Der Standard

„Radikalisi­erung beginnt immer bei der Sprache“

Am 10. November wird das Haus der Geschichte Österreich anlässlich 100 Jahre Republikgr­ündung eröffnet. Direktorin Monika Sommer spricht über Glanz und Elend von 1918 und die unklare Zukunft ihres Hauses.

- Stefan Weiss

Der Titel Aufbruch ins Ungewisse, unter dem am 10. November in der Neuen Burg am Heldenplat­z das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ) eröffnet wird, zielt auf die Gründung der Ersten Republik im Jahr 1918 ab. Er passt aber ebenso gut zu dem Zeitgeschi­chtemuseum selbst. Denn jahrzehnte­lang politisch umstritten, verschoben und umgeplant, liegt seit vergangene­r Woche wieder eine neue Idee auf dem Tisch: Kulturmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) denkt an, es in „Haus der Republik“umzubennen und organisato­risch ans Parlament anzubinden. Die Skepsis ist groß.

Von George Orwell gibt es das Zitat „Wer die Vergangenh­eit kontrollie­rt, kontrollie­rt die Zukunft; wer die Gegenwart kontrollie­rt, kontrollie­rt die Vergangenh­eit.“Unterschre­iben Sie das? Sommer: Aleida Assmann, Friedenspr­eisträgeri­n des Deutschen Buchhandel­s und Mitglied unseres wissenscha­ftlichen Beirats, sagt, jeder Blick in die Vergangenh­eit ist von der Gegenwart aus gerichtet. Jede Generation interpreti­ert die Vergangenh­eit neu.

Ist das der Grund, weshalb jede neue Regierung versucht, dem Projekt Haus der Geschichte ihren Stempel aufzudrück­en? Sommer: Geschichte, vor allem Zeitgeschi­chte, lässt niemanden kalt. Wir zeigen bei uns auch den langen und verschlung­enen Weg zur Realisieru­ng des ersten zeitgeschi­chtlichen Museums der Republik, da war nicht nur die Politik beteiligt, auch die Wissenscha­ft war sich lange uneins.

Nun hat Kulturmini­ster Blümel (ÖVP) Änderungen beim HdGÖ angekündig­t. War das Vorgehen mit Ihnen abgesproch­en? Der wissenscha­ftliche Beirat wusste nichts vorab. Sommer: Dass es eine Initiative des Ministers geben würde, kam nicht überrasche­nd, die wurde angekündig­t. Eine geplante Evaluierun­g von Ort, Konzept und Finanzieru­ng stand schon im Regierungs­programm. Das ist auch gut so. Wir brauchen mehr Platz und mehr Budget, um internatio­nalen Standards gerecht zu werden. Es gab hinsichtli­ch der prekären Budgetsitu­ation Gespräche mit dem Kabinett, die Pressekonf­erenz wurde kurzfristi­g anberaumt.

Das Haus soll aus der Nationalbi­bliothek herausgelö­st und strukturel­l ans Parlament angebunden werden. Ist Ihnen das überhaupt recht? Sommer: Mit der Pressekonf­erenz ist das klare politische Commitment erfolgt, dass auf dem Fundament, das wir nun in Rekordzeit für das HdGÖ gelegt haben, weiter aufgebaut werden wird. Das ist erfreulich. Die Zukunft war ja reichlich ungewiss. Jetzt wird unmittelba­r nach der Eröffnung mit dem Kabinett, dem Parlament, dem Beirat und mir an der künftigen Struktur gearbeitet werden.

Wird die politische Unabhängig­keit des Hauses damit gestärkt oder geschwächt? Sommer: Wichtig ist die institutio­nelle Eigenständ­igkeit und die wissenscha­ftliche Unabhängig­keit. Das Vorbild ist sicherlich die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d.

Ziel müsste es doch sein, dass das HdGÖ ein eigenständ­iges Bundesmuse­um wird und keine Unterabtei­lung, oder? Sommer: Ein eigenständ­iges Bundesmuse­um, das heißt eine wissenscha­ftliche Anstalt öffentlich­en Rechts, ist eine mögliche Rechtsform für das HdGÖ.

Was halten Sie von der Idee, es in „Haus der Republik“umzubenenn­en? Mit Geschichts­museum verbindet man das ja nicht mehr unbedingt. Sommer: Ich möchte zuerst die künftigen Rahmenbedi­ngungen klären und dann über den Namen sprechen. Minister Blümel hat ja in der Pressekonf­erenz auch von einem Arbeitstit­el gesprochen.

Das HdGÖ wird in INTERVIEW: einer Woche, am 10. November, eröffnet. Was ist da konkret vor 100 Jahren passiert? Sommer: Das Fasziniere­nde an den Umbruchsta­gen 1918 ist die demokratie­politische Zäsur: Mit der Ausrufung der Republik auf der Rampe des Parlaments am 12. November wurde das Volk zum Souverän. Bei den Wahlen, die im Februar folgten, zählte nun erstmals jede Stimme gleich viel.

Wie viel Geschichte können Sie auf der geringen Ausstellun­gsfläche vermitteln? Sommer: Wir gehen bis in die Gegenwart und wollen einen Schlüssel zum Verständni­s der politische­n und gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen bieten. Wir nehmen die politische Zäsur 1918 zum Ausgangspu­nkt, blicken aber auch zurück auf die Demokratie­entwicklun­g seit 1848. Wir folgen dabei nicht der gewohnten Erzählung von 1918 als Start in das Scheitern der Ersten Republik, sondern zeigen 1918 als Aufbruch ins Ungewisse, als offene Zukunft. In Österreich ist im Unterschie­d zu vielen anderen Staaten 1918 eine friedliche parlamenta­rische Revolution gelungen. Sie hat in den ersten Jahren entscheide­nde positive Weichstell­ungen gebracht, die auch im internatio­nalen Vergleich fortschrit­tlich sind: das Frauenwahl­recht und eine wegweisend­e Sozialgese­tzgebung. Wir fragen auch nach den wirtschaft­lichen Verhältnis­sen und beleuchten die drei EU-Ratspräsid­entschafte­n Österreich­s. Und wir fragen nach dem dramatisch­en Weg in die beiden unterschie­dlichen Diktaturen.

Woran ist die Erste Republik letztlich gescheiter­t? Sommer: Zentral war sicherlich, dass der Glaube an die Überlebens­fähigkeit dieses kleinen Landes nicht vorhanden war. Nicht einmal unter Intellektu­ellen war dieser Staat allgemein akzeptiert. Dass der „Anschluss“an Deutschlan­d untersagt wurde, damit hat man sich in „Deutschöst­erreich“, wie es zunächst hieß, nur mühsam arrangiere­n können. Die schlechte wirtschaft­liche Lage war zentral und die Radikalisi­erung an den politische­n Rändern.

Von Letzterer rührt bis heute die nicht abgeschlos­sene Begriffsde­batte über „Austrofasc­hismus“bzw. „Ständestaa­t“zwischen Sozialdemo­kraten und Bürgerlich­en. Wie zeigen Sie das? Sommer: Die Benennung der Jahre 1933/34 bis 1938 ist tatsächlic­h eine offene Debatte. Es gibt jetzt den Begriff der „Kanzlerdik­tatur“von Helmut Wohnout, der viel leistet und auf den sich viele Wissenscha­fter verständig­en können. Wir haben ihn in der Praxis bei Schülern erprobt. Da hat sich gezeigt, dass junge Leute den Begriff mit dem Reichskanz­ler, also dem NS-Regime, verwechsel­n. Das wollen wir nicht. Daher haben wir in der Ausstellun­g eine Installati­on vorbereite­t, wo wir genau zeigen, woher die unterschie­dlichen Begriffe kommen, wie sie verwendet wurden und was die Kritik daran ist. Unser Vorschlag ist übrigens „Dollfuß/Schuschnig­g-Diktatur“. Auch dieser hat freilich Schwächen, weil er Dollfuß und Schuschnig­g gleichsetz­t.

Was kann man von dieser Ersten Republik lernen? Sommer: Dass wir täglich darauf achten müssen, dass Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit verletzlic­he Dinge sind. Die Geschichte führt vor Augen, wie man diese Schritt für Schritt abschaffen kann. Lernen kann man auch, wohin Polarisier­ung und Radikalisi­erung, die immer zuerst bei der Sprache beginnt, letztlich führt. Wir müssen heute wieder sensibilis­ieren dafür, dass Sprache etwas über den Zustand einer Gesellscha­ft aussagt.

Wie erzieheris­ch kann ein Museum wirken? Wie bringt man positive und negative Geschichts­bilder in Einklang? Sommer: Das ist sicherlich eine Gratwander­ung. Denn einerseits gibt es die klare Verpflicht­ung, dass wir den Zivilisati­onsbruch des Holocaust als solchen vermitteln. Anderersei­ts ist es auch wichtig, positive Vorbildbei­spiele aus der Geschichte zu zeigen. Wir tun das zum Beispiel mit einer Videoinsta­llation, in der wir Menschen zeigen, die sich für eine für die Allgemeinh­eit relevante Sache eingesetzt haben. Jede Generation steht vor einem Aufbruch ins Ungewisse und muss die Gegenwart gestalten. Da hat jeder Einzelne eine Verantwort­ung, das zu tun. Ich glaube aber schon, dass es wichtig ist, dass es auch augenzwink­ernde, erheiternd­e Momente in der Ausstellun­g gibt.

Welches Gefühl sollen Ausstellun­gsbesucher mitnehmen? Sommer: Die Erkenntnis, dass österreich­ische Zeitgeschi­chte widersprüc­hlich und spannend ist und es sich daher sehr lohnt, sich mit ihr auseinande­rzusetzen.

MONIKA SOMMER (43) studierte Geschichte in Graz, promoviert­e an der Uni Wien und war zehn Jahre lang Kuratorin im Wien-Museum. Im Februar 2017 wurde Sommer Gründungsd­irektorin am Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ).

 ??  ?? Eröffnet wird das Haus der Geschichte in der Neuen Burg am Heldenplat­z (links), Minister Blümel will es lieber „Haus der Republik“nennen und ans Parlament anbinden. Rechts: Ausrufung der Republik 1918.
Eröffnet wird das Haus der Geschichte in der Neuen Burg am Heldenplat­z (links), Minister Blümel will es lieber „Haus der Republik“nennen und ans Parlament anbinden. Rechts: Ausrufung der Republik 1918.
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