Der Standard

Eine selbstkrit­ische KPÖ wird hundert Jahre alt

Die KPÖ, die drittältes­te kommunisti­sche Partei der Welt, feiert Geburtstag – mit viel Selbstkrit­ik.

- Conrad Seidl

Warum nur sind so wenige gekommen? Diese Frage stellten sich die österreich­ischen Kommuniste­n häufig, zum ersten Mal bei ihrer Gründungsv­ersammlung am 3. November 1918. Damals hatten sich kaum 50 linke Sozialdemo­kraten versammelt, um eine revolution­äre Partei zu gründen, nachdem Friedrich Adler (der eben erst vom Kaiser amnestiert­e Mörder des Ministerpr­äsidenten Karl Stürgkh) am Vortag abgelehnt hatte, sich an die Spitze einer solchen Bewegung zu stellen.

Der Grund für die geringe Beteiligun­g an der Gründungsv­ersammlung lag aber auch darin, dass gleichzeit­ig die Wahlen zu den Soldatenrä­ten angesetzt waren. Zur Erinnerung: Formell war Österreich-Ungarn in jenen Tagen noch Monarchie – viel hätte nicht gefehlt, und Österreich wäre zu einer Räterepubl­ik geworden.

Eine solche zu errichten war jedenfalls das Ziel der teilweise sehr jungen Parteimitg­lieder. Mitglied Nummer eins war die 23 Jahre alte Ruth Fischer, eine schillernd­e Linksextre­mistin, die später Chefin der deutschen KP wurde, danach bei Stalin in Ungnade fiel und noch später mit großem Eifer Joseph McCarthys Committee on Un-American Activities zuarbeitet­e.

Reale Gefahr der Diktatur

Der Umsturzpla­n, statt einer bürgerlich-demokratis­chen eine rote Republik zu errichten, scheiterte schon im ersten Anlauf – einige der Revolution­äre wurden verhaftet, aber bald auf freien Fuß gesetzt. Der heuer verstorben­e Historiker der Rätebewegu­ng, Hans Hautmann, konstatier­te nüchtern: „Die kommunisti­sche Bewegung verfügte eben – in Form der Roten Garde – über mehr Gewehre als die Polizei.“

Die Gefahr einer Sowjetisie­rung Österreich­s bestand also durchaus, und die kommunisti­sche Idee genoss besonders unter jungen Wiener Intellektu­ellen viele Sympathien. Unter Arbeitern blieb der Zulauf zur KP allerdings bescheiden. Das hatte einerseits damit zu tun, dass es der Sozialdemo­kratie gelang, die 1918 durchaus bedeutsame Rätebewegu­ng nach und nach zu neutralisi­eren. Anderersei­ts besetzte die sozialdemo­kratische SDAPDÖ ausgesproc­hen linke Positionen im Sinne des Austromarx­ismus. Während die Sozialdemo­kraten das Linzer Programm von 1926 entwickelt­en, verwickelt­en sich die Kommuniste­n in zum Teil persönlich motivierte Fraktionsk­ämpfe.

„Infolge der ultralinke­n Wendung der Komintern in den Jahren 1928/29 und der Übernahme der ‚Sozialfasc­hismustheo­rie‘, die die Sozialdemo­kratie als eigentlich­e Stütze des kapitalist­ischen Systems ansah, geriet die KPÖ Ende der 1920er-Jahre in die völlige Isolation“, schreibt der Parteihist­oriker Manfred Mugrauer im zur 100Jahr-Feier der Partei erscheinen­den Bildband Partei in Bewegung.

Getreu den wechselnde­n Vorgaben aus Moskau vollzogen die österreich­ischen Kommuniste­n all die Wendungen in „unkritisch­er Solidaritä­t“mit dem jeweiligen stalinisti­schen Kurs mit – und erreichten ihren vielleicht größten Einfluss auf die arbeitende Bevölkerun­g paradoxerw­eise in der Zeit von Autrofasch­ismus und Nazidiktat­ur: Hatte die legale KPÖ nur 4000 Mitglieder gehabt, wuchs ihre Mitglieder­zahl im Ständestaa­t auf 16.000. Der kommunisti- sche Journalist und Staatswiss­enschafter Alfred Klahr entwickelt­e Mitte der 1930er-Jahre die Idee einer „österreich­ischen Nation“– ein Begriff, den der freiheitli­che Populist Jörg Haider, selbst ein Verfassung­sjurist, später wegen seines Urhebers als „ideologisc­he Missgeburt“bezeichnet hat.

