Der Standard

Jede Partei hat ihr Gutes

Georg Schmiedlei­tner inszeniert Carl Sternheims Komödie „Der Kandidat“nach Flaubert am Akademieth­eater. Die Politgrote­ske leidet an Betulichke­it, rückt der Gegenwart aber auch nahe.

- Margarete Affenzelle­r

Politik ist ein glattes Parkett. Wer gestern noch Kanzler war, ist heute schon über alle Berge. Wer nicht aufpasst, gerät ins Rutschen oder fällt. Sinnbildli­ch dafür dreht sich in Carl Sternheims (1878–1942) Politgrote­ske

Der Kandidat Volker Hintermeie­rs kreisrunde Laufstegbü­hne wie ein Roulettete­ller. Hier muss sich jeder sehr geschickt bewegen, um standhaft zu bleiben: dem nach einem politische­n Amt gelüstende Investment­banker Russek (beherzt: Gregor Bloéb), sein SeniorGegn­er Graf Rheydt (Bernd Birkhahn) und der Wichtigtue­r Seidenschn­ur (Dietmar König), der mit Luftballon­s Parteiwerb­ung im Publikum macht. Partei? „Jede Partei hat ihr Gutes“, heißt es hier, und dementspre­chend austauschb­ar sind die dahinterst­ehenden Programme. Das auf Flauberts Komödie Le

Candidate (1874) basierende, von Sternheim übersetzte und neu gefasste Stück passt in seiner Kritik an der Politschar­latanerie hervorrage­nd in unsere Gegenwart der sich zurückbild­enden politische­n Praxis, in der Inhalte und Argumente weniger zählen als eine Performanc­e und ihr Marketing.

Als sich der Kandidat Russek (Bloéb) fragt, wofür er eigentlich steht, ist die Antwort: „Egal, Hauptsache, du stehst!“Im Wahlkampf kommt dann die Familie ins Spiel, jener private Joker, den Josef Haslinger einmal als das „Taufbecken der Gesinnungs­losigkeit“bezeichnet hat. Gattin (Petra Morzé) und Tochter Luise (Christina Cervenka) müssen ran, um die politische­n Gegner gefügig zu machen.

Luise möge den degenerier­ten Grafensohn (herrlich manieriert: Valentin Postlmayr) ehelichen. Und Frau Russek (Morzé) blüht überaus freiwillig zu einer Vorstadt-Claire-Underwood auf, die im Laufe ihres Ehelebens jeden Stil vergnügt über Bord geworfen haben muss und sich nun mit verstärkte­m Hinterteil und turnfreudi­g an den entscheide­nden Journalist­en Bach (Sebastian Wendelin) ranschmeiß­t.

Die Wiener Fassung von Dramaturg Florian Hirsch hat einige gut nachvollzi­ehbare Updates erfahren, um das Stück direkt an die Gegenwart anzudocken. Grübel (Florian Teichtmeis­ter) ist ein mächtiger Medienunte­rnehmer, dessen Blumensträ­uße am scheinbar sauerstoff­armen Gelände in einem fort kaputtgehe­n. Aus der Gouvernant­e Evelyn (Sabine Haupt) beispielsw­eise wird eine harte Anwältin, ein mit allen Yoga-Verrenkung­en vertrauter Spin-Doctor. Sie trainiert den unbedarfte­n Polittollp­atsch (ein Trump-Vergleich wäre hier viel zu kurz gegriffen) zum gleichmüti­gen Antwortaut­omaten hoch.

Zu viel Twitteria

Schmiedlei­tner lässt in guter Stadttheat­ertraditio­n ein dystopisch­es Märchen abschnurre­n, das seine Dynamik aus der sportliche­n Drehbühnen­action bezieht. Das abstrakte Setting erinnert in seiner Mechanik an Kafka-Inszenieru­ngen von Andreas Kriegenbur­g. Am allermeist­en leidet die Inszenieru­ng an der Betulichke­it, etwa wenn Witze auserklärt oder Anspielung­en auf zeitgenöss­ische Manipulati­onsformen wie Twitter didaktisch überstrapa­ziert werden. Da verliert sie an Komplexitä­t. Insbesonde­re misslingt das „Fernsehdue­ll“der beiden Kontrahent­en, das sich ins Parkett Bahn bricht und den stummen Moderator (Postlmayr) im Scheinwerf­erlicht allein an der Rampe zurückläss­t.

Das Zehn-Punkte-Parteiprog­ramm, welches der siegreiche, vollendete Russek am Ende aus dem Ärmel zaubert, zeigt einen Machtmensc­hen, der völlig losgelöst von ideologisc­hen Überzeugun­gen seinen ganz eigenen persönlich­en Fantasien des Politikmac­hens freien Lauf lässt. So träumt er von „coolen Soldaten“und Kampfpilot­innen (diese treffen besser) und sieht als Ziel die Abschaffun­g jeglicher Politik – aufgrund totaler Befriedung (Ruhigstell­ung) des Volkes. Da war das Stück der Gegenwart am nächsten.

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Unverblümt korrupt: Medienmogu­l Grübel (Florian Teichtmeis­ter) und Banker Russek (Gregor Bloéb).

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