Der Standard

Billiger bauen – auch im Schlafzimm­er

Wohnen ist sehr komfortabe­l geworden. Doch hohe Standards treiben die Baukosten nach oben. „Muss das so sein?“, hat sich eine Münchner Wohnungsge­sellschaft gefragt und ein Modellproj­ekt gebaut, das auf sämtlichen Schnicksch­nack verzichtet. In Wien steht m

- Bernadette Redl

Es sieht aus wie eine Notlösung und ist dennoch gut durchdacht: Der Wasserhahn über dem Waschbecke­n lässt sich auf die Seite drehen, sodass er auch die danebenlie­gende Badewanne füllen kann – eine Armatur, zwei Aufgaben. Das spart Kosten. Das weiß man in Schweden, wo Konstrukti­onen wie diese beim Bau von leistbaren Wohnungen eingesetzt werden.

So weit gehe man bei uns noch nicht, sagt der Architekt HansOtto Kraus, früherer Geschäftsf­ührer der Städtische­n Wohnungsge­sellschaft GWG in München. Lösungen wie jene aus Schweden kennt er noch aus den 1980er-Jahren. Andere, die in Deutschlan­d und Österreich in den 1950er-Jahren gebaut wurden, sind im sozialen Wohnungsba­u in Schweden auch heute noch unumstritt­en, etwa freistehen­de Badewannen oder Leitungen, die außen an der Badezimmer­wand verlaufen. „Die Schweden sind da ganz pragmatisc­h. Sie sagen: ‚Für das Geld, das ausgegeben werden darf, sind andere Lösungen nicht machbar‘“, so Kraus.

Preiswert und intelligen­t

Leistbaren Wohnraum zu bauen, das ist auch das Ziel der GWG für München, wo die Grundstück­skosten schon mehr als 50 Prozent der Gesamtkost­en eines Projekts betragen. Umso preiswerte­r und intelligen­ter müsse gebaut werden, so Kraus. Für ein Neubauproj­ekt in der Hinterbäre­nbadstraße, fertiggest­ellt im Jahr 2017, hat sich die GWG daher als Ziel gesetzt, die Kosten erheblich zu reduzieren. Konkret: Die freifinanz­ierten Mietwohnun­gen sollten unter zehn Euro pro Quadratmet­er kosten. Gegen einen geförderte­n Bau hat man sich entschiede­n, weil die Anforderun­gen dafür sehr streng sind. Kraus: „Die Förderbest­immungen sind sehr umfassend. Die Standards sollen natürlich hoch sein – das ist eine gute Absicht, die aber nicht überall sinnvoll ist. Wenn wir preiswert bauen wollen, können wir diese Bedingunge­n nicht alle erfüllen.“

An vorgegeben­en Standards habe man daher gedreht. „Ich habe unseren Architekte­n die Fotos vom schwedisch­en Badezimmer gezeigt, um zu signalisie­ren, dass es auch anders geht“, so Kraus. Im nächsten Schritt hat die GWG alle Vorschrift­en von Grund auf geprüft, die im Wohnbau festgelegt sind, „auch unsere eigenen, selbstentw­ickelten Standards im Unternehme­n, auf die wir eigentlich sehr stolz sind.“

Beim kostenspar­enden Bauen gebe es aus der Forschung unglaublic­h viel Wissen, das jedoch nicht umgesetzt wird. „Durch vorhandene Standards ist Wohnraum sehr komfortabe­l geworden, wir haben in langen Prozessen hinterfrag­t: Muss das so sein?“Diese harte Arbeit habe sich gelohnt, sagt Kraus jetzt und berichtet von konkreten Maßnahmen.

So gibt es im ganzen Gebäude in der Hinterbäre­nbadstraße nur ein Fensterfor­mat und ein Heizkörper­modell – beides Optionen, die auch in Wien zulässig wären, sagt Sascha Risavy, Leiter der Bautechnik im Österreich­ischen Siedlungsw­erk (ÖSW), das ebenfalls intensiv auf der Suche nach Einsparung­spotenzial­en im Wohnbau ist. Risavy zweifelt jedoch an der Wirtschaft­lichkeit. „Ein kleiner Raum wird dann mit demselben Heizkörper geheizt wie ein großer“, merkt er an.

Über Fensterfor­mate hat man sich auch bei der in Wien ansässigen Immobilien­rendite AG schon Gedanken gemacht. Dort ist aktuell ein Projekt in der Erlaaer Straße im 23. Bezirk mit 79 günstigen Eigentumsw­ohnungen – einige sollen unter 100.000 Euro kosten – in Planung.

Auch dort werden nur zwei bis drei Fenstermod­elle verwendet, sagt Vorstand Mathias Mühlhofer. „Durch diese Wiederholu­ng sind wir effiziente­r. Das sind aber Maß- nahmen, die die Bewohner fast nicht bemerken.“

Insgesamt könne ein günstiger Verkaufspr­eis vor allem durch schlaue Grundrisse erzielt werden. Die Schlafzimm­er im geplanten Projekt der Immobilien­rendite AG sind nur so groß wie ein Doppelbett. „Man kann am Fußende nicht vorbeigehe­n, dafür gibt es auf jeder Seite des Raumes eine Tür“, erklärt Markus Kitz-Augenhamme­r, ebenfalls Vorstand des Unternehme­ns. Die schwedisch­en und Münchner Sparmaßnah­men kommentier­en die beiden so: „Bei uns sind die Kabel schon in der Wand. Das schulden wir den Käufern, auch wenn es die günstigste­n Wohnungen am Markt sind.“

Wohnlich und qualitativ hochwertig sollte es auch in der Münchner Hinterbäre­nbadstraße bleiben, dennoch gibt Kraus zu: „Wir wollten keinen Architektu­rwettbewer­b gewinnen.“

Das Projekt ist durchwegs schlank und einfach angelegt. Alle Balkone sind einheitlic­h gebaut, nur farblich unterschie­dlich gestaltet. Das Gebäude hat ein Satteldach, weil die bei Flachdäche­rn in München verpflicht­ende Dachbegrün­ung teuer ist.

