Der Standard

Eine Formel für Gerechtigk­eit

Der AMS-Algorithmu­s verdeutlic­ht vorhandene Diskrimini­erungen am Arbeitsmar­kt

- Alban Knecht, Judith Pühringer

Die entscheide­nde Frage ist weniger, ob ein Algorithmu­s die tatsächlic­hen Chancen und Benachteil­igungen verschiede­ner Menschen am Arbeitsmar­kt anzeigt, sondern, wie anhand der berechnete­n Benachteil­igungen Ressourcen verteilt werden.

Ist nicht gerade bei geringen Arbeitsmar­ktchancen ein besonderes Bemühen gefragt, um so Chancengle­ichheit zu erreichen? Müssen wir für Menschen mit niedrigen Arbeitsmar­ktchancen aufgrund diverser diskrimini­erender Faktoren nicht viel mehr Geld investiere­n anstatt weniger? Ein solches Vorgehen ist in vielen Bereichen schon gang und gäbe, zum Beispiel bei der bedarfsori­entierten Mittelzuwe­ndung bei Schulen – so wie es gerade aktuell beim Thema Brennpunkt­schulen diskutiert wird.

Ähnlich verhält es sich beim Thema Frauen und Arbeitsmar­ktintegrat­ion: Es zeigt sich, dass die Indikatore­n – wie bei den Betreuungs­pflichten, die sich nur bei Müttern und nicht bei Vätern auswirken – die realen Diskrimini­erungen widerspieg­eln und ihre Verwendung erstens genau die diskrimini­erenden Einschätzu­ngen wiederholt und zweitens durch die darauf basierende­n Entscheidu­ngen diese Diskrimini­erung sogar perpetuier­t.

Für Frauen ist das Recht auf Gleichbeha­ndlung durch das verfassung­srechtlich verankerte Gender-Budgeting abgesicher­t: Seit 2007 muss das AMS die Hälfte seines Budgets für Beratung und Fortbildun­gen für Frauen ausgeben. Das ist wichtig und gerecht: Wenn Frauen geringere Chancen zugerechne­t werden als Männern, dann sollte dieser diskrimini­erende Aspekt budgetär ausgeglich­en werden. Die Berichte zu den Gleichstel­lungskennz­ahlen des AMS zeigen auf, dass das AMS diese verfassung­srechtlich­e Anforderun­g seit zehn Jahren nicht erreicht. Seit 2016 hat sich das AMS diese Vorgabe, 50 Prozent der Förderunge­n für Frauen auszugeben, selbst als ein Ziel gesetzt. Allerdings wurden auch 2017 nur 47 Prozent der Budgetmitt­el für Frauen ausgegeben.

Der AMS-Algorithmu­s sollte uns nicht dazu verleiten, die Diskussion allein über die Auswir- kungen von Big Data im Bereich der öffentlich­en Verwaltung zu führen. Wir müssen verstehen, dass er Teil des Regierungs­programms und einer strategisc­hen Neuausrich­tung des AMS ist. Diese besagt, dass sich das AMS in Zukunft auf die Gruppen mit guten und mittleren Integratio­nschancen konzentrie­ren wird. In die Gruppe der Menschen mit niedrigen Integratio­nswahrsche­inlichkeit­en werden weniger Mittel investiert werden.

Eine Perspektiv­e, die nicht nur Effizienzü­berlegunge­n (die Dinge richtig tun), sondern auch Effektivit­ätsüberleg­ungen (also die richtigen Dinge tun) und letztlich auch Gerechtigk­eitsüberle­gungen anstellt, müsste dafür sorgen, dass diejenigen, die die geringsten Arbeitsmar­ktintegrat­ionschance­n haben, die bestmöglic­hen Angebote, Maßnahmen und Beratung bekommen. Auch eine solche Perspektiv­e kann immer nur das Ergebnis einer politische­n Entscheidu­ng sein.

ALBAN KNECHT zialpädago­ge. JUDITH PÜHRINGER ist Arbeitsmar­ktexpertin der Armutskonf­erenz.

ist Soziologe und So-

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