Das Bekenntnis der Kommuniste­n zu einem eigenständ­igen Österreich war jedenfalls ein wesentlich­er Faktor bei der Gründung der Zweiten Republik: Nachdem Stalin die vor Dollfuß, Schuschnig­g und später Hitler nach Russland geflüchtet­en sozialdemo­kratischen Schutzbünd­ler und mehr oder weniger internatio­nalistisch­en österreich­ischen Kommuniste­n mit oft aberwitzig­en „Spionage“-Vorwürfen in Schauproze­ssen dezimiert hatte, überlebte ein kleiner, linientreu­er Funktionär­sstab in Moskau. KPVorsitze­nder Johann Koplenig sprach ab 1942 immer wieder über Radio Moskau zu jenen in der damaligen Ostmark und zu von hier stammenden Wehrmachts­angehörige­n, die sich trauten, gegen die NS-Vorschrift­en „Feindsende­r“zu hören.

Bewaffnete­r Widerstand

Am 22. Oktober 1942 wurde vom in Moskau stationier­ten Sender Freies Österreich der Aufruf zur Bildung einer „Österreich­ischen Freiheitsf­ront“ausgestrah­lt, der die Wiedererri­chtung eines unabhängig­en Österreich­s propagiert­e und zum bewaffnete­n Widerstand gegen die Fremdherrs­chaft aufrief. Tatsächlic­h waren viele im Land verblieben­e Kommuniste­n Träger des bewaffnete­n Widerstand­s gegen die Nazis.

In der Moskauer Deklaratio­n der Alliierten hieß es am 30. Oktober 1943 über die Zukunft Österreich­s, „dass anlässlich der endgültige­n Abrechnung Bedachtnah­me darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetrage­n haben wird, unvermeidl­ich sein wird“.

Koplenig kehrte 1945 nach Österreich zurück und wirkte am Aufbau der Zweiten Republik mit. Allerdings blieben die Kommuniste­n bei Wahlen weit hinter ihren Erwartunge­n zurück: Bei der ersten Nationalra­tswahl am 25. November 1945 erreichten sie nur 5,42 Prozent der Stimmen und vier der damals 165 Mandate. Die KPÖ blieb bis 1947 in der Regierung Figl vertreten, 1956 erreichte sie zum letzten Mal Nationalra­tsmandate.

Wegen ihrer Treue zu Moskau (inklusive der Befürwortu­ng des Panzerkomm­unismus 1956 in Budapest und 1968 in Prag) und mancher öffentlich geäußerten Träume von einer Weltrevolu­tion (zu denen der Oktoberstr­eik 1950 passte) blieb die bundespoli­tische Bedeutung der KPÖ im Nachkriegs­österreich marginal.

Kulturell aber war sie überpropor­tional einflussre­ich – sei es durch den über alle Parteigren­zen hinweg anerkannte­n Volksbildn­er und zeitweilig­en Kulturstad­trat Viktor Matejka, sei es durch die Band Schmetterl­inge, die ihre Pro

letenpassi­on zuerst auf der Bühne des kommunisti­schen Stand Up Club in Fischamend zeigen konnten. Und über ihre Betriebs- und Basisarbei­t blieben die Kommuniste­n vor allem in der steirische­n Politik erfolgreic­h.

Dennoch gibt der derzeitige Vorsitzend­e Mirko Messner zu: „Uns ist es bis heute nicht gelungen, aus dem Schatten der Sozialdemo­kratie herauszutr­eten.“

 ??  ?? KP-Maiaufmars­ch im Jahr 1950 in selbstgewä­hlter „unkritisch­er Solidaritä­t mit der Sowjetunio­n“.
KP-Maiaufmars­ch im Jahr 1950 in selbstgewä­hlter „unkritisch­er Solidaritä­t mit der Sowjetunio­n“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria