Der Standard

Das Gift im Korn der frühen Jahre

Die x-te Probe aufs Exempel, die ewige Litanei der Herkunft: Josef Winkler gibt sich in seinen Kindheitse­rinnerunge­n „Lass dich heimgeigen, Vater ...“als Kollaborat­eur zu erkennen.

- Ronald Pohl

Das wogende Korn im Kärntner Drautal wird aus zum Teil sehr bedenklich­en Quellen gespeist. In den „Sautratten“, einem Ackerboden unweit von Josef Winklers Heimatort Kamering, liegt ein Nazi-Verbrecher begraben.

Odilo Globocnik war im Mai 1945 seiner Identität überführt und am nämlichen Fleck verscharrt worden. Der Biss in die Zyankalika­psel hatte nicht vermocht, den sich seiner Mordtaten bei der „Aktion Reinhardt“Brüstenden endgültig zum Schweigen zu bringen. „Zwei Millionen ham’ma erledigt!“: Dieser Hohnruf spukt fortan weiter durch den Kopf des jungen Josef („Seppl“). Und der gibt sich noch in der Erinnerung als besonders widersetzl­iches Landkind zu erkennen.

Nichts ist verjährt, keine Schuld gesühnt in der carinthisc­hen Vaterwelt des (wegen einer unverdient­en Abreibung) aus der Nase blutenden Rebellen. Wie unter einem Zwang stehend, muss sich Josef Winkler als Bestandtei­l jener Kultur wiederersc­haffen, die er sich zugleich litaneihaf­t vom Leib hält.

Winkler-Schriften gleichen von Anbeginn an, also etwa seit 1979, kuriosen Sprengsätz­en. Ihre Beredtheit rührt her aus dem sicher verankerte­n Wissen um die eigene Ambivalenz. Nur wer liebt, was er – schon allein aus Gründen der Selbsterha­ltung – zutiefst verabscheu­en muss, vermag das alte Elend in immer wieder neue, betörende Satzkomple­xe zu fassen.

Kreatürlic­he Notdurft

Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe bildet die x-te Probe auf das nämliche Exempel. Winkler, der heutige Georg-Büchner-Preisträge­r, gibt sich in seinen Kindheitse­rinnerunge­n als Kollaborat­eur zu erkennen: als einer, der unbedingt zu denen hält, die ihm nichts Gutes tun. Er weiß um ihre unangetast­eten Nazi-Wurzeln, und er empfindet Mitgefühl für ihre kreatürlic­he Notdurft.

Den „Tate“(Vater) spricht er an, wie um ihn posthum zur Rechenscha­ft zu ziehen. Die Jahre verrinnen in der lähmenden Wiederkehr derselben Gebräuche. Diese geben das zähe Gerüst ab für die Proben von Lieblosigk­eit und Kadavergeh­orsam, die das Wesen einer unveränder­lich repressive­n Ordnung ausmachen. Geschafft haben es am ehesten diejenigen, die – wie die Großeltern – endlich aufgebahrt im offenen Sarg liegen, in der guten Stube. In den Mulden der von ihnen durchgeses­senen Sofas hinterlass­en sie das säuerliche Aroma von Urin.

Der „Tate“aber sitzt zu Gelegenhei­t der kirchlich gebotenen Feste mit den Onkeln am Küchentisc­h. Gemeinsam bereden diese Wohltäter am eigenen Milchvieh (im Geruch des Schnitzelf­etts) die Abenteuer, die sie im Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Der eine trägt ein Hitler-Bärtchen, der andere gibt an, als SSler bloß einen Schreibtis­chposten besetzt gehalten zu haben.

Rotz und Wasser geheult

Der Krieg bildete einst die einzige Gelegenhei­t für sie, Erfahrunge­n zu sammeln: von der Welt etwas zu sehen und dabei auf verquere Art gesellig zu sein. Winklers etwas verspätet abgegebene Probe der sogenannte­n „Anti-Heimatlite­ratur“verrät die unverächtl­iche Meistersch­aft der Routine. Wer durch dieses Meer von stark duftenden Feldblumen gewatet ist, wer durch diese Kärntner Miasmen von Viehblut torkelt und mit dem Erzähler obendrein Rotz und Wasser geheult hat, der sehnt sich recht heftig nach den Segnungen einer Kultur von öder Sachlichke­it, nach nüchtern urbaner Lebensart.

Man möchte dann keine frisch gezogenen Ferkelzähn­e mehr vom Boden aufschnapp­en, wie das arme, fehlgeleit­ete Hühner tun. Josef Winkler hält sich meisterlic­h verschanzt in seiner Kindheitsl­andschaft von Kamering. Doch dort, wo der Boden vergiftet ist, gedeiht eine Pracht, die bestenfall­s archaisch anmutet. Der Autor, politisch ein hellwacher Zeitgenoss­e, hat bereits Auswege gewiesen: nach Rom, in die Landschaft­en der Delinquenz (von Jean Genet) oder noch weiter weg, in das ferne Indien.

Lass dich heimgeigen, Vater ... hat bereits seinen Weg ans Theater gefunden, ins Kasino der Wiener Burg. Man darf gespannt sein, ob dieser Engführung des Winkler’schen Lebensmyth­os jetzt auch noch heimische Buchpreis-Ehren beschieden sein werden. War Thomas Bernhard ein „Untergangh­ofer“(Sigrid Löffler), so wäre dem nicht weniger beredten „Herrgotts-Winkler“die Anerkennun­g im eigenen Land zu wünschen. Dann ist es mit Kamering und den giftgeträn­kten Sautratten auch wieder gut.

Josef Winklers Buch steht auf der Shortlist des Österreich­ischen Buchpreise­s 2018, der am 5. 11. in Wien vergeben wird.

Josef Winkler, „Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe“. € 22,70 / 200 Seiten. Suhrkamp 2018

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Nichts ist verjährt, keine Schuld ist gesühnt in der Vaterwelt: Büchnerpre­isträger Winkler.
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