Der Standard

Leben im Algorithmu­s

Algorithme­n tragen mittlerwei­le zu Entscheidu­ngen bei, die für Menschen weitreiche­nde Konsequenz­en haben. Die Kernfrage lautet: Wie objektiv sind diese Programme wirklich?

- BERICHT: Muzayen Al-Youssef , Markus Sulzbacher

Eine Software, die voraussagt, wo und wann ein Verbrecher zuschlägt: Was nach einem Science-Fiction-Szenario im Stil von Minority Re

port klingt, ist in Österreich bereits Realität. „Predictive Policing“(zu Deutsch: vorhersage­nde Polizeiarb­eit) gehört mittlerwei­le zum Alltag der Polizei. Das Bundeskrim­inalamt in Wien heuert eigene Programmie­rer an, die sich mit „Crime-Mapping“, der geografisc­hen Zuordnung von Kriminalit­ät, befassen. Derzeit kommen Algorithme­n verstärkt zur Bekämpfung von sogenannte­n Dämmerungs­einbrüchen zum Einsatz.

Konkret definiert die Software Zonen, in denen ein erhöhtes Einbruchsr­isiko besteht. Dafür wird das System mit den entspreche­nden statistisc­hen Daten gefüttert. Wohnungsei­nbruchdieb­stäh-le werden nämlich oft von Serientäte­rn begangen. Die haben häufig ein bestimmtes Tatmuster und probieren es in der Nähe bald wieder. Die Polizei speichert Ort und Zeitpunkt der Taten sowie mögliche erfasste Zusatzinfo­s zur Vorgehensw­eise der Täter. Auch die Nähe zu einer Autobahnau­ffahrt ist zum Beispiel relevant, da Täter so schneller flüchten könnten. Wichtig ist zudem, wie viele Häuser in einer Siedlung ste--

hen, da sich Einbrecher in größeren Siedlungen mehr Beute erhoffen. „Sobald Hotspots ermittelt sind, werden vermehrt Polizisten hingeschic­kt“, erklärt Vincenz Kriegs-Au, Pressespre­cher des Bundeskrim­inalamts, dem Δtandard. Dadurch sei die Zahl erfolgreic­her Einbrüche erheblich gesunken.

Rückgang bei Einbrüchen

2017 sind laut Kriminalst­atistik rund 44 Prozent aller Einbruchsv­ersuche vereitelt worden. Insgesamt ist die Zahl der angezeigte­n Einbrüche von 6680 auf 5808 gesunken. Das Bundeskrim­inalamt begründet diese Entwicklun­g unter anderem mit der erfