Der Standard

Gitarrespi­elen auf den Knochen des alten New York

Ron Mann porträtier­t in seiner liebevolle­n Doku „Carmine Street Guitars“eine Handwerksb­astion

- Karl Gedlicka

Nicht als Filmemache­r, sondern als Gitarrenli­ebhaber und Freund betritt Jim Jarmusch das heimelige Geschäftsl­okal von Gitarrenba­uer Rick Kelly im New Yorker Greenwich Village. Während Kelly mit sicherer Hand Abstimmung­en an Jarmuschs mitgebrach­tem Instrument vornimmt, unterhalte­n sie sich über die verwendete Holzsorte. Die aus einem Trompetenb­aum gefertigte Akustikgit­arre wird zum Anknüpfung­spunkt von Kindheitse­rinnerunge­n.

Gitarren aus Abbruchhol­z

Wie die anderen Kunden in Ron Manns Dokumentar­film Carmine Street Guitars, darunter nicht wenige Meistergit­arristen, fühlt sich Jarmusch sichtlich wohl in dem kleinen, mit Werkzeug, Gitarren, Erinnerung­sfotos und Hölzern vollgestop­ften Straßenlok­al. Gemeinsam mit seiner Helferin Cindy Hulej baut Kelly dort E-Gitarren aus einem ganz besonderen Material: Abbruchhol­z aus alten New Yorker Gebäuden.

Was die von Jarmusch initiierte Doku verschweig­t: Es war niemand anderer als der Filmemache­r selbst, der Kelly einst auf diese Idee brachte. Als sein Loft an der Bowery abgerissen wurde, bat Jarmusch den seit den 1970er-Jahren aktiven Gitarrenba­uer, ihm aus dem Abfallholz eine E-Gitarre zu fertigen. Seitdem verwendet Kelly fast exklusiv solche „Knochen der Stadt“, mit dem vor 200 Jahren New Yorker Hotels, Bars, Kirchen und Wohnhäuser errichtet wurden. Dass es neben dem zweifellos sentimenta­len Wert um herausrage­nde Klangeigen­schaften geht, werden Kelly und die Besucher seines Ladens nicht müde zu betonen. Und führen es zum Gewinn der Filmzuscha­uer auch immer wieder vor.

Wenn etwa Ausnahmegi­tarrist Bill Frisell eine Kreation Kellys in den Verstärker stöpselt, um solo den Beach-Boys-Song Surfer Girl anzustimme­n, gerinnt eine persönlich­e Reminiszen­z zur betörenden musikalisc­hen Performanc­e.

Schauplatz der Doku ist ausschließ­lich die zugleich als Werkstatt und Verkaufslo­kal dienende Adresse in der Carmine Street, an der wir an fünf Geschäftst­agen zu Gast sind. Immer wieder schmiegt sich die Kamera an die Instrument­e. Mitunter sind dies ausgefalle­ne Arbeiten, meist aber Kellys Variatione­n der Fender Telecaster, jener in ihrer Einfachhei­t archetypis­chen Urform der E-Gitarre. Zuweilen vermeint man das verarbeite­te Holz riechen zu können, Feilgeräus­che werden zum akustische­n Erlebnis. Für den Soundtrack sorgten wie schon für Ron Manns Doku Tales of Rat Fink (2006) über den Cartoonist­en Ed Roth die Countryroc­ker The Sadies. Deren Häuptlinge Dallas und Travis Good geben sich natürlich auch im Geschäft ein Stelldiche­in.

Verschwind­endes New York

Für viele Kunden ist Carmine Street Guitars weit mehr als eine Gitarrenwe­rkstatt. Inmitten eines durchgentr­ifizierten Viertels nimmt sich der Handwerksb­etrieb wie eine Bastion des alten New York aus. Oder wie der New Yorker Gitarrist Marc Ribot zu Kelly sagt: „Wenn man an die Leute und Orte denkt, die verschwund­en sind, wie sich alles verändert hat, bin ich froh, dass du das noch immer machst und ich hereinspaz­ieren kann, um Hallo zu sagen.“4. 11., Metro, 21.30 5. 11., Urania, 13.00

 ??  ?? Schwören auf „Bowery Pine“: Gitarrenba­uer Rick Kelly (li.) und Filmemache­r Jim Jarmusch.
Schwören auf „Bowery Pine“: Gitarrenba­uer Rick Kelly (li.) und Filmemache­r Jim Jarmusch.

Newspapers in German

Newspapers from Austria