Der Standard

Hoffnung auf Brexit-Deal

Eine angebliche Einigung sorgt für große Erwartunge­n an den Börsen

- Sebastian Borger aus London

Brexit-Minister Dominic Raab verbreitet Optimismus, was einen möglichen baldigen Deal zwischen der EU und London angeht.

Stehen London und die EU kurz vor einem Deal für Finanzdien­stleister? Die Hoffnung darauf ließ in der Nacht zum Donnerstag das britische Pfund an den internatio­nalen Märkten in die Höhe schnellen, in London notierte es im Morgenhand­el um beinahe ein Prozent höher. Offiziell warnen beide Seiten vor übergroßen Erwartunge­n, die britische Regierung von Premiermin­isterin Theresa May drängt zunehmend auf Kompromiss­e.

Bereits am Mittwoch hatten Äußerungen von Brexit-Minister Dominic Raab für Verwirrung gesorgt. In einem Brief an den Brexit-Ausschuss des Unterhause­s schrieb er: „Das Ende der Gespräche ist in Sicht.“Er könne dem Gremium am 21. November Rede und Antwort über einen Deal stehen, wodurch er eine Einigung in den nächsten beiden Wochen vorhersagt­e. Nach skeptische­n Kommentare­n aus Brüssel ruderte das Ministeriu­m am Abend zurück: Der Termin sei vom Ausschuss vorgeschla­gen und von Raab aus Höflichkei­t akzeptiert worden.

Der Bericht der Times über einen „vorläufige­n“Deal für Finanzdien­stleister entspricht den Wünschen Londons. Um das Verhandlun­gspaket gegen den Widerstand ihrer eigenen Brexit-Ultras durchs Unterhaus zu bringen, benötigt Premiermin­isterin May gute Nachrichte­n. Sollte die 68 Milliarden Pfund (77 Milliarden Euro) schwere Branche guten Zugang zum Kontinent erreichen, ließen sich unangenehm­e Kröten leichter schlucken.

Zugang zum Binnenmark­t

Allerdings streiten die Lobbyisten des weltweit größten Finanzzent­rums darüber, ob der angebliche Deal überhaupt vorteilhaf­t sei. Dem Weißbuch der Regierung zufolge will Großbritan­nien zwar teilweise im Binnenmark­t für Güter bleiben, bei Dienstleis­tungen aber eigene Wege gehen. Damit würde der bisher reibungslo­se Zugang der Finanzindu­strie zum Binnenmark­t deutlich schwierige­r. Als dies im Juli bekannt wurde, war die Empörung groß: Die angestrebt­e Lösung sei „ein echter Tiefschlag“für ihren Sektor, kritisiert­e Catherine McGuinness von der City of London.

Die jetzt in Aussicht gestellte Vereinbaru­ng spricht von einer „Gleichstel­lung“der Regulierun­g auf beiden Seiten des Kanals. In der Praxis bedeutet dies, dass London etwaige neue EU-Regeln übernehmen müsste, ohne am Verhandlun­gstisch mitreden zu können. Brüssel könnte diese bittere Pille dadurch versüßen, dass britische Experten als Beisitzer ohne Stimmrecht in den entspreche­nden Gremien vertreten sind.

Seit dem Sommer mehren sich Berichte über internatio­nale Banken, die Vorkehrung­en gegen einen harten oder gar ChaosBrexi­t treffen. Die US-Investment­bank Goldman Sachs hat Büros in Frankfurt, Paris und Mailand verstärkt, die Bank of America verlegt ihren Europahaup­tsitz nach Dublin. Einer Studie des Beratungsu­nternehmen­s EY zufolge plant rund ein Drittel von 222 befragten Finanzunte­rnehmen den teilweisen oder gänzlichen Wegzug aus London.

Allesamt wollen sie weiterhin ungehinder­t vom EU-Finanzbinn­enmarkt profitiere­n. Selbst der jetzt in Aussicht stehende Deal würde dies nur mit Einschränk­ungen ermögliche­n.

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