Der Standard

Am Anfang der Trauer

Pittsburgh wirft viele Fragen auf. Hat der gewalttäti­ge Antisemiti­smus die USA erreicht? Welchen Anteil hat Trump an der Entwicklun­g? In Pittsburgh herrscht vor allem eines: Trauer.

- Frank Herrmann aus Pittsburgh

An der Synagoge Tree of Life, mitten im Stadtviert­el Squirrel Hill, dem Zentrum jüdischen Lebens in Pittsburgh, liegen Blumensträ­uße. Viele Hundert Sträuße sind es, pro Minute kommen zwei, drei neue hinzu. Es ist der Abend nach Halloween, und wie an jedem Abend dieser Woche steht eine schweigend­e Traube von Menschen vor den elf weißen Davidstern­en mit den Namen der Ermordeten.

Auf dem Gehsteig gegenüber haben John Cihon, Aaron Jackendoff und Louis Snyder Zeltbahnen aufgespann­t, zum Schutz gegen den Regen, bereit, jedem zuzuhören, der einfach nur reden will über das, was ihn bewegt. Abend für Abend kommen die drei an die Wilkins Avenue, setzen sich auf Klappstühl­e und stellen Cookies, Brot und Kichererbs­enpaste auf einen Tisch, weil sie der Meinung sind, dass Essen zum Trauern dazugehört.

Für politische Debatten, sagt Snyder, ein Maler, sei es viel zu früh. Man habe doch gerade erst angefangen, das Geschehene zu verarbeite­n, man möge ihm jetzt nicht mit Donald Trump kommen. Natürlich müsse sie irgendwann beantworte­t werden, die Frage, ob der Präsident ein Klima schuf, in dem sich der Täter ermuntert fühlte. „Aber nicht hier und nicht jetzt.“Cihon, auch er ein Künstler, will überhaupt nichts davon wissen. In der Synagoge habe ein Durchgekna­llter um sich geballert. „Ich sehe nicht, was das mit Trump zu tun haben soll.“

Robert Reich jedoch, einst Arbeitsmin­ister im Kabinett Bill Clintons, heute Politikpro­fessor im kalifornis­chen Berkeley, sieht durchaus einen Zusammenha­ng mit der Rhetorik des US-Präsidente­n. „Demagogen begehen selbst nur höchst selten Gewalttate­n“, sagt Reich. „Sie schüren den Hass, machen andere lächerlich, erklären andere für schuldig, doch die Gewalt überlassen sie Dritten.“So könnten sie hinterher immer erklären, sie seien es nicht gewesen.

Keine Reue

Bowers, ein Lastwagenf­ahrer, ist offenbar ein unbelehrba­rer Neonazi. In Trump sieht er, so hat er es in sozialen Medien verbreitet, eine Marionette der Juden. Bowers hasst Juden, und ein kurzer Auftritt am Donnerstag im Saal 8A des Joseph-Weis-Gerichtsge­bäudes im Zentrum Pittsburgh­s macht deutlich, dass er keinerlei Reue empfindet. „Ja“, antwortet er laut und trotzig, als ihn der Staats- anwalt fragt, ob er die Anklagepun­kte verstehe.

Nur: Der Auslöser für den elffachen Mord war eben eine sehr konkrete Wut, die Wut auf das HIAS-Netzwerk, das heutzutage vor allem Flüchtling­en aus Nepal, Bhutan und dem Irak hilft, sich in Pittsburgh zurechtzuf­inden. Der Mörder, so der HIAS-Direktor Mark Hetfield, würde seinen Hass gegen mehrere Gruppen richten, spüre Hass auf Juden, Hass auf Flüchtling­e, Hass auf Migranten. Insofern, findet auch Hetfield, habe Trumps Rhetorik sehr wohl mit dem Massaker zu tun.

Das Jewish Community Center in Squirrel Hill wird jetzt von Polizisten bewacht – ob nur vorübergeh­end oder auf Dauer, weiß keiner. „Kippt da gerade etwas?“, spitzt Ron Symons, der Rabbiner des Gemeindeze­ntrums, die Frage zu, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und sucht behutsam nach Worten. Schusswaff­enangriffe auf Gotteshäus­er, auf Kirchen, Moscheen, einen Sikh-Tempel, das habe es in Amerika schon gegeben, sagt er schließlic­h. Nun also eine Synagoge, im Grunde nichts Neues.

Und Trump? „Ich will meine Energie nicht verschwend­en, indem ich über den Präsidente­n rede“, wehrt Symons zunächst ab, um dann doch Klartext zu reden. Das Gift des politische­n Diskurses müsse klar beim Namen genannt werden, mahnt er. Denn manche nähmen die gehässigen Worte als Freibrief, „um Außenstehe­nden alles anzutun, was sie ihnen gerade antun wollen“. Und wann immer eine Gruppe von Menschen ausgegrenz­t werde, sei das für Juden nicht gut.

Beredtes Schweigen

Noch prägnanter hat es Jeffrey Herf formuliert, Historiker an der University of Maryland. Wer Verschwöru­ngstheorie­n verbreite, gieße Wasser auf die Mühlen des Antisemiti­smus. Schließlic­h sei die älteste aller Verschwöru­ngstheorie­n jene über die Juden, die angeblich die Welt kontrollie­rten.

Als Trump nach dem Attentat nach Pittsburgh flog, hat Jeffrey Myers, der Rabbiner der Tree-ofLife-Synagoge, Demonstran­ten entgegnet, der Präsident der Vereinigte­n Staaten sei jederzeit willkommen. Ron Symons ist aufgefalle­n, wie wenig Myers sonst sagte, wenn er nach Donald Trump gefragt wurde. Einmal, erzählt er, habe der Kollege seine Mutter zitiert: „Wenn du nichts Nettes zu sagen hast über eine Person, dann sag lieber nichts“.

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Elf Tote forderte der Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge vergangene Woche. Noch Tage danach legen Menschen Blumen nieder.

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