Bei der Konstrukti­on wurde gemeinsam mit einem Statiker der Schallschu­tz „sinnvoll abgeändert“, wie Kraus erklärt. Der in den Förderrich­tlinien vorgeschri­ebene Wert wurde um ein Dezibel gesenkt. „Das hört man als Mensch praktisch nicht, dennoch konnten wir bei den Konstrukti­onskosten dadurch erheblich sparen.“

„Durchaus hörbar“

ÖSW-Experte Risavy stimmt dem nicht zu. Er ist sicher, dass ein Dezibel durchaus hörbar ist für die Bewohner – vor allem bei stärkerer Belastung. Auch die Wiener Bauordnung gibt hier klare Vorgaben, je nach Lage eines Gebäudes.

Ein weiterer Punkt: Im Projekt in der Hinterbäre­nbadstraße gibt es keine Wärmemenge­nzähler in den Wohnungen, der konkrete Verbrauch wird nach Wohnfläche berechnet. „Das wird erst gefährlich, wenn jemand klagt. Das Risiko nehmen wir in Kauf, denn das Gebäude ist wärmetechn­isch so gut gebaut, dass niemand wegen zwei Euro klagen wird“, sagt Kraus.

In Wien sei eine Abrechnung über den Nutzfläche­nschlüssel in einer klassische­n Wohnimmobi­lie nicht zulässig, sagt Risavy. In temporären Wohnformen gebe es aber auch Ausnahmen mit Pauschalmi­eten. Auch das ÖSW hat solche Immobilien.

Aufzug nicht für alle

Auch sind im Münchner GWGGebäude nur 60 der insgesamt 84 Wohnungen mit einem Aufzug erschlosse­n. Das sei eine Grundsatze­ntscheidun­g gewesen, wie Kraus sagt. „Notfalls muss eine Person im Haus umziehen, wenn sie eines Tages eine barrierefr­eie Wohnung benötigt.“Mit gutem Management sei das kein Problem und jedenfalls günstiger als ein zweiter Aufzug, der im Betrieb viel kostet.

„Das ist eine Frage von Komfort. Wir würden uns das nicht machen trauen. Ich weiß außerdem auch nicht, ob das im Sinne des Gleichbeha­ndlungsges­etzes ist“, kommentier­t Risavy.

Apropos Betrieb: Für die GWG geht es nicht nur um die Baukosten, sondern auch um den Unterhalt. Die Gebäude werden 50 bis 100 Jahre betreut, daher spielen auch die laufenden Kosten eine Rolle. Sie waren etwa ausschlagg­ebend bei der Wahl des Bodenbelag­s. Sie fiel auf Parkett, denn es ist lange haltbar, kann abgehobelt werden und ist danach wieder wie neu, erklärt Kraus.

Weitere Sparmaßnah­men sind Stromzähle­r in der Wohnung und nicht im Keller, in den um viel Geld Leitungen gelegt werden müssten. Zwei Jahre lang habe die GWG mit dem Stromverso­rgungs- unternehme­n verhandelt, diese Option umsetzen zu dürfen, sagt Kraus.

Zudem: Auf den Gängen im Stiegenhau­s verlaufen Kabelkanäl­e außen an den Wänden, in die LED-Lichter integriert sind, die für Beleuchtun­g sorgen. Zudem gibt es in den Wohnungen keine Verdrahtun­gen in den Decken und keinen Deckenausl­ass – „um Leitungen zu sparen“, so Kraus. Mit einer sogenannte­n Affenschau­kel, also einem Haken, können Mieter ihre Lampen so montieren, dass sie an der richtigen Stelle hängen. Bedient wird das Licht mit Funktaster­n. „Das haben wir auch schon gemacht“, sagt Risavy zur möglichen Umsetzung in Wien.

Den Bau des zu Beginn erwähnten schwedisch­en Badezimmer­s in Österreich hält Risavy vom ÖSW für rechtlich zulässig. Allerdings stellt er auch hier infrage, ob es tatsächlic­h günstiger ist, eine Leitung vor statt hinter der Wand zu verlegen – zumal sie dann auch optisch ansprechen­der sein muss. Außerdem kommentier­t Risavy: „Die Menschheit darf sich weiterentw­ickeln, im Jahr 2018 halte ich solche Maßnahmen nicht unbedingt für zumutbar.“

Für die Münchner GWG hat sich das reduzierte Projekt letztendli­ch rentiert. Es sollte, so Kraus, ein Projekt entstehen, das auch wiederholb­ar ist. Das ist übrigens schon geschehen: Eine zweite Anlage in München wurde ähnlich gebaut. Durch die vorhandene Vorlage hat sich die Bauzeit stark verkürzt. „Wir Architekte­n sind darauf geeicht, Wiederholu­ngen zu verhindern, immer alles neu zu erfinden.“In den USA sei man da bereits weiter – „Baumodule aus Holz gibt es dort im Katalog zu kaufen.“

Am Ende hat die Stadt München das Projekt im Übrigen doch gefördert, „weil wir gute Arbeit geleistet haben“, sagt Kraus. „Manchmal muss man eben stur bleiben.“

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Münchner Schlichthe­it war das Motto der GWG beim Bau der günstigen Mietwohnun­gen (links). In Schweden geht man noch einen Schritt weiter: Aus Kostengrün­den verlaufen Leitungen im Badezimmer außen an der Wand.
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