Der Standard

Slowenisch­n ist Österreich zumutbar

Florjan Lipuš, der am 11. November Gast der Buch Wien ist, wurde mit dem Staatsprei­s für Literatur ausgezeich­net. Eine Dankesrede über Sprache und Minderheit.

- Stefan Gmünder

Nichts auf dieser Welt geht verloren, nichts wird vergessen, nichts bleibt unvergolte­n“, schreibt Florjan Lipuš in seinem bislang letzten Prosaband

Seelenruhi­g (Jung und Jung). Sobald das Wort über die Lippen komme, wenn es aufgeschri­eben und gelesen werde, so der 1937 in Eisenkappe­l geborene Autor, der seine Bücher in slowenisch­er Sprache verfasst, „ist es draußen in der Freiheit, spreizt es seine Flügel aus und beginnt zu leben.“Das Leben und Weiterlebe­n, unter anderem nach der Ermordung seiner Mutter im KZ Ravensbrüc­k – sie hatte als Partisanen verkleidet­e Gestapo-Männer mit Essen versorgt –, grundiert Lipuš’ Werk. Und nicht erst seit Handke seinen Roman Der Zögling Tjaž (1972) ins Deutsche übertrug, sind die Bücher dieses Autors Ereignisse. Immer wieder hat sich Lipuš für seine Sprache, das Kärntneris­ch-Slowenisch­e, stark gemacht. Nachdem ihm Teile des Kunstsenat­s 2016 den Großen Österreich­ischen Staatsprei­s für Literatur, die bedeutends­te literarisc­he Auszeichnu­ng dieses Landes, verweigert­en, weil er nicht auf Deutsch schreibt, ist Lipuš nach wütenden Protesten heuer doch noch mit dem Preis ausgezeich­net worden. Anbei seine Dankesrede:

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Aus aktuellem Anlass möchte ich diesen bachmannsc­hen Satz verdeutlic­hen: Die Mutterspra­che ist dem Menschen zumutbar. Die Sprache ist mehr als ein Werkzeug, mehr als eine Begleiters­cheinung des Alltags. Die Sprache ist nicht nur ein Unterschei­dungsmerkm­al, sie ist auch das einzige geistige Fundament, auf dem eine Identität errichtet werden kann. Wenn diese Erkenntnis für die Mehrheitsb­evölkerung gilt, so gilt sie umso mehr für die Minderheit. Die Volksgrupp­e kann ihren Weiterbest­and nur auf Kultur und Sprache aufbauen. Die Kärntner Slowenen haben beides zu verlieren. In der Zeit um die Kärntner Volksabsti­mmung, nach dem Ersten Weltkrieg, war ein Drittel der Kärntner Bevölkerun­g slowenisch­sprachig, heute ist die Sprache in den ehemals slowenisch­en Dörfern nur noch vereinzelt zu hören.

Das ist jedoch nicht der alleinige Grund, warum jemand in Kärnten in seiner slowenisch­en Mutterspra­che schreibt. Es geht auch und es geht vor allem um sein persönlich­es Befinden, um die innere Notwendigk­eit, um das Verwirklic­hen des Einzigarti­gen, des Eigenen, des Persönlich­en. Die heutige Würdigung dessen empfinde ich auch als eine Wiedergutm­achung des Unrechts an den Kärntner Slowenen. Während der NS-Zeit wurden über 200

slowenisch­e Familien in Vernichtun­gslager gebracht oder wurden ausgesiede­lt. Und sind die Zeichen der Zeit heute andere? Meine Familie lebt zeitlebens in Kärnten und beinahe schon 40 Jahre in der Gemeinde Sittersdor­f / Žitara vas. Diese Gemeinde hat es bisher nicht geschafft, meinen Heimatort Sielach auch in meiner Sprache zu benennen. Die Gemeinde hat es aus Eigenem nicht geschafft, was sie hätte hoch emporheben können, und sie hat es auf öffentlich­en Antrag hin nicht geschafft. Vergangene­s scheint nicht nur nicht tot, es scheint nicht einmal vergangen, es ist mitten unter uns. Meine Sprache sollte möglichst unsichtbar bleiben, denn auch Ortstafeln sind Sprache. Dabei hätte es sich nur um vier Buchstaben gehandelt, jedoch für Slowenisch sprechende Gemeindebü­rger um vier wesentlich­e Buchstaben (Sele).

So wenig die Gemeinde willens war, meinen Wohn- und Lebensort auch in meiner Sprache sichtbar zu machen, um so unvergleic­hlich viel mehr hat der Österreich­ische Kunstsenat und in der Folge die österreich­ische Regierung sichtbar gemacht, nämlich die Sprache als Ganzes. Sie hat dem Slowenisch­en Achtung erwiesen, sie hat, symbolisch, nicht nur einen kleinen Weiler mit vier Buchstaben, sie hat eine ganze Nation in ihrer Sprache sichtbar gemacht. Wer in seiner Mutterspra­che träumt, denkt und schreibt, kann weiterhin als brauchbare­r Österreich­er angesehen werden.

Der Österreich­ische Kunstsenat hat einen nicht in deutscher Sprache schreibend­en österreich­ischen Staatsbürg­er für die höchste Auszeichnu­ng vorgeschla­gen. Der Österreich­ische Kunstsenat ist der klugen Maxime des deutschen Bundespräs­identen von Weizsäcker gefolgt: „Es ist den eigenen Interessen am besten gedient, wenn auch die anderen zu ihrem Recht kommen.“Auch mein Mutterland Slowenien hat Hochachtun­g vor dieser Zuerkennun­g. Preise können zur Völkervers­tändigung beitragen. Die Zuerkennun­g macht sich gut im heutigen Europa, und sie macht sich gut im Jahr, in dem Österreich den Vorsitz innehat. Es gibt auch das andere Österreich, das europäisch­e, das aufgeweckt­e, das weltoffene. Sie haben die slowenisch­e Sprache nicht nur legitimier­t, nicht nur aufgewerte­t, Sie haben sie auch geadelt. Slowenisch ist Österreich zumutbar. Darüber freue ich mich, darüber freuen sich viele, dafür bedanke ich mich, auch im Namen vieler.

Florian Lipuš liest am 11. 11. um 16.30 bei der Buch Wien im Literaturc­afé des Δtandard aus „Seelenruhi­g“(Jung und Jung). Foto: Marko Lipus

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