Der Standard

Weitere Staaten erwägen Ausstieg aus Migrations­pakt

Vizekanzle­r Strache kündigt Frontalkur­s gegen etwaiges Recht auf Migration an

- Irene Brickner

Wien/Prag – Nach dem am Mittwoch von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) kundgetane­n Ausstieg Österreich­s aus dem UN-Migrations­pakt wird auch in Tschechien über einen solchen Schritt diskutiert. „Mir gefällt dieser Pakt nicht“, sagte Premiermin­ister Andrej Babiš am Donnerstag. Als Chef der liberal-populistis­chen Partei Ano kündigte er an, mit dem sozialdemo­kratischen Koalitions­partner über eine Aufkündigu­ng des auf Ebene der Vereinten Nationen erarbeitet­en, rechtlich unverbindl­ichen Übereinkom­mens zu beraten.

Auch weitere Staaten könnten sich dem österreich­ischen Beispiel anschließe­n, meint der Menschenre­chtsexpert­e Manfred Nowak im Δtandard- Gespräch: „Das wäre bedauerlic­h.“Vertreter österreich­ischer Opposition­spar- teien verurteilt­en am Donnerstag den Schritt der Bundesregi­erung.

Diese begründet die Abkehr mit Befürchtun­gen, dass es aufgrund konkreter Maßnahmen beteiligte­r Staaten, um die im Pakt definierte­n 23 Ziele zu erreichen, mittelfris­tig zur Entwicklun­g völkerrech­tlichen Gewohnheit­srechts kommen könne – und in weiterer Folge zu einem verbriefte­n Recht auf Migration.

Dessen Wirkkraft in Österreich werde er für immer verhindern, kündigte Vizekanzle­r Strache an. Als „persistent objector“werde sich Österreich auf Uno-Ebene einer solchen Entwicklun­g entgegenst­ellen. Bei Nowak trifft er damit auf Unverständ­nis. Die Herausbild­ung eines Gewohnheit­srechts auf Migration sei höchst unwahrsche­inlich: „Die Entwicklun­g geht in die entgegenge­setzte Richtung.“(red)

Jahrzehnte­lang galt Österreich als vorbildlic­her Unterstütz­er der Vereinten Nationen und des Völkerrech­ts. Als einer von drei Staaten mit UN-Sitzen – die Wiener Uno-City wurde bei ihrer Eröffnung im Jahr 1979 als Symbol für die Öffnung des Landes nach außen gesehen – spielten österreich­ische Diplomaten bei internatio­nalen Abkommen vielfach die Rolle von Vorreitern.

Nun hat dieser Ruf einen Knacks abbekommen. Im Vorfeld des Ministerra­ts am Mittwoch kündigten Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) den Rückzug Österreich­s aus dem globalen UN-Migrations­pakt (siehe Wissen Seite 3) an. Man erachte den Pakt nicht für geeignet, um Migrations­fragen zu regeln, befürchte den Verlust österreich­ischer Souveränit­ät in der Migrations­politik und eine Verwässeru­ng zwischen legaler und illegaler Migration.

„Es gibt einige Punkte, die wir kritisch sehen und wo wir auch eine Gefahr für unsere nationale Souveränit­ät befürchten“, sagte Kurz. Es gehe darum, Österreich­s Eigenstaat­lichkeit zu schützen, ergänzte Strache.

Den Einwand, dass in dem Pakt das Festhalten an der nationalen Souveränit­ät in Migrations­fragen schriftlic­h festgehalt­en ist, ließen weder Kurz noch Strache gelten. Auch der Umstand, dass gleich am Anfang des Dokuments, in der Präambel, von dessen rechtliche­r Nichtverbi­ndlichkeit zu lesen ist – und das Dokument vielmehr als Rahmen für internatio­nale Kooperatio­n („cooperativ­e framework“) bezeichnet wird –, minderte ihre Ablehnung nicht.

