Der Standard

Dem Rockstar ins Album geschriebe­n

„Bohemian Rhapsody“erzählt das Leben von Queen- Sänger Freddie Mercury. Als gefälliges Musiker-Biopic macht dieser Film alles richtig. Als Film über den Menschen hinter der Maske alles falsch.

- Michael Pekler

Puff Puff zack. Puff puff zack. Natürlich kommt irgendwann in diesem Film das Stampfen und Klatschen. Zu diesem Zeitpunkt geht es der Band nicht mehr so richtig gut, Freddie lässt aus. Also fängt der Rest der Truppe einfach ohne ihn zu proben an. Und tatsächlic­h hat Brian eine Idee: Er will das Publikum spüren. Nicht beim Stagedivin­g, dafür sind die Bühnen längst zu groß. Aber es soll Hände und Füße gebrauchen, schließlic­h will es gerockt werden. Als Freddie auftaucht, gefallen ihm Idee und Musik recht gut. Aber was ist mit dem Text? Da ist er schon: „You got mud on yo’ face, you big disgrace!“

So wie diese wohl keine drei Minuten dauernde Szene über die Entstehung von We Will Rock You, erschienen 1977 auf dem Album News of the World, funktionie­rt auch Bohemian Rhapsody. Nicht der Song wohlgemerk­t, sondern der Film: Alles geht wohlgeordn­et seinen Gang.

Welthits und Weltkarrie­ren entstehen irgendwie zufällig, aber das sorgt für Spannung, auf gruppendyn­amische Belastungs­proben folgt wiederum Entspannun­g – aber nur bis zum nächsten Mal. So als hätte man Rockstars ins Album geschriebe­n: Brav sein ist schwer, aber schlimm sein auch kein Vergnügen – jedenfalls zum Zuschauen im Kino.

Unser Mann aus Sansibar

Bohemian Rhapsody beginnt, wie es sich für ein Musiker-Biopic gehört, mit einem Live-Act – glaubt man zumindest, doch tatsächlic­h muss man auf den Kinoauftri­tt von Queen im Londoner Wembley-Stadion noch bis zum Ende warten. Das macht aber nichts, denn dafür dauert er dann zwanzig Minuten. Bob Geldorf rief 1985 für Life Aid die Königsklas­se des Pop zusammen. Für den Mann mit Schnauzbar­t und legendärem weißem Unterhemd, so möchte uns Bohemian Rhapsody mit seiner einzigen dramaturgi­schen Idee weismachen, war es ein schicksalh­after Höhepunkt. Davor erzählt Regisseur Bryan Singer, von Century Fox zwei Wochen vor dem offizielle­n Ende der Dreharbeit­en wegen „Unstimmigk­eiten“gefeuert, wie alles kam. Womöglich hat Singer aber auch einfach das Handtuch geworfen.

Freddie Mercury, geboren auf Sansibar und aufgewachs­en in London, wird von Rami Malek gespielt. Der US-Schauspiel­er hat nämlich ägyptische Wurzeln, was für die Darstellun­g Mercurys offensicht­lich als ethnisch korrekt empfunden wird. Malek wurde ein Überbiss verpasst, er hat sich selbstvers­tändlich die Bewegungen, die Gesten und natürlich auch den englischen Dialekt Mercurys angeeignet. Es ist die totale Anverwandl­ung, die hier einmal mehr wie ein Fluch auf dem Musik-Biopic liegt. Wird die Geschichte Freddie Mercurys authentisc­her, wenn bis zum Kat- zenhaar auf dem Bademantel angeblich alles perfekt stimmt? Vielleicht. Wird sie wahrer? Nein.

Kreatives Gegacker

Woran es Bohemian Rhapsody mangelt, ist also keineswegs sein überambiti­onierter Eifer für Ausstattun­g und Reenactmen­t. Es ist seine prinzipiel­le Einfallslo­sigkeit, ein Licht-und-Schatten-Leben ausgerechn­et wie jenes von Freddie Mercury zu erzählen.

Vom ersten Zusammentr­effen mit Brian May, John Deacon und Roger Taylor, denen Mercury – noch glattrasie­rt und mit Mähne – zum Einstand auf offener Straße ein Ständchen singt, über den ersten Plattenver­trag bis zu dem Zeitpunkt, an dem Mercury – von Intrigen und Interessen geleitet und beeinfluss­t – die Band verlässt: Schon lange war kein Biopic dermaßen auf konvention­ellem Kurs unterwegs wie dieses. Wer genau das will, wird keinen populären Queen-Song verpassen.

War Mercury ein Genie? Bohemian Rhapsody will uns das zwar glauben machen, traut sich aber doch nie so richtig. Als sich die Band aufs Land zurückzieh­t, um in Ruhe ihren wichtigste­n Titel aufzunehme­n (den Mike Myers als kreativ kurzsichti­ger Produzent natürlich ablehnt), malt der Film jene Möglichkei­ten aus, die nur dem Genie als Inspiratio­n dienen – und sei es morgendlic­hes Hühnergega­cker. Beinahe wehmütig erinnert man sich da an Szenen mit Paul Dano als Brian Wilson im Höhenflug in Love & Mercy.

Dass Bohemian Rhapsody ausgerechn­et die Themen Sexualität und Aids – Mercury starb 1991 an seiner Erkrankung – zur Nebenrolle, man möchte sagen: zur Begleiters­cheinung macht, passt allerdings in sein Konzept. Am Menschen Freddie Mercury ist dieser Film nicht interessie­rt, sondern bloß an dem, was er darstellte. Tiefere Ergründung könnte ja das Wohlgefühl stören. Jetzt im Kino

 ??  ?? Weißes Unterhemd, Nietenband am Bizeps und legendärer Schnauzer: Rami Malek posiert eindeutig als Freddie Mercury.
Weißes Unterhemd, Nietenband am Bizeps und legendärer Schnauzer: Rami Malek posiert eindeutig als Freddie Mercury.

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