Wie soll im Nahen Osten weiterhin Getreide wachsen?
In „Wild Relatives“schlägt Jumana Manna eine Brücke zwischen Getreidefeldern im Libanon und der Steppe Norwegens
Nach einem halben Jahrhundert industrialisierter Landwirtschaft sind die Schäden in den Böden und im Saatgut längst mess- und sichtbar. Es gibt dazu zahlreiche Dokumentarfilme, die weltweit Profitstrukturen untersuchen und die blindwütige Kapitalisierung von Ressourcen anprangern. Darum geht es letztendlich auch der amerikanisch-palästinensischen Künstlerin und Regisseurin Jumana Manna. Doch die 31-Jährige erschließt dafür ganz ungewöhnliche Blickwinkel und geht mit völlig ruhiger Hand vor.
In Wild Relatives führt sie zwei Schauplätze zusammen: zum einen das fruchtbare Bekaa-Tal im Libanon, in dem das aus Kriegsgründen aus Aleppo exilierte internationale Forschungszentrum International Center for Agricultural Research in the Dry Areas (Icarda) alte Getreidesorten kultiviert. Zum anderen einen riesigen Bunker im norwegischen Permafrost, wo die in silbrigen Säckchen vakuumierten libanesi- schen Getreidekörner für Ernstfall lagern.
Hauptdarstellerin in Wild Relatives ist die von ungewöhnlicher Lichtgebung gezeichnete, keineswegs spektakulär in Szene gesetzte Natur: Äcker im Morgendunst, Ähren unter einem langweiligen Himmel oder die kahle Steppe Norwegens, die dem Libanon überraschend ähnlich ist.
Die Natur wird in Wild Relatives kenntlich als geduldige Arbeiterin, die alles mitträgt, was Menschen sich vornehmen. Forschungsprojekte wie Icarda wur- den den einst in den 1970er-Jahren gegründet, im Glauben, man könne mit hochgetunter Landwirtschaft den Welthunger stemmen (und damit auch gleich den Kommunismus obsolet machen). Doch die Chemie macht die Erde nicht „happy“. Das weiß der vor sieben Jahren aus Aleppo vertriebene Bauer Wahid. Er hat sich in der libanesischen Hochebene einen Garten angelegt, in dem er mit Würmern und Brennnesseldünger experimentiert.
Ein eingesessener libanesischer Bauer moniert zynisch, dass es inzwischen lukrativer geworden sei, das Ackerland mit Flüchtlingszelten zu „bewirtschaften“als mit Früchten und Getreide. Syrische Schülerinnen erledigen auf den Feldern die pingelige Arbeit der Samenmanipulation mit Pinzetten. Sie rauchen dabei Damenzigaretten oder tanzen auf dem staubigen Boden.
Indes klettern ein Priester in seinem liturgischen Kittel und ein Naturwissenschafter auf dem Fundament eines Turms in Spitzbergen herum und fragen sich, ob der Mensch schlecht sei. Und wie sehr der Klimawandel die karge Landschaft bereits verändert hat.
So entstehen in Jumana Mannas Dokumentarfilm subtile Verbindungslinien, die die Welt – und möge sie noch so konträr erscheinen – ganz unaufgeregt zusammendenken. Wild Relatives ist so gesehen ein integrativer Film, dessen Titel nicht nur die Sortenvielfalt von Nutzpflanzen meint, sondern auch uns Menschen herunterbricht auf Geschöpfe, die nichts anderes sind als zum Überleben bestimmte Naturprodukte. 6. 11., Stadtkino, 18.00 7. 11., Metrokino, 18.00