Der Standard

Der Kampf ums Tal beginnt am Berg

- Steffen Arora

Vor vier Jahren stand in Absam in Tirol tagelang ein ganzer Berg in Flammen. Aus dem schützende­n Hochmahdko­pf wurde plötzlich eine Bedrohung. Das Ereignis hinterließ Narben, oben in der Natur und unten im Bewusstsei­n der Menschen. Gemeinsam arbeiten sie bis heute an ihrer Beseitigun­g und wissen doch, dass es wieder brennen wird.

Drei Tage und drei Nächte lang wütete das Feuer. Erst der am Samstag einsetzend­e Schneefall brachte Erlösung. „Sonst hätte es wohl wochenlang weitergebr­annt. Die Glutnester waren bis einen Meter tief im Boden“, sagt Bernhard Fischler. Diesen Einsatz im März 2014 wird der Kommandant der Freiwillig­en Feuerwehr Absam nie vergessen. Seine Truppe sah sich plötzlich mit dem größten und verheerend­sten Waldbrand der jüngeren Tiroler Geschichte konfrontie­rt.

Auslöser des Infernos war eine achtlos weggeworfe­ne Zigarette. Ein junger Mann aus dem Nachbardor­f Mils ging am 20. März 2014 am Absamer Hochmahdko­pf mit seinem Hund spazieren, als ihm auf der Höhe Redermache­r das Missgeschi­ck passierte. Er soll noch versucht haben, das Feuer mit bloßen Händen zu ersticken. Vergebens.

Trockenhei­t als Zündstoff

„Da hat alles zusammenge­spielt“, sagt Fischler. Der März 2014 war außergewöh­nlich trocken. Auf dem 1738 Meter hohen Absamer Vorberg, wie der Hochmahdko­pf im Ort wegen seiner Schutzfunk­tion hinsichtli­ch Lawinen und Muren genannt wird, waren Latschenfe­lder und Bergwiesen ausgedörrt. Zudem herrschte an diesem Donnerstag Föhnwetter­lage. Der Wind fachte das Feuer erst richtig an. „Fast genau ein Jahr zuvor hatten wir an derselben Stelle einen Einsatz wegen Blitzschla­ges“, erinnert sich Fischler. Weil es aber nicht so trocken war, konnte man schnell Brand aus geben.

Ein Jahr später war alles anders. Um 10.33 Uhr langte der erste Notruf ein, abgesetzt von dem jungen Mann, der den Brand ausgelöst hatte. Zu Beginn dachten die Einsatzkrä­fte wieder an ein einfach zu bewältigen­des Brandgesch­ehen. Der zufällig verfügbare Polizeihel­ikopter Libelle flog einen kleinen Löschtrupp auf den Berg. Doch mit dem Wind breitete sich das Feuer explosions­artig aus. Ein- satzleiter Fischler erinnert sich an dramatisch­e Stunden, es ging um Leben und Tod: „Wir mussten unsere Männer so schnell wie möglich vom Berg holen, weil sie plötzlich vom Feuer eingeschlo­ssen waren.“

Das Inferno von Absam führte nachträgli­ch zu einer Überarbeit­ung der Einsatzplä­ne. Denn 2014 gab es für Waldbrände noch ein schwerfäll­iges Standardpr­ozedere. Die benötigten Hubschraub­er mussten schriftlic­h über die Leitstelle angeforder­t werden. Die schrieb den Auftrag wiederum aus und entschied dann, welcher Anbieter zum Zug kam. Das dauerte mitunter Stunden. Zeit, die man in Absam nicht hatte, wie Fischler erzählt: „Es war sauknapp, wir haben sie gerade noch rechtzeiti­g runterhole­n können.“

In der Nacht auf Freitag wütete das Feuer ungehemmt. „Wir konnten über Nacht niemanden auf dem Berg oben lassen. Das war zu gefährlich“, sagt Fischler. Im gesamten Inntal, von Innsbruck bis Schwaz hinunter, war der Feuerschei­n zu sehen. In Absam selbst tat der ganze Ort kein Auge zu. Alles starrte gebannt auf die Feuersbrun­st, die den Häusern oben beim Frauental bedrohlich nahe kam. Man konnte die Hitze im Dorf förmlich spüren.

„Wir haben für uns selbst bei der Rodelhütte die Grenze gezogen“, erklärt Fischler die Brandbekäm­pfungstakt­ik, die er sich hatte spontan einfallen lassen müssen. Seit den 1980er-Jahren führt ein Forstweg zum Runstboden, wo eine der beliebtest­en Rodelstrec­ken startet. Absam gilt als Rodelmekka Tirols, viele österreich­ische Olympiasie­ger und Weltmeiste­r, wie die Linger-Brüder, stammen aus dem Ort. Daher wurde die Rodelhütte für die Feuerwehr zum Symbol: „Wir mussten sie um jeden Preis halten.“Zu diesem Zweck wurde sie komplett mit Löschschau­m eingedeckt.

Was Fischler und seine Männer in dieser Nacht erlebt haben, verfolgt ihn bis heute: „Die Flammen schlugen uns meterhoch entgegen, Funkenflug kam waagrecht daher, und immer wieder rollten vom steilen Gelände brennende Grasballen auf uns zu.“Er werde nie vergessen, wie vor seinen Augen trockene Nadelbäume „durchgezun­den“haben. Die Wucht des Feuers war gewaltig.

Irgendwie schafften sie es, die Flammen über dem Forstweg zu halten. Andernfall­s wäre der komplette Schutzwald zerstört worden, und auch die ersten Häuser wären betroffen gewesen. Absam hat zwar eine lange Geschichte an Waldbrände­n, wie der Ortschroni­st Peter Steindl weiß, aber dieser war anders: „Von 1923 bis 1988 vernichtet­en 20 Waldbrände eine Fläche von insgesamt 100 Hektar.“Zum Vergleich: Beim Feuer 2014 verbrannte­n über 70 Hektar.

Dieser Verlust bedeutet für die Menschen im Tal eine reale Gefahr. Denn der Bewuchs der steilen Bergflanke sorgt für Schutz vor anderen Naturgefah­ren. „Der Kampf ums Tal beginnt bei uns auf dem Berg“, sagt Steindl und erzählt: Früher schleppten die Absamer in Rucksäcken Setzlinge zur Wiederauff­orstung in die Steilhänge.

Auch heute helfen alle zusammen, um die Feuerschäd­en zu be- seitigen. Unter Federführu­ng des Forstamtes und der Wildbachve­rbauung leisten Freiwillig­e aus dem Ort unzählige Stunden Arbeit. „Heuer konnten wir die Kunstbaute­n abschließe­n, allein das hat zwei Mio. Euro gekostet“, sagt Bürgermeis­ter Arno Guggenbich­ler (SPÖ). Bis die Wiederauff­orstung abgeschlos­sen ist, wird es noch 20 weitere Jahre dauern. Wildverbis­s ist ein großes Problem. Daher dürfen die Gämsen auf dem Hochmahdko­pf ganzjährig bejagt werden.

Das Feuer hat sich tief ins Bewusstsei­n der Bevölkerun­g eingebrann­t. In Trockenpha­sen, wie diesen Sommer, wandert der Blick immer wieder sorgenvoll hinauf. Oft genügt eine Nebelschwa­de an der Bergflanke, und im Rüsthaus läutet das Telefon.

87 Prozent der Gemeindefl­äche Absams sind Natura-2000- oder Landschaft­sschutzgeb­iet. Schönheit, die zur Bedrohung werden kann. Das führte der Brand 2014 vor Augen. Der Verursache­r wurde übrigens nicht zur Rechenscha­ft gezogen. Der damals 18Jährige wäre ruiniert gewesen, Absam erwies sich als großzügig. Heute ist der Bürgermeis­ter enttäuscht: „Er hat sich trotzdem nie bei uns entschuldi­gt.“

 ??  ?? In mühevoller Handarbeit bekämpften die Feuerwehrl­eute 2014 mehr als 1000 Glutnester. Erst in der dritten Nacht kam der rettende Schneefall.
In mühevoller Handarbeit bekämpften die Feuerwehrl­eute 2014 mehr als 1000 Glutnester. Erst in der dritten Nacht kam der rettende Schneefall.

Newspapers in German

Newspapers from Austria