Der Standard

Wie in der „Gala“– oder im echten Leben

Erika Pluhar schreibt in „Anna“über die Kindheit ihrer Tochter, aber auch über sich selbst als junge Frau und Mutter.

- Andrea Heinz

Gezeugt wird das Mädchen auf einem Schloss. „Sanftes Licht aus Lampen mit Seidenschi­rmen, ein riesengroß­es, weißes Bett, von gedrechsel­ten Säulchen flankiert.“Es beginnt wie im Märchen, weiter geht es aber eher wie in der Gala. Oder der Bunten. Berühmte Schauspiel­er geben sich die Klinke in die Hand, es wird gesoffen und betrogen, im Porsche durch die Stadt gebraust. Wenn man abends „ganz Wien“einlädt, gleicht die Mutter in ihrem silbernen Kleid „einer Prinzessin“, und als sie schließlic­h einen blutjungen Dichter heiratet, taucht in der Hochzeitsn­acht der Ex-Mann, Pelzmütze und Uniform tragend, in einem Militärfah­rzeug auf und fuchtelt mit einer Pistole herum.

Das ist kein Märchen und das Mädchen Anna, das dem Roman seinen Titel gibt, keine Prinzessin, sondern die Tochter einer Schauspiel­erin und eines, wie der Klappentex­t kundtut, „umtriebige­n, machtverli­ebten und genialisch­en Designers“.

Sollten sie nicht ohnehin die zahlreich erschienen­en Interviews mit der Autorin Erika Pluhar gelesen haben, wird den informiert­en Leserinnen und Lesern im Laufe der Lektüre schnell klar: Bei dem Kind Anna handelt es sich um die 1999 im Alter von 37 Jahren verstorben­e Tochter von Pluhar und Udo Proksch. Und neben den Eltern taucht allerlei weitere Theater-, Film- und Fernsehpro­minenz auf: In der Rolle der Liebhaber treten selbstvers­tändlich André Heller (den das Kind einmal nackt und „irgendwie mit ihr verschlung­en“mit einer anderen Frau im Ehebett vor- findet) und Peter Vogel auf. Daneben haben unter anderem die Familie Bennent oder der Regisseur Gernot Friedel ihre Auftritte. Wer sich für Klatschges­chichten interessie­rt, für Gala und Bunte, der wird seine Freude haben.

Man täte dem Buch und der Autorin aber unrecht, es so zu lesen. Nicht umsonst heißt der Roman im Untertitel Eine Kindheit, denn genau darum geht es Erika Pluhar: die Kindheit ihrer viel zu früh an einem Asthmaanfa­ll verstorben­en Tochter zu erzählen oder vielmehr zu rekonstrui­eren. Denn vieles, was im Roman vorkommt, etwa die Aufenthalt­e der Tochter in einem Kinderheim in der Schweiz, wo ihr Asthma kuriert werden soll, hat die Autorin selbst gar nicht miterlebt.

Die Trauer darüber schwingt mit in diesem Buch, sie ist das eigentlich­e Thema: eine Mutter, die nicht so für ihr Kind da sein konnte, wie dieses es gebraucht hätte. Rabenmutte­r braucht da aber keiner zu rufen oder auch nur zu denken. Vielmehr zeigt Pluhar, aufrichtig und schonungsl­os auch mit sich selbst, dass das Leben in so einfachen Begriffen nicht zu fassen ist.

Sie erzählt von der jungen Frau, die sie selbst einmal war. Die ihr Kind innig geliebt hat, aber auch ihren Beruf. Die auch selbst weiter leben, lieben und geliebt werden wollte. Die selbst nur ein Mensch war und als solcher Probleme hatte und Fehler gemacht hat. Sie zeigt dabei eine klare Einsicht in die Mechanik zwischenme­nschlicher Beziehunge­n, etwa wenn es darum geht, dass es „das Knuddeln“in der Familie nicht gab. „Dieses Wort und auch dieser Vorgang schien beiden Eltern fremd, ja so- gar ein wenig unheimlich zu sein, und ihre Scheu davor entsprang vielleicht einem Mangel, den sie selbst ehemals erlitten hatten.“Ein leiser Hinweis auf eine Tatsache, die man nicht übersehen sollte: Pluhar und Proksch entstammen einer Welt, in der Krieg herrschte.

Man liest diese Geschichte nicht immer ohne Widerwille­n, und man leidet oft mit dem Kind, das da zum Spielball und Opfer der Egoismen, Neurosen und Selbstverl­iebtheit der Großen wird. Pluhar beschreibt das sehr einfühlsam und klar. Freilich kann man Sätze wie „Und ihr Körper sprach das so sehr aus, dass sofort ein Kind empfangen wurde“oder „Im Waldviertl­er Bauernhaus herrschte meist Frohsinn und friedvolle­s Beisammens­ein“als bieder und betulich abtun. Man kann aber auch eine bald 80-jährige Frau bewundern, die unaufgeset­zt, authentisc­h und lebensklug über ihre Erfahrunge­n schreibt. Die geradezu unfassbar offen und gelassen von den Verirrunge­n der Menschen erzählt, aber auch davon, dass trotz aller Verletzung­en und Fehler etwas bleibt, das stärker ist: die Liebe und die Freude am Zusammense­in.

Ein wenig schade ist, dass das Buch Anna nur bis zum zwölften Lebensjahr begleitet, man sie also nur als mehr oder weniger abhängiges, ausgesetzt­es und leidendes Kind kennenlern­t, als „kleiner Soldat“, der „schweigsam und aufrecht“neben der Mutter steht, während diese schluchzt und weint. Man hätte Anna gerne dabei begleitet, wie sie zu einem eigenständ­igen, erwachsene­n Menschen wird. Abgesehen davon aber kommt Pluhars Buch gerade recht in einer Zeit, die beherrscht ist von stetiger Vermeidung­shaltung, um nur ja keine Fehler und alles richtig zu machen. Denn sie erzählt nicht nur von einer Kindheit, die nicht ganz optimal verlaufen ist – sondern auch von den vielen glückliche­n Momenten in Annas Leben, davon, dass sie von Menschen umgeben war, die sie aufrichtig geliebt haben. Anna ist ein Plädoyer dafür, das Leben nicht zu vermeiden, sondern zu leben.

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Anna und Erika Pluhar und die Trauer, die mitschwing­t, dass sie nicht so für ihr Kind da sein konnte ...
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Foto: Christina Häusler Die Autorin Erika Pluhar.
 ??  ?? Erika Pluhar, „Anna. Eine Kindheit“. € 24,00 / 248 Seiten. Residenz-Verlag, 2018Erika Pluhar liest am 9. 11. um 14, 15 und 16 Uhr auf der Buch Wien 2018.
Erika Pluhar, „Anna. Eine Kindheit“. € 24,00 / 248 Seiten. Residenz-Verlag, 2018Erika Pluhar liest am 9. 11. um 14, 15 und 16 Uhr auf der Buch Wien 2018.

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