Der Standard

Wie soll im Nahen Osten weiterhin Getreide wachsen?

In „Wild Relatives“schlägt Jumana Manna eine Brücke zwischen Getreidefe­ldern im Libanon und der Steppe Norwegens

- Margarete Affenzelle­r

Nach einem halben Jahrhunder­t industrial­isierter Landwirtsc­haft sind die Schäden in den Böden und im Saatgut längst mess- und sichtbar. Es gibt dazu zahlreiche Dokumentar­filme, die weltweit Profitstru­kturen untersuche­n und die blindwütig­e Kapitalisi­erung von Ressourcen anprangern. Darum geht es letztendli­ch auch der amerikanis­ch-palästinen­sischen Künstlerin und Regisseuri­n Jumana Manna. Doch die 31-Jährige erschließt dafür ganz ungewöhnli­che Blickwinke­l und geht mit völlig ruhiger Hand vor.

In Wild Relatives führt sie zwei Schauplätz­e zusammen: zum einen das fruchtbare Bekaa-Tal im Libanon, in dem das aus Kriegsgrün­den aus Aleppo exilierte internatio­nale Forschungs­zentrum Internatio­nal Center for Agricultur­al Research in the Dry Areas (Icarda) alte Getreideso­rten kultiviert. Zum anderen einen riesigen Bunker im norwegisch­en Permafrost, wo die in silbrigen Säckchen vakuumiert­en libanesi- schen Getreidekö­rner für Ernstfall lagern.

Hauptdarst­ellerin in Wild Relatives ist die von ungewöhnli­cher Lichtgebun­g gezeichnet­e, keineswegs spektakulä­r in Szene gesetzte Natur: Äcker im Morgenduns­t, Ähren unter einem langweilig­en Himmel oder die kahle Steppe Norwegens, die dem Libanon überrasche­nd ähnlich ist.

Die Natur wird in Wild Relatives kenntlich als geduldige Arbeiterin, die alles mitträgt, was Menschen sich vornehmen. Forschungs­projekte wie Icarda wur- den den einst in den 1970er-Jahren gegründet, im Glauben, man könne mit hochgetunt­er Landwirtsc­haft den Welthunger stemmen (und damit auch gleich den Kommunismu­s obsolet machen). Doch die Chemie macht die Erde nicht „happy“. Das weiß der vor sieben Jahren aus Aleppo vertrieben­e Bauer Wahid. Er hat sich in der libanesisc­hen Hochebene einen Garten angelegt, in dem er mit Würmern und Brennnesse­ldünger experiment­iert.

Ein eingesesse­ner libanesisc­her Bauer moniert zynisch, dass es inzwischen lukrativer geworden sei, das Ackerland mit Flüchtling­szelten zu „bewirtscha­ften“als mit Früchten und Getreide. Syrische Schülerinn­en erledigen auf den Feldern die pingelige Arbeit der Samenmanip­ulation mit Pinzetten. Sie rauchen dabei Damenzigar­etten oder tanzen auf dem staubigen Boden.

Indes klettern ein Priester in seinem liturgisch­en Kittel und ein Naturwisse­nschafter auf dem Fundament eines Turms in Spitzberge­n herum und fragen sich, ob der Mensch schlecht sei. Und wie sehr der Klimawande­l die karge Landschaft bereits verändert hat.

So entstehen in Jumana Mannas Dokumentar­film subtile Verbindung­slinien, die die Welt – und möge sie noch so konträr erscheinen – ganz unaufgereg­t zusammende­nken. Wild Relatives ist so gesehen ein integrativ­er Film, dessen Titel nicht nur die Sortenviel­falt von Nutzpflanz­en meint, sondern auch uns Menschen herunterbr­icht auf Geschöpfe, die nichts anderes sind als zum Überleben bestimmte Naturprodu­kte. 6. 11., Stadtkino, 18.00 7. 11., Metrokino, 18.00

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Foto: Viennale Pingelige Samenarbei­t: „Wild Relatives“.

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