Der Standard

„Hier gibt es keine Einwanderu­ngspolitik“

Der Uno-Migrations­pakt wirke sich weder direkt noch indirekt auf die Rechtslage in Österreich aus, sagt der Experte Andreas Schloenhar­dt. Er kritisiert den von der Regierung angekündig­ten Ausstieg.

- INTERVIEW: Kim Son Hoang

Δtandard: Sie haben an der Entstehung des UN-Migrations­pakts mitgewirkt. Nun hat die österreich­ische Regierung bekanntgeg­eben, ihn nicht zu unterzeich­nen. Begründet wird das vor allem damit, die nationale Souveränit­ät zu wahren. Würde der Pakt diese wirklich betreffen? Schloenhar­dt: Grundsätzl­ich muss einmal gesagt werden, dass er im Original „Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“heißt. Die deutsche Bezeichnun­g „Migrations­pakt“ist etwas missverstä­ndlich, eigentlich ein Overstatem­ent. Es ist eine Art Werkzeugbo­x für Fragen, die sich mit Migration befassen, erarbeitet von den UN-Mitgliedss­taaten, also auch von Österreich. Es geht darum, Rahmenbedi­ngungen zu artikulier­en und bestehende Übereinkom­men in Erinnerung zu rufen, um zu sehen, wie man vernünftig mit Migration umgehen kann. In diesem Bereich gibt es nichts Verpflicht­endes, und der Pakt schafft auch nichts Verpflicht­endes. Der Pakt wirkt sich weder direkt noch indirekt auf die österreich­ische Rechtslage aus. Der Gesetzgebe­r kann sich davon inspiriere­n lassen, aber er muss nicht.

Δtandard: Die Regierung vermutet, dass der Pakt über Völkergewo­hnheitsrec­ht bindend werden könnte. Schloenhar­dt: Das ist schlichtwe­g falsch. Internatio­nales Gewohnheit­srecht erstreckt sich auf kleine Bereiche, die sich mit zwischenst­aatlichen Konflikten befassen, und es dauert Jahrzehnte oder gar Jahrhunder­te, bis es sich entwickelt. Davon kann hier nicht die Rede sein.

Δtandard: Die Regierung lehnt 17 Punkte des Paktes ab. Konkret wird unter anderem moniert, dass die Rechte von Migranten gestärkt werden sollen, etwa durch besseren Zugang zu Arbeitsmär­kten oder Sozialvers­icherungss­ystemen oder durch die Erleichter­ung von Familienzu­sammenführ­ungen. Das klingt ja, ob nun verbindlic­h oder nicht, doch stark nach Einmischun­g in nationale Angelegenh­eiten und nicht nach Rahmenbedi­ngungen. Schloenhar­dt: Die Idee des Paktes entstand 2016, kurz nachdem es durch Migrations­bewegungen zu chaotische­n Szenen gekommen war – auch in Österreich, Stichwort Balkanrout­e. Die Idee war, dass es bessere Mittel und Wege gibt, damit umzugehen. Die zwei wesentlich­en Punkte: Den Staaten soll die Möglichkei­t gegeben werden, Migration besser zu kontrollie­ren. Gleichzeit­ig sollen die Gefahren und Risiken für Migranten gemindert werden. Es soll nicht dazu kommen, dass Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, um von A nach B zu kommen. Daraus ergeben sich aber weder irgendwelc­he Rechte für Migranten noch irgendwelc­he Verpflicht­ungen für die Staaten. Es geht lediglich darum, einen richtigen Umgang mit Migration zu diskutiere­n. Ein Chaos, wie es das derzeit in Mexiko gibt, soll verhindert werden.

Δtandard: Nehmen wir Mexiko her oder die Situation im Mittelmeer: Was würde der Migrations­pakt dort konkret verbessern? Schloenhar­dt: Er hat nicht die Möglichkei­t, die Situation von Menschen von heute auf morgen zu verbessern, irgendwelc­he Türen zu öffnen oder Abschiebun­gen zu ermögliche­n. Das ist nicht der Sinn des Paktes. Migration als Ganzes anzudenken, das gibt es bisher nicht. Das sieht man gut am Beispiel Österreich. Hier gibt es keine Einwanderu­ngspolitik und kein Einwanderu­ngssystem.

Δtandard: Es heißt vonseiten der Regierung auch, der Pakt würde die Unterschei­dung zwischen legaler und illegaler Migration verwässern. Schloenhar­dt: Es ist zynisch, dass gerade diese Regierung das sagt. ÖVP und FPÖ sind vor etwa eineinhalb Jahren in den Nationalra­tswahlkamp­f gegangen mit der Grundbotsc­haft, illegale Migration zu bekämpfen. Genau das steht im Vordergrun­d des Paktes. Es geht um vernünftig­e Wege, um illegaler Migration vorzubeuge­n. Damit soll auch die nationale Souveränit­ät der Staaten untermauer­t werden.

Δtandard: Kritik an dem Pakt gibt es aber nicht nur von der Regierung. Die „NZZ“etwa schreibt, dass der Pakt zwar rechtlich nicht verbindlic­h ist, aber Empfehlung­en abgibt, über deren Erfüllung oder Nichterfül­lung man Rechenscha­ft ablegen muss. Schloenhar­dt: Das so zu formuliere­n ist etwas übertriebe­n. Aber: Es gibt keinen Präzedenzf­all für einen derartigen Pakt in irgendeine­m Rechtsbere­ich, also lässt sich auch schwer sagen, wie die weitere Entwicklun­g dann sein wird. Bewusst wird von einem „Global Compact“gesprochen, weil man nichts Verbindlic­hes haben wollte. Deshalb heißt es auch nicht Übereinkom­men oder Deklaratio­n, was völkerrech­tlich durchsetzb­arer wäre. Genau deshalb lässt sich der Pakt so schwierig einordnen – und deshalb auch seine Zukunft. Man will natürlich nicht ein Papier haben, das schnell in Vergessenh­eit gerät. Es soll ein aktives Papier sein, und daher wird es sicher Konferenze­n und Besprechun­gen darüber geben. Das ist auch sinnvoll, der Pakt soll ja eine Dynamik entwickeln und sich vielleicht auch an neue Entwicklun­gen anpassen können. Das bedeutet aber nicht, dass es eine Verpflicht­ung gibt, Bericht erstatten zu müssen, was man unternomme­n hat und was nicht. Das gibt es bei den wenigsten völkerrech­tlichen Verträgen, und bei diesem Pakt schon gar nicht.

Δtandard: Wenn er nicht verbindlic­h ist, wenn man nicht Bericht erstatten muss, wenn man darüber diskutiere­n soll, aber mehr nicht: Wieso benötigt man den Pakt dann überhaupt? Über Migration kann man auch so reden. Schloenhar­dt: Es ist eine Willenserk­lärung. Man bekennt sich dazu, Verantwort­ung zu übernehmen in diesem wichtigen Bereich. Man kann sich übrigens von bestimmten Punkten des Paktes distanzier­en, diese Möglichkei­t besteht. Insofern halte ich die Reaktion der österreich­ischen Regierung für übertriebe­n.

ANDREAS SCHLOENHAR­DT (44) ist Professori­al Research Fellow an der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Uni Wien und Professor für Strafrecht an der University of Queensland in Brisbane.

 ??  ?? Andreas Schloenhar­dt hat am UN-Migrations­pakt mitgearbei­tet. Darin gehen es darum, Migration zu kontrollie­ren.
Andreas Schloenhar­dt hat am UN-Migrations­pakt mitgearbei­tet. Darin gehen es darum, Migration zu kontrollie­ren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria