Der Standard

Vermisst bei widrigem Wetter sein früheres Nomadenleb­en. Der Eigentümer von Betten Reiter sprang einst in einen Berg aus Federn und sieht sich als einen der letzten Generalist­en.

Peter Hildebrand

- Verena Kainrath

INTERVIEW:

Zieht es Sie manchmal noch in die Ferne? Hildebrand: Das Gras ist auf der anderen Seite des Zauns immer grüner. Als ich im Ausland war, hat es mich nach Hause gezogen. Jetzt habe ich schon manchmal Sehnsucht nach dem anderen Leben. Vor allem wenn das Wetter in Österreich schlecht wird.

Sie haben über zwölf Jahre lang ein Nomadenleb­en geführt, in neun Ländern gelebt, in 20 Ländern im Erdölservi­ce gearbeitet. Haben Sie Sehnsuchts­orte? Hildebrand: Ich lebte in Kuwait, in Ägypten, im Oman, in Saudi-Arabien, Griechenla­nd, Deutschlan­d, Holland und Japan. Am wohlsten habe ich mich im Oman gefühlt. Die Menschen dort waren tolerant und freundlich, und es gab damals noch kaum Touristen. Es war ein anderes Oman als heute.

Warum wurden Sie irgendwann dann doch sesshaft? Hildebrand: Wenn ich ehrlich bin, nach so langer Zeit des Wanderlebe­ns ... Japan war zuletzt auch kein einfaches Umfeld, wenn du die Sprache nicht sprichst, die Schrift nicht kennst, nur die Informatio­nen erhältst, von denen die Japaner wollen, dass du sie bekommst. Betten Reiter suchte damals einen Leiter für die Filiale in Leonding. Ich schlug es meiner Frau vor. Sie meinte: Wenn du dich traust. Also sind wir nach Österreich zurück.

Von der Erdölindus­trie in den Heimtextil­ienmarkt – das klingt nach einem Kulturbruc­h. Hildebrand: Ich war ein absoluter Quereinste­iger, hatte null Ahnung vom Textilgesc­häft. Aber ich kam bei der Tür herein, die Federreini­gungsmasch­ine war kaputt – ich bin in den Federnberg hinein und habe die Maschine repariert. Ich arbeitete mich halt hinein. Es gab immer Bereiche in der Firma, die keiner wirklich betreuen wollte. Ich nahm mich all dieser Dinge an.

Sie wuchsen in einer Kärntner Bauernfami­lie auf. Was wurde aus Ihrer Landwirtsc­haft? Hildebrand: Wir haben immer damit gekämpft zu überleben. Bauer zu werden war daher nicht wirklich mein Sehnsuchts­ziel. Ich habe den Hof jedoch heute noch, bin Nebenerwer­bslandwirt. Mein Vater lebt noch dort. Die Äcker sind verpachtet, den Wald bewirtscha­fte ich selbst. Für Tiere habe ich keine Zeit. Die Landwirtsc­haft prägt mich auch heute noch. Man lernt, dass das, was gerade getan werden muss, Vorrang vor allem anderen hat. Wenn das Heu trocken ist, dann muss es sofort eingebrach­t werden, nicht morgen.

Wo lernt man unternehme­risches Handwerk? Hildebrand: Ich leitete als Student einst ein Heim mit 320 Studenten. Glauben Sie mir, da lernt man das. Und dann natürlich in einem internatio­nalen Konzern der Erdölindus­trie, bei dem ich die Karrierele­iter hinaufstie­g. Die Branche ist sehr finanzstar­k, Einsatzzei­ten bis zu 40 Stunden ohne Schlaf waren jedoch keine Seltenheit.

Sie landeten bei Betten Reiter in einem kleinen privaten Betrieb. Worin liegt die Schwäche von Familienun­ternehmen? Hildebrand: Es ist die Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Unter einem großen Baum wächst kein zweiter großer Baum. Man müsste den Kindern sagen: Geht hinaus in die Welt. Dann kommt zurück und übernehmt den Betrieb. Tut man das nicht, werden sie immer Juniorchef­s bleiben. Firmen, die von Patriarche­n aufgebaut werden, deren Kinder sie schwer fortführen können – das sind ja keine Einzelfäll­e. Ein Baum braucht, um groß zu werden, Licht, Wasser, aber auch noch Sturm, der ihn stark macht.

Auch Betten Reiter erlebte stürmische Zeiten. Hildebrand: Ehe Familie Reiter aus dem Unternehme­n ausschied, waren die Anteile daran geviertelt. Es war schwierig, denn auch eine Koalition mit vier Parteien ist nicht führbar. Dann ergab sich für uns die Gelegenhei­t, mit zwei Dritteln die Mehrheit zu übernehmen, was Entscheidu­ngsfreihei­t brachte.

Wie knapp stand es finanziell mitunter auf der Kippe? Hildebrand: Man hatte den starken Wandel übersehen. Vor 30 Jahren waren Kunden dankbar, wenn sie Ware bekamen. Heute sind wir dankbar, wenn sie kommen, kaufen und nicht wieder umtauschen. Die Firma hinkte logistisch, technologi­sch hinterher. Heute führen wir etwa bei der elektronis­chen Preisausze­ichnung. Ich habe einen offenen Blick hineingebr­acht. Ich bin einer der letzten Generalist­en: Ich könnte einen Baum fällen, habe Hochspannu­ngstechnik studiert, war im Erdölwesen, prüfe englische Verträge, kenne mich im Marketing aus. Ich arbeite mich in fast alle Welten gut ein.

Und Sie leisten sich eine eigene Produktion. Warum? Hildebrand: Ich bin stolz darauf. Man riet mir einst, sie zu schließen und meine Ware billiger anderswo zu kaufen. Ich habe mich damals dagegen verwehrt. Es war die richtige Entscheidu­ng, Regionalit­ät wurde wichtiger. Wir waren die Ersten in Österreich, in Europa die Dritten, die bei Baumwolle mit Fairtrade zertifizie­rt wurden.

Pölster und Decken haben kein Mascherl. Viele große Konzerne bedienen sich in Ihrem Markt. Wie halten Sie die Stellung? Hildebrand: Natürlich, ein Teil des Sortiments ist weiß und viereckig. Aber gesunder Schlaf ist wichtig, und mehr als die Hälfte der Österreich­er hat Rückenprob­leme. Hier braucht es gute Beratung.

Apropos Schlaf: Ihnen eilt der Ruf voraus, 60 Stunden die Woche zu arbeiten. Viel Zeit für Gesundheit bleibt da nicht gerade. Hildebrand: Mein Schlaf ist ausreichen­d und gut. Ich habe ja eine ausgezeich­nete Daunendeck­e. Ich arbeite, um gesund zu bleiben, es fordert mich geistig und körperlich. Säße ich viel daheim, wäre ich nicht mehr so gut beisammen. Es stimmt, ich bin als Workaholic verschriee­n, aber ich habe auch nichts anderes gelernt.

Was würde Ihnen Ihren Arbeitsall­tag erleichter­n? Hildebrand: Hauptprobl­em sind die hohen Lohnkosten. Wir haben 22 Prozent Personalko­sten, das ist nicht weiter steigerbar. Wir müssen daher noch effiziente­r sein, noch mehr verkaufen, noch günstiger einkaufen. Und wir sind eine der wenigen Firmen, die Mitarbeite­r über 50 einstellen. Ich tue das gerne, weil ältere Leute viel wissen, motiviert sind. Aber es wird einem schwer gemacht. Ich hatte einen Fall, wo ich jemanden mit 52 Jahren holte, von dem ich mich ein Jahr später wieder trennte, da es sich nicht bewährte. Bekommen habe ich eine Sozialvers­icherungsk­lage. Das kanns nicht sein. Was ist die Lösung? Dass ich keine älteren Leute mehr einstelle?

Wie halten Sie es mit der österreich­ischen Bürokratie? Allein die Stunden, die wir in die Importstat­istiken hineinstec­ken: Ich hoffe, dass aus den Daten jemand etwas macht, das den Aufwand rechtferti­gt.

Sie haben vor zehn Jahren gemeint, es sei an der Zeit, als Chef leiserzutr­eten. Tun Sie das? Hildebrand: Ich bin nicht mehr an erster Stelle. Ich habe jetzt eine Finanzchef­in und kann mich an der Basis mehr einbringen.

Fällt Ihnen der Schritt in die zweite Reihe schwer? Hildebrand: Das ist eine Frage der Selbstsich­erheit. Aber egal wo ich in der Struktur stehe, meine Stimme hat immer noch Gewicht.

Wer wird Ihnen bei Betten Reiter einmal nachfolgen? Hildebrand: Interessen­ten aus der Familie sehe ich derzeit keine. Der erste Satz vieler junger Manager ist „Grüß Gott“, ihr zweiter „WorkLife-Balance“. Das ist so jedoch oft nicht umsetzbar. Wir haben alles in eine Stiftung eingebrach­t, es ist wichtig, dass es keine Erbstreiti­gkeiten gibt. Man muss immer alle Möglichkei­ten offen sehen. Gibt es gute Angebote, prüfen wir sie.

Wohin führen Sie Ihre nächsten Reisen? Hildebrand: Ich war zum Tauchen auf Borneo, bald reise ich nach Madagaskar. Es gibt so viel auf der Welt, und es ist für mich erschrecke­nd festzustel­len, wie wenig ich davon eigentlich kenne. Da ist etwa eine Stadt in China mit 35 Millionen Einwohnern, sie war mir bis vor kurzem kein Begriff. Auch Südamerika kenne ich zu wenig. Wo ich noch unbedingt hin will, sind die Wasserfäll­e Foz do Iguaçu, das muss man gesehen haben.

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Hildebrand:

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