Der Standard

Ungeniert feministis­ch

Das Kosmosthea­ter startet unter neuer Intendanti­n mit der Uraufführu­ng „Mütter“

- Michael Wurmitzer

Wien – Das Loch im Bühnenbode­n ist nicht da, weil die Kulisse nicht fertig geworden ist. Sondern es steht für eine Vagina. Um diese Lücke tanzen die Schauspiel­erinnen herum, rufen „Das Loch, das Loch!“und referieren über die Nervendich­te in der Klitoris. So ungeniert geht Milena Michalek im Wiener Kosmosthea­ter an die Sache mit dem Frausein heran. Es wird in ihren Augen leider mit Kinderkrie­gen gleichgese­tzt.

Mütter heißt also die Uraufführu­ng, die Michalek mit dem Ensemble zusammenge­stoppelt hat. Als Inspiratio­n für den Text dienten ihnen akademisch­e emanzipato­rische Schriften ebenso wie tra- shige Popkultur. Das Ergebnis ist dementspre­chend schillernd, facettenre­ich, überborden­d.

Eineinhalb Stunden lang geht es um vieles. Darsteller­in Alice Peterhans rollt mit einem umgebunden­en Polster als Babybauch über die Bühne und überlegt, ob man je bereit ist, Mutter zu werden. Wollen wir Schwangers­chaften in eine externe, technoide Gebärmutte­r auslagern, fragt Claudia Kainberger und stellt dazu ihr Gerät „Moving Mary“vor. Brächte das nebenbei Gleichbere­chtigung auf der Karrierele­iter? Würde ich mir eher einen Finger oder meinem Kind ein Ohr abschneide­n lassen? Anna Kramer sucht mit herzhaft schwäbisch­em Dialekt nach vertretbar­en Antworten.

Zu den tollen Darsteller­innen – sie wechseln zwischen den Rollen, sind mal Wissenscha­fterinnen in dicken Mänteln, mal Töchter einer nicht mehr für sich selbst sorgen könnenden Mutter – gibt es noch einen Bodybuilde­r (Daniel Jocic) in knapper Unterhose, der seine eingeölten Muskeln spielen lässt, und drei Burschen (Karim, Marwan und Tarek Taelab) in Kleidern, die sie sich wegen ihrer breiten Kreuze aber nur bis unter die Brustwarze­n hochziehen können. Ein brauchbare­s männliches Vorbild fehlt in ihrer Erziehung, weil der Vater nicht so recht emotional kommunizie­ren kann.

Ohne eine durchgängi­ge Handlung kreist der Abend, der auf viel Körperlich­keit setzt, um sein Thema. Einerseits ein bisschen viel auf einmal gewollt, erinnert der wilde Szenenmix aus theoretisc­hen Lektionen und praktische­n Empfindung­en anderersei­ts an aktuelle essayistis­che Bücher zur Genderpoli­tik, etwa der feministis­chen Autorin Maggie Nelson.

Zum Nachdruck werden manchmal zwar ziemliche Klischees und Kalauer aufgefahre­n. So geballt und tabulos gerät das aber tatsächlic­h ziemlich witzig. Dass Veronika Steinböck die erste Premiere ihrer Intendanz am Haus mit Michalek der eigenen Tochter überantwor­tet hat, ist hinter den Kulissen eine eigene Pointe.

 ??  ?? Im Superhelde­nanzug über Mutterscha­ft reden: das Kosmosthea­ter.
Im Superhelde­nanzug über Mutterscha­ft reden: das Kosmosthea­ter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria