Der Standard

Khashoggi in Säure aufgelöst

Neue Versionen des Mordes im saudischen Konsulat

- Markus Bernath

Vier Wochen nach der Ermordung des Journalist­en Jamal Khashoggi im saudischen Generalkon­sulat in Istanbul hält die türkische Seite den politische­n Druck auf das saudische Königshaus aufrecht, indem sie weiter neue Details und Versionen des Verbrechen­s verbreitet.

Khashoggis Leiche könnte im Garten der Residenz des Konsuls mit Säure zersetzt worden sein, berichtete die Washington Post am Donnerstag unter Berufung auf einen ungenannte­n türkischen Regierungs­vertreter. „Khashoggis Leiche musste nicht bestattet werden“, zitierte die Zeitung ihre Quelle. Justizmini­ster Abdülhamit Gül forderte gleichwohl die saudische Führung auf, Antwort auf die Frage nach Khashoggis Leiche zu geben. Es dürfe keine Vertuschun­gen geben, sagte Gül.

Der Minister äußerte sich nach einem offenbar ergebnislo­sen Besuch des saudischen Generalsta­atsanwalts Saud al-Mojeb in Istanbul Anfang der Woche. Der 59-jährige Khashoggi, ein Kritiker des faktisch regierende­n saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman, ging am 2. Oktober in das saudische Konsulat in Istanbul, um Papiere abzuholen. Im Konsulat wartete ein Killerkomm­ando auf ihn. Istanbuls Oberstaats­anwalt gab seinerseit­s zu Protokoll, Khashoggi sei gleich nach seinem Eintritt ins Konsulat erwürgt, seine Leiche dann zerstückel­t worden. Dies widerspric­ht der bisherigen türkischen Version von einer Zerstückel­ung am lebendigen Leib. Die türkische Polizei, die Khashoggi möglicherw­eise einen Sender mitgab, hat offenbar Bild- und Tonbeweise.

Was zuvor nur den türkischen Medien geleakt worden war, ist nunmehr, einen Monat nach der Tat, Gewissheit: Der saudische Publizist Jamal Khashoggi wurde im Generalkon­sulat seines Heimatstaa­ts in Istanbul nicht nur ermordet, sondern seine Leiche auch wirklich, wie kolportier­t, zerschnitt­en und entsorgt. Dennoch ist die grausame Geschichte aus den Headlines wieder nach unten gerutscht, mit einigem Recht wird eingeforde­rt, darüber nicht Gewalt und Repression anderswo zu vergessen. Aber im Gegensatz zu vielen anderen politische­n Verbrechen hat der Fall Khashoggi auch politische Wellen geschlagen, die lange nicht verebben werden.

Die saudische Führung wird wohl keine politische Verantwort­ung für die Tat übernehmen, da können die Täter noch so sehr dem Dunstkreis von Kronprinz Mohammed bin Salman zugerechne­t werden. Jene Staaten, die zu Riad gute Beziehunge­n pflegen, sind hin- und hergerisse­n zwischen Prinzipien und Nützlichke­itsdenken. Saudi-Arabien ist nicht nur ein Ölriese und potenter Waffenkäuf­er, sondern auch ein alter strategisc­her Partner des Westens.

In den USA würde Präsident Donald Trump – obwohl er nicht verbirgt, dass er den Saudis nicht glaubt – bestimmt ganz gerne zur Tagesordnu­ng zurückkehr­en. Aber der Druck, die Saudis nicht so leicht davonkomme­n zu lassen, ist groß: Zuletzt forderten mehrere republikan­ische Senatoren, die Gespräche über eine mögliche nukleare Kooperatio­n mit Riad abzubreche­n. Die US-Regierung scheint jedoch immerhin entschloss­en, die derzeitige Schwäche der Saudis zu nützen, um Bewegung in der Jemen-Diplomatie zu erzwingen: Verteidigu­ngsministe­r James Mattis verlangt nun eine Waffenruhe innerhalb eines Monats.

Natürlich liegt das nicht nur an Saudi-Arabien, sondern auch an den Huthi-Rebellen (die im Furor des Saudi-Bashings oft verharmlos­t werden). Aber Washington scheint Riad klarzumach­en, dass mehr als dreieinhal­b Jahre nach Beginn der saudischen Interventi­on die US-Unterstütz­ung für den Krieg, in dem die Saudis viel zu oft Zivilisten bombardier­en, ausläuft.

Ein weiteres Thema, bei dem die USA auf Bewegung drängen, ist der saudische Konflikt mit Katar: Eine Aufhebung der Isolierung des kleinen Staats durch Saudi-Arabien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate ist aber auch ein Anliegen der Türkei. Ankara hat weiterhin die Nachrichte­n zum Fall Khashoggi in der Hand – und setzt sie gut dosiert gegen Riad ein, wie soeben wieder.

Manche meinen ja, dass die Geschichte auch in SaudiArabi­en selbst noch lange nicht vorbei ist. Die Rückkehr des direkten Bruders von König Salman, Ahmed, ins Königreich gibt Anlass zu Spekulatio­nen. Manche in der schwer gespaltene­n Familie Saud würden Ahmed, dessen Gegnerscha­ft zum Kronprinze­n bekannt ist, gerne auf dem Thron sehen. Vielleicht ist Ahmed aber auch nur zurückgeko­mmen, weil er im Moment sicher sein kann, dass Mohammed bin Salman nichts gegen ihn unternehme­n kann.

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Foto: AP Wenig kooperativ: der saudische Staatsanwa­lt Mojeb in Istanbul.
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