Der Standard

Frankreich­s atomisiert­e Sozialiste­n

Die einst stolze Mitterrand-Partei reibt sich in Flügelkämp­fen auf und hat kaum noch Konzepte für die Zukunft

- Stefan Brändle aus Paris

Ein paar Nostalgike­r retteten noch ein paar Relikte aus glorreiche­n Zeiten: ein Wahlplakat aus dem Jahr 1981, als François Mitterrand seinen legendären Slogan „La force tranquille“(Die ruhige Kraft) kreierte und die Linke erstmals in den Élysée-Palast einzog. Oder eines von der Jahrtausen­dwende, als Premier Lionel Jospin die 35-StundenWoc­he durchgeset­zt hatte.

Die übrigen Souvenirs wurden von der Müllabfuhr entsorgt, als der Parti socialiste (PS) jüngst die Schlüssel des langjährig­en Parteisitz­es an der Pariser Rue de Solférino an die neuen Besitzer, eine Immobilien­firma, übergab. Eine Ära ging zu Ende. Vom „Solférino“, einem Zentrum politische­r Macht im noblen siebenten Stadtbezir­k, umgeben von Ministerie­n und Museen, ziehen die Sozialiste­n in die gesichtslo­se Vorstadt Ivry-sur-Seine um. Der Erlös von 45 Millionen Euro für den Parteisitz deckt nicht einmal die Schulden der Partei, die laut Radiosende­r RTL eine „Fahrt in die Hölle“erlebt.

Begonnen hatte diese paradoxerw­eise mit dem Wahlsieg des Sozialiste­n François Hollande bei den Präsidents­chaftswahl­en 2012: Mit betont linkem Anspruch („Ich mag die Reichen nicht“) angetreten, betrieb der Staatschef in der Folge eine unternehme­nsfreundli­che Wirtschaft­spolitik. Die Wähler fühlten sich verraten, die Linken in der Partei wandten sich ab. Der rechte Parteiflüg­el wiederum lief lieber mit fliegenden Fahnen zum liberalen Heils- verspreche­r Emmanuel Macron über.

Bei der Präsidents­chaftswahl 2017 erhielt der sozialisti­sche Kandidat Benoît Hamon nur 6,4 Prozent der Stimmen. Auch die verblieben­en „camarades“konnten sich nicht zusammenra­ufen: Hamon verließ die Partei, um zwischen der „Linksfront“und den Sozialiste­n einen Ableger namens Génération.s zu gründen.

Mitte Oktober ging der Spaltproze­ss weiter, als zwei wichtige Vertreter des halblinken Flügels die Partei verließen. „Der PS entspricht nicht mehr der Idee, die ich vom Sozialismu­s habe“, meinte einer der beiden, der Europaabge­ordnete Emmanuel Maurel. „Das Ziel ist die Verteidigu­ng der einfachen Leute mit dem Zusammensc­hluss aller Linkskräft­e. Der PS hat sowohl dieses Ziel als auch die Strategie aus den Augen verloren.“

Ziele erreicht

Der PS ist heute in der Tat die Partei der Lehrer und Beamten, die in Frankreich immerhin ein Fünftel aller Erwerbstät­igen ausmachen. Sie haben ihre gesellscha­ftlichen Ziele weitgehend erreicht: Frankreich wird heute sozialdemo­kratisch regiert, die Steuer- und Abgabenquo­te beläuft sich auf 46 Prozent, der Anteil der Staatsausg­aben am gesamten Wirtschaft­svolumen auf 54 Prozent. Die Arbeiter und sozial Benachteil­igten wählen jedoch lieber die Partei, die nicht wie der PS den Besitzstan­d verteidigt, sondern neue, härtere Forderunge­n anmeldet, wie dies die Linksfront von Jean-Luc Mélenchon vormacht. Und wer etwas gegen die Klimaerwär­mung tun will, wählt auch nicht mehr „socialiste“, sondern die Grünen, Hamon oder ebenfalls Mélenchon.

Die zweite Abtrünnige, die prominente Ex-Wohnbaumin­isterin Marie-Noëlle Lienemann, begründete ihren Austritt schlicht damit, der PS sei nur noch „ein Huhn ohne Kopf“. Der neue Parteichef Olivier Faure verströmt die Aura eines idealen Schwiegers­ohnes, bleibt aber auch ein halbes Jahr nach seiner Wahl eher unbekannt und im medialen Zirkus weitgehend abwesend.

Auch für die kommenden Europawahl­en bietet sich kein Zugpferd an: Viele Schwergewi­chte wie der heutige Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian sind seit langem zu Macron übergelauf­en. Expremier Manuel Valls engagiert sich politisch in seiner Herkunftss­tadt Barcelona. Martine Aubry bleibt lieber Bürgermeis­terin der Stadt Lille, Ségolène Royal Klimabotsc­hafterin, Pierre Moscovici EU-Kommissar. Bereit wäre nur Hollande, doch er gilt als „passé“– zu unpopulär, zu verbraucht. Ein wenig wie der PS.

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Der Erfolg von Emmanuel Macron (links) ging zu einem guten Teil auf Kosten des sozialisti­schen Kandidaten Benoît Hamon (rechts).

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