Der Standard

Als Karin einen Orientalen liebte

Im Schauspiel­haus Wien lebt in „Café Bravo“die gleichnami­ge Jugendzeit­schrift noch einmal auf.

- Michael Wurmitzer

Wien – Der Schwimmer Mark Spitz räumt alles ab, was es im Wasser zu gewinnen gibt, Sängerin Wencke Myhre fährt mit einem knallroten Gummiboot hinaus, und Christian Anders ist der böse junge Mann des deutschen Schlagers. Das sind die 1970er. Im Wiener Schauspiel­haus schaut das Café

Bravo auf die Ära zurück – durch die Brille des gleichnami­gen berufsjuge­ndlichen Magazins.

1956 gegründet, ist das Heft in der Zeit vor Google und Social Media eine Macht. Es beantworte­t drängende Sexualfrag­en („Ich liebe einen Orientalen!“), gibt gute und günstige Modetipps, kennt jeden Starklatsc­h und verschließ­t sich trotzdem nicht den großen politische­n Themen (Margaret Thatcher wird erste Regierungs­chefin Europas). Mithilfe seiner ansteckbar­en Kontaktbut­tons kann man auf der Straße sogar erkennen, wer sonst noch Freunde oder einen Partner sucht. Die

Bravo ist immer für einen da.

Felix Krakau (Text und Regie) erinnert an all das mit einer Zeitreise. Er hat sie mit Fakten gespickt und dem Ensemble Glitzerjac­ken angezogen. Man fühlt regelrecht die Pickel sprießen und die Dauerständ­er aufsteigen. Steffen Link und Michael René Sell geben die süßen Boys, Sophia Löffler und Vassilissa Reznikoff führen als kecke Girls mit viel unschuldig­er Freude und heiterer Musik durch den Abend. Reznikoffs Stimme schmeckt wie Kirschsaft. Kondome? Blasen sie auf wie Luftballon­s. Was sonst.

Zwischen Starschnit­t, Hitparade und bodenständ­igen Vornamen wie Karin und Hermine macht sich aber auch Skepsis breit. Schließlic­h erzog das Heft Generation­en von Jugendlich­en, und nicht alle Ratschläge von Dr. Sommer sind nach heutigen pädagogisc­hen Maßstäben wertvoll. Eine Hommage, die mit Vorsicht genießt, spöttelt, sich wundert und dabei viel Spaß macht.

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Nicht alle Tipps von Dr. Sommer waren pädagogisc­h wertvoll: „Café Bravo“blickt zurück in die bunten 1970er-Jahre.

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