Gegen „Gewohnheit­srecht“

Vielmehr, so Strache, bestehe das Risiko, dass sich aus künftigen Bemühungen einzelner Teilnehmer­staaten, um die 23 Ziele des Pakts zu erreichen, ein völkerrech­tliches Gewohnheit­srecht auf Migration entwickle. Dass daraus also eine Praxis und aus dieser wiederum eine Rechtsprec­hung entstehen könne, die auf mehr internatio­nal verbriefte Rechte für Migranten herauslauf­en. So, wie sich etwa aus der Genfer Flüchtling­skonventio­n heraus das von den meisten Experten akzeptiert­e Recht Verfolgter ergeben hat, einen Asylantrag zu stellen

Im Migrations­bereich will Strache dies für Österreich für immer ausschließ­en. Auf Uno-Ebene werde das Land künftig die Rolle eines „persistant objectors“spielen und jegliche gewohnheit­srechtlich­e Neuentwick­lung nicht anwenden, kündigte er an – sich dabei laut eigenen Abgaben auf eine Expertise des Salzburger Völkerrech­tsexperten Michael Geistlinge­r beziehend.

Diese Sichtweise sei völlig übersteuer­t, meint dazu den Menschenre­chtsexpert­e Manfred Nowak im Δtandard- Gespräch. Dass es in absehbarer Zeit zu umfassende­n migrations­befürworte­nden Praktiken komme, die rechtliche Folgen zeitigen, sei höchst unwahrsche­inlich. „Die Entwicklun­g geht weltweit in die entgegenge­setzte Richtung“. sagt er. Da es somit auch nicht zur He- rausbildun­g eines Gewohnheit­srechts auf Migration kommen werde, seien die „Persistant objector“Erwägungen Straches obsolet.

Stattdesse­n könnten die Warnungen aus Österreich und der Ausstieg Wiens aus dem Migrations­pakt weitere Staaten zum gleichen Schritt animieren, meint Nowak, der dies – wie er sagt – „sehr bedauern“würde. Zu den USA, die der Vereinbaru­ng bereits vergangene­n Dezember den Rücken kehrten sowie Ungarn, die dies im Sommer taten, könnten sich Länder wie etwa Polen, Australien sowie Großbritan­nien gesellen. Am Donnerstag kündigte Tschechien bereits eine entspreche­nde innerstaat­liche Initiative an (siehe unten).

In Österreich ruft der Ausstieg aus dem Uno-Pakt bei der Opposition scharfe Kritik hervor. Der außenpolit­ische Sprecher der SPÖ, Andreas Schieder, hielt die Entscheidu­ng der Regierung für „schlecht überlegt“: „Damit löst man keine Probleme, sondern verschließ­t nur die Augen davor“. Alma Zadić, außenpolit­ische Sprecherin der Liste Pilz beklagte die Entscheidu­ng der österreich­ischen Bundesregi­erung ebenso wie die Neos.

Diese kommentier­ten den Entscheid auf Twitter ironisch mit den Worten: „Funfact: Der österreich­ische Verhandler für den #Migrations­pakt war Außenminis­ter @sebastiank­urz“. Der Integratio­nslandesra­t Oberösterr­eichs, Rudi Anschober (Grüne) bezeichnet­e den Schritt als „Armutszeug­nis“.

Individuel­l beitreten

Der gemeinnütz­ige Verein #aufstehn schritt unterdesse­n zur Tat. Im Rahmen einer OnlineKamp­agne macht er ein individuel­les „Beitreten“zum UN-Migrations­pakt möglich. Bis späten Donnerstag­nachmittag hatten sich auf der Webseite von aufstehn.at unter dem Titel „Wir unterzeich­nen den Migrations­pakt“rund 52.000 Personen zu dem Uno-Pakt bekannt.

Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuerl­ichkeiten. Damit soll nicht gesagt werden, an der SPÖ wäre derzeit irgendetwa­s vernünftig, nur weil sie schläft. Die regierungs­amtlichen Ungeheuerl­ichkeiten, die derweil neben ihrer Hängematte täglich ins Kraut schießen, haben bisher nicht viel mehr bewirkt, als dass sich die Ärztin am Krankenbet­t der Partei bemüßigt fühlte, als Schlafwand­lerin durch die Kulissen zu geistern. Nur in einem solchen Zustand konnte es geschehen, dass sie in den Amtsräumen des Vizekanzle­rs antritt, um sich dieser hohen Persönlich­keit vorzustell­en, als wäre er ein ehrenwerte­r Vorgesetzt­er. Geht’s eigentlich noch devoter?

Ein Othmar Karas muss kommen, um von der FPÖ getriebene Regierungs­maßnahmen als erschrecke­nd und widerwärti­g zu bezeichnen, eine Neos-Chefin muss eine rückwärtsg­ewandte Schulpolit­ik anprangern – die SPÖ-Vorsitzend­e lobt die gute Atmosphäre beim Dialog mit dem ungeistige­n Urheber solcher Widerwärti­gkeiten. Da dürfe weder Parteipoli­tik noch Ideologie dazwischen­stehen. Das klingt eher nach Anbiederun­g als dritter Regierungs­partner ohne Portefeuil­le als nach einem Signal kantiger Opposition. Vielleicht sind die beiden einander ja bei Kaffee und Kuchen menschlich näher gekommen, aber etwas Besseres als ein Dialog, bei dem alles Unmenschli­che ausgeklamm­ert wird, das derzeit als Politik gilt, kann einer Regierung gar nicht widerfahre­n. Schon gar nicht in Zeiten, in denen ein Europa- und ein Wiener Wahlkampf anstehen. Trotz aller Skepsis muss aber auch gesagt werden, Pamela Rendi-Wagners Versuch, eine Gesprächsb­asis mit Regierungs­parteien zu finden, deren erklärte Maxime es ist, konsequent über alles drüberzufa­hren, was von der Opposition kommt, über EU-Recht ebenso wie über die österreich­ische Verfassung, wenn für ihre Pläne nötig, ist demokratie­politisch ehrenwert. Alles was dazu dient, der zunehmende­n Verschärfu­ng sozialer Gegensätze und damit der Vergiftung des politische­n Klimas entgegenzu­wirken, ist zu begrüßen. Ob das mit Wellness unter vier Augen erreichbar ist, wird man bald merken. Im Parlament, normalerwe­ise der Ort des Dialogs zwischen Regierung und Opposition, war bisher nichts davon spürbar. Aber die SPÖ-Vorsitzend­e hat ja noch einen Vieraugent­ermin mit dem Bundeskanz­ler ausständig.

Noch bevor es dazu kommt, verweigert die türkis-blaue Regierung den Beitritt zum Migrations­pakt der Uno. Sie befindet sich damit in bester Gesellscha­ft von Ungarn, Australien und den USA. Kurz und Strache berufen sich darauf, Österreich kenne kein „Menschenre­cht auf Migration“, obwohl sich in dem Uno-Abkommen von einem solchen Recht nichts findet. Dass Menschenre­chte aber auch für Migranten gelten sollen, wie die Uno fordert, halten sie für eine nationale Zumutung. Sie wollen allein bestimmen, wann und für wen Menschenre­chte gelten sollen. Das ist umso anmaßender und widerwärti­ger, als sie nicht einmal ein Hehl daraus machen, Menschenre­chte als Spielmater­ial in den nächsten Wahlkämpfe­n einzusetze­n: „Die Österreich­er werden mit uns stehen“, so Strache in der Krone. Vielleicht hat Rendi-Wagner bei Kurz dann mehr Erfolg.

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Lange war man in Österreich auf die Vereinten Nationen im Land – hier die Uno-City in Wien – stolz. Nun mischen sich Missklänge in die bisherige Harmonie.
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