Der Standard

Früheste Bleibelast­ung aller Zeiten

Die Analyse zweier Neandertal­erzähne aus dem Südosten Frankreich­s zeigt, dass schon unsere Verwandten vor 250.000 Jahren mit Schwermeta­llkontamin­ationen zu kämpfen hatten.

- Thomas Bergmayr

Zähne sind verblüffen­d akkurate Archive der Lebensumst­ände ihrer ursprüngli­chen Träger. Annähernd so wie die Jahresring­e von Bäumen konservier­en sie im Zahnschmel­z Schicht für Schicht die klimatisch­en Verhältnis­se, unter denen ihre früheren Inhaber über die Jahrzehnte hinweg gelebt haben, welche Art von Nahrung sie wann zu sich genommen haben und sogar in welcher Jahreszeit sie zur Welt gekommen sind. Für Archäologe­n sind Zähne damit eine unschätzba­re Informatio­nsquelle.

Dieses historisch­e Reservoir hat kürzlich ein Team um Tanya Smith von der Griffith University im australisc­hen Brisbane angezapft, um mehr über die konkreten Lebensbedi­ngungen von europäisch­en Neandertal­ern herauszufi­nden. Die Wissenscha­fter nutz- ten dafür rund 250.000 Jahre alte Zähne zweier Neandertal­er aus dem Südosten Frankreich­s, die sie auf die Verteilung bestimmter Sauerstoff­isotope und die Konzentrat­ionen des Elements Barium hin analysiert­en.

Während die festgestel­lten Sauerstoff­varianten zeigten, dass einer der beiden Frühmensch­en offenbar im Frühling geboren wurde, ergab die Bariumanal­yse sogar detaillier­te Informatio­nen zu den ersten Lebensjahr­en der betreffend­en Person. Da Barium hauptsächl­ich über die Muttermilc­h aufgenomme­n wird, ließ sich aus der Zahnunters­uchung schließen, dass einer der Neandertal­er bis zu seinem neunten Lebensmona­t ausschließ­lich mit Muttermilc­h ernährt wurde. Ab da sank der Bariumgeha­lt auf ein niedrigere­s Niveau ab, das für weitere zwei- einhalb Jahre konstant blieb. Danach fiel er noch einmal signifikan­t, was die Forscher als Anzeichen werteten, dass der betreffend­e Neandertal­er da endgültig abgestillt wurde.

Besonders verblüffen­d war laut der im Fachmagazi­n Science Advances präsentier­ten Studie allerdings ein anderer Befund: In den Zähnen beider Neandertal­er fanden sich Hinweise darauf, dass diese in ihrer Jugend mehrmals er- höhten Bleikonzen­trationen ausgesetzt gewesen sein mussten. Die Analysen lieferten damit die ältesten Nachweise einer Bleibelast­ung in menschlich­en Überresten – woher die Schwermeta­llkontamin­ation stammte, bleibt allerdings vorerst ein Rätsel.

Immerhin aber konnten Smith und ihre Kollegen feststelle­n, dass die betroffene­n Neandertal­erkinder das Blei während der kalten Jahreszeit aufgenomme­n hatten.

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Neandertal­erzähne verraten viel über das Leben ihrer Träger.

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