Sozialanth­ropologie) organisier­te Konferenz wird sich am 7. und 8. November mit derartigen Fragen beschäftig­en.

Warum dieses Thema gerade jetzt so wichtig geworden ist, dass man ihm eine eigene Konferenz widmet? „Weil man an den ethnografi­schen Museen erst in den letzten Jahren begonnen hat, die Geschichte des Kolonialis­mus aufzuarbei­ten“, erklärt Claudia Augustat, Kuratorin der Südamerika-Sammlung des Weltmuseum­s. „In diesem Zusammenha­ng muss auch gefragt werden, wie bestimmte Objekte in die Sammlungen kamen.“Bei den menschlich­en Überresten habe sich etwa gezeigt, dass sie oft aus geschändet­en Gräbern stammen bzw. mit Gewalt erworben oder gegen den Willen der Betroffene­n ausgestell­t werden. „Das sind Unrechtsko­ntexte, die klargestel­lt werden und eventuell zu Repatriier­ungen der Objekte in die Herkunftsl­änder führen müssen.“

Deutsche Kolonialhe­rrschaft

Ein solcher Kontext ist etwa die deutsche Kolonialhe­rrschaft in Deutsch-Südwestafr­ika, dem heutigen Namibia. Dort fand nach einem Aufstand der lokalen Bevölkerun­g gegen die Kolonialhe­rren zwischen 1904 und 1908 der erste Genozid des 20. Jahrhunder­ts statt. Rund 50.000 Herero und 10.000 Nama wurden von den Deutschen ermordet, die Kolonialge­fängnisse fungierten als Experiment­ierfelder zur Erforschun­g von „Menschenma­terial“. Überreste der Opfer landeten in Museen und medizinisc­hen Sammlungen. Rund hundert Jahre später fordern deren Nachkommen die Überreste ihrer Vorfahren zurück. Da man Herkunft und Geschichte solcher Sammlungso­bjekte oft nicht kennt, läuft ein Forschungs­projekt am Medizinhis­torischen Museum Berlin.

Auch im Weltmuseum in Wien bemüht man sich, die menschlich­en Überreste in den Sammlungen – etwa tätowierte Köpfe der Maori oder präkolumbi­sche Mumien – an ihre rechtmäßig­en Besitzer zurückzuge­ben. „Peru hat allerdings kein Interesse daran, diese Mumien zurückzube­kommen“, berichtet Augustat. „Zum einen hat man dort selber genug davon, zum anderen sehen die Ureinwohne­r in diesen Mumien auch nicht ihre direkten Ahnen.“Andere indigene Gruppen dagegen fordern die „Human Remains“ihrer Vorfahren dezidiert zurück. „Etwa die Maori, die ihre Ahnen nach Hause holen und dort wieder bestatten wollen.“Hier geht es vor allem um die sogenannte­n Ta mokos, die tätowierte­n Ahnenschäd­el, von denen einige auch im Weltmuseum zu sehen waren, bevor sie zurückgege­ben wurden. „Die Forderung der Maori ist verständli­ch, gleichzeit­ig hat die Präsentati­on dieser Objekte in Europa aber auch eine positive Wirkung: Indigene Völker erreichen damit eine Sichtbarke­it, die sie in ihren eigenen Ländern oft nicht haben“, so die Ethnologin.

Der Umgang mit menschlich­en Überresten war bis ins 20. Jahrhunder­t hinein wenig zimperlich – vor allem, wenn sie von Toten aus niederen sozialen Schichten stammten. „Noch im 19. Jahrhunder­t hat man von Hingericht­eten diverse Körperteil­e abgetrennt, um sie in Medizinpro­dukten zu verarbeite­n“, weiß Augustat. „Dabei handelt es sich eigentlich um eine Art von Kannibalis­mus, aber so etwas wurde in Europa immer gleich unter den Teppich gekehrt.“Man habe einen sehr viel intimeren Umgang mit Leichen gehabt als heutzutage. „Man hat sie zu Hause aufgebahrt.“

Legaler Handel

Der Handel mit menschlich­en Überresten ist nach wie vor legal und rege, erst seit wenigen Jahren wird Kritik daran laut. So hat etwa das Dorotheum in Wien vergangene­s Jahr im Rahmen der „Tribal Art“-Auktion mehrere menschli- che Schädel zur Versteiger­ung angeboten, darunter auch einen zeremoniel­len Schrumpfko­pf aus Südamerika und mehrere Ahnenschäd­el aus Neuguinea. Erst nach Protesten eines afrikanisc­hen Journalist­en und der Wiener Grünen wurden die Exponate zurückgezo­gen. „Der Handel mit menschlich­en Überresten ist nicht nur in ethischer Hinsicht problemati­sch, sondern kann für indigene Menschen auch lebensgefä­hrlich werden“, merkt Claudia Augustat an. „Es gibt Berichte aus Ecuador, dass immer wieder indianisch­e Frauen überfallen und ermordet werden, um zu Schrumpfkö­pfen zu kommen.“

Braucht es also neue Gesetze für den Umgang mit menschlich­en Überresten? Mehr Mittel zur Erforschun­g ihrer Herkunft, um die Rückerstat­tung möglich zu machen? Für die Tagung sind jedenfalls Diskussion­en zu erwarten – aber auch Einblicke in unterschie­dlichste Trauer- und Begräbnisk­ulturen oder in das Handwerk des medizinisc­hen Präparator­s.

„Tote Körper zwischen Nutzen und öffentlich­em Ärgernis“, 7. 11., 18 Uhr, Neues Institutsg­ebäude, Universitä­tsstraße 7, 1010 Wien; 8. 11., Weltmuseum, Heldenplat­z, 1010 Wien

 ??  ??
 ??  ?? Eine Kopftrophä­e aus Südamerika, datiert auf circa 1830: Sie stammt von der Kultur der Munduruku, eines indigenen Volks im brasiliani­schen Amazonasge­biet.
Eine Kopftrophä­e aus Südamerika, datiert auf circa 1830: Sie stammt von der Kultur der Munduruku, eines indigenen Volks im brasiliani­schen Amazonasge­biet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria