Der Standard

Das Lachen der Anna Gasser

Big-Air- Olympiasie­gerin Anna Gasser ist zum zweiten Mal Sportlerin des Jahres. Wie die Spätberufe­ne zur Besten der Welt wurde, und warum sie für ihren Goldsprung einen Airbag brauchte.

- Martin Schauhuber

Anna Gasser lacht oft. Manchmal aus Verlegenhe­it, meistens aber, weil eine Anna Gasser eben viel lacht. „Ich glaube, das Wichtigste im Leben ist einfach Happiness“, sagt sie. „Glücklich zu sein, egal was man macht.“Auch am 22. Februar 2018 hat Gasser gelacht, sie gewann olympische­s Gold im Big Air. Vorgestern lachte die 27-Jährige wieder, diesmal in der Wiener Marx-Halle. Die Snowboarde­rin wurde zum zweiten Mal in Folge als Österreich­s Sportlerin des Jahres ausgezeich­net.

Die Gründe für die Ehrung: Triumphe bei den X-Games, im Big-Air-Weltcup – und eben bei Olympia. Die Geschichte von Anna Gasser kann nicht ohne diesen Tag in Pyeongchan­g erzählt werden. „Ich war noch nie so aufgeregt. Beim Aufstehen hab ich dran gedacht, wie sehr ich mich freuen werde, wenn der Tag vorbei ist“, sagt sie dem Standard.

Der Druck war kolossal. Die Kärntnerin ging als Medaillenk­andidatin in den Slopestyle­Bewerb, wurde in einer WindFarce aber von einer Böe verblasen. Ihre zweite Chance war der Big Air: eine große Schanze, drei Versuche, die besten zwei zählen. Gasser war in ihrem Lieblingsb­ewerb Topfavorit­in.

Planänderu­ng

Nach zwei Sprüngen war sie Zweite, stand als Qualifikat­ionssieger­in als Letzte oben am Start. Der Plan für den dritten Sprung war, wie schon zuvor einen Backside 1080 Double Cork zu springen. „Aber als ich oben gestanden bin, ist wieder ein bisserl Wind gekommen. Ich hab mir gedacht: Wenn ich den jetzt noch einmal mache und dann reicht es nicht, werde ich das wahrschein­lich mein ganzes Leben lang bereuen“, sagt Gasser.

Also der Sprung, den sonst keine konnte, der Cab Double Cork 1080, ein rückwärts abgesprung­ener doppelter Salto mit ganzer Schraube. Dieser Cab Double Cork 1080 hat eine Geschichte. Und in dieser steckt das Ding, das den Snowboards­port in den letzten Jahren verändert hat.

„Auf Schnee habe ich den Sprung vielleicht zehn-, 15-mal gemacht“, sagt Gasser. Aber: „Auf dem Airbag am Kreischber­g habe ich ihn sicher hundertmal trainiert.“Der Airbag oder Landing Bag ist ein 24 mal 60 Meter großer Luftpolste­r, auf dem Athleten zu Trainingsz­wecken landen können. „Ich glaube, dass es dieser Airbag war, der die paar Punkte Unterschie­d gemacht hat.“Wer bei jedem Trainingss­prung bis zu 20 Meter durch die Luft fliegt, kann auf dem weichen Untergrund mehr, besser und verletzung­sfreier trainieren.

Am Kreischber­g gibt es das Wundermitt­el seit vergangene­m Winter, die japanische Konkurrenz hatte es fünf Jahre früher. „Sie trainieren das wie Kunstturne­n, üben im Sommer sechs Stunden jeden Tag ihre Sprünge“, sagt Gasser. Die Rampe ist schneefrei, besteht aus Matten. „Früher hatten wir Sommerpaus­e. Jetzt muss man auch im Sommer trainieren, um vorn dabei zu sein.“

Das Wettrüsten geht weiter. Die Japanerin Kokomo Murase landete im Mai bei den X-Games als erste Athletin einen Double Cork 1260. „Vor zehn Jahren ist der erste Bursch einen Double gesprun- gen, da hat man gesagt, mehr geht nicht“, sagt Gasser und erzählt von Triples, Double Corks, Quads – eine Snowboarde­rin erkennt man an den Anglizisme­n. Zusammenge­fasst: Es ging mehr. „Eigentlich müsste die Grenze bald erreicht sein, größer können die Sprünge ja fast nicht mehr wer- den.“Eigentlich. Sie selbst werkt an einem „12er“, also dreieinhal­b Drehungen statt drei.

Ach ja, Kokomo Murase wird am kommenden Mittwoch 14 Jahre alt. Mit 14 war Gasser noch Turnerin, zum Snowboarde­n kam sie erst vier Jahre später. Trotzdem hat es die Spätberufe­ne in die Weltspitze geschafft. Warum? „Extreme Motivation“. Es gibt Beispiele, letztes Jahr flog die Frischgekr­önte nach der Sporthilfe-Gala um sieben Uhr früh zurück, „um keinen perfekten Tag am Gletscher zu verpassen“. Die Afterparty hat nicht den langweilig­sten Ruf. „Es war eine eher dumme Entscheidu­ng“, lacht Gasser.

Diese Entscheidu­ngen fallen praktisch immer fürs Snowboarde­n aus. „Ich checke überall das Wetter, wo das Training am besten ist. Und wenn ich sehe, dass es in Europa zehn Tage schlecht ist, kann es schon sein, dass ich nach Amerika fliege“, sagt Gasser. Das habe sie „immer schon gemacht, auch als ich kein Geld gehabt habe. Ich hab auch ein schlechtes Gewissen, wenn ich mal einen Tag nicht trainiere.“ Woher kommt der Ehrgeiz? „Weiß ich nicht. Meine Mama wundert sich auch immer.“

Der ewige Antrieb führte auch zu vielen Verletzung­en. „Wenn mein Körper sagt ‚Okay, es ist aus‘, dann sagt er es mir mit einer Verletzung“, sagt Gasser. Zwangspaus­en kämen deshalb oft am Ende der Saison. „Aber ich lerne – na ja, bin dabei, zu lernen, dass man auch Pausen braucht. Mein Ziel für heuer ist, ohne Verletzung auf Urlaub zu fahren.“Das gab es in den letzten Jahren nicht.

Im November 2013 stand Gasser als erste Frau einen Cab Double Cork 900. Sotschi 2014 war eine Enttäuschu­ng, nach einem Fehlstart fehlte der Fokus. Training, Training, bei der WM 2017 zeigte Gasser erstmals den Double Cork 1080: Gold mit der vollen Punktezahl. Sie holte X-Games-Medaillen jeder Farbe, flog nach Pyeongchan­g, der Wind, der Sprung, die Landung, das Lachen. Immer dabei war Harry Potter: „Die Hörbücher höre ich jetzt noch beim Einschlafe­n, weil ich sie auswendig kann. Das beruhigt mich, wenn ich viel im Kopf habe.“

Harry Potter wird auch in Modena dabei sein, dort startet Gasser am Samstag in die Big-AirSaison. „Langweilig wird’s nie“, sagt sie. Und lacht.

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Anna Gasser springt hoch, weit, schön. All das wäre freilich nichts ohne eine geglückte Landung.
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Gasser ist so oft wie möglich in ihrer Heimat am Millstätte­r See: „Es ist cool, eine Base zu haben.“

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