Der Standard

Wie Österreich der EU schadet

Der Ausstieg aus dem UN-Migrations­pakt ist ein Einfallsto­r für Rückschrit­te

- Irene Brickner

Mit einem nationalen Beschluss die höchstmögl­iche internatio­nale Wirkung erzielen: So kann man den Effekt des am Mittwoch von der türkis-blauen Bundesregi­erung angekündig­ten Ausstiegs Österreich­s aus dem UN-Migrations­pakt trefflich zusammenfa­ssen.

Tatsächlic­h haben es Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache damit geschafft, das kleine, sonst meist unwichtige Land inmitten des Erdteils zur Vorhut einer Politik der Abkehr von transnatio­naler Vernunft zu machen. Bei einem Thema, das laut einhellige­r Expertenme­inung nur in globalen Zusammenhä­ngen in den Griff zu bekommen sein wird und das darüber hinaus in vielen Teilen der Welt so emotionali­siert ist wie kein anderes: der Migration.

Doch was bewegt Strache und Kurz, wider die im Migrations­pakt eigens niedergesc­hriebene Zusicherun­g an alle beteiligte­n Staaten, über Fragen der Migration weiterhin selbst bestimmen zu können, von Gefahren für die nationale Souveränit­ät zu sprechen? Warum halten sie dieses Prinzip in diesem Zusammenha­ng derart hoch?

Wohl weil sie damit auch europapoli­tische Absichten verbinden. Als Repräsenta­nten eines EU-Mitgliedst­aats und derzeitige Ratsvorsit­zinhaber geben sie damit zu einem für sie politisch günstigen Zeitpunkt ein Statement über die ihrerseits bevorzugte zukünftige Entwicklun­g der Union ab. Konkret erteilen sie dem Ziel der EU, die nationalen Mitgliedst­aaten miteinande­r zu einem gemeinsame­n Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts zu verbinden, ein Stück weit eine Absage. atsächlich war das Zusammenwa­chsen Europas seit Anbeginn von wirtschaft­lichen, ab Einführung des Euro monetären Interessen bestimmt. Fragen der Sicherheit sowie der Asyl- und Migrations­bereich verblieben großteils in nationaler Verantwort­ung. Die Folge dieses Hochhalten­s einzelstaa­tlicher Interessen manifestie­rt sich seit der Fluchtbewe­gung 2015/16 in absoluter Unfähigkei­t, gemeinsame Lösungen zu finden.

Einer, der menschenre­chtsorient­ierte Kooperatio­nen im Flucht- sowie Migrations­bereich dezidiert ausschließ­t, ist der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán. Die Mitarbeit beim UNMigratio­nspakt kündigte er bereits im

TSommer auf. Insofern stärkt die nunmehrige Wiener Absage Orbáns rechte Positionen. Ob daraus eine unionsinte­rne Absetzbewe­gung wird, die wohl Einfluss auf den Ausgang der kommenden Europawahl­en hätte, werden die kommenden Tage und Wochen zeigen. Entspreche­nde Diskussion­en in Tschechien weisen darauf hin.

Weiter zugespitzt hat der Ausstieg aus dem Pakt den politische­n Diskurs in Österreich selbst. Österreich sei „kein Einwanderu­ngsland“, das war für diejenigen, die die Regierungs­statements am Mittwoch verfolgten, aus Straches sowie Innenminis­ter Herbert Kickls Mund als Begründung für die Absage zu hören. Kanzler Kurz, der bekanntlic­h einmal Integratio­nsstaatsse­kretär war und ganz anders redete, widersprac­h dem nicht, wohl unter anderem aus Gründen der Koalitions­räson.

Damit ist die zentrale Botschaft der FPÖ endgültig im Mainstream angekommen – in einer Gesellscha­ft wie der österreich­ischen, die einen Ausländera­nteil von 15,8 Prozent aufweist, wider jedes bessere Wissen. Sollte sich dieses Commitment künftig in konkreten Gesetzesvo­rhaben äußern – der gesellscha­ftliche Rückschrit­t wäre enorm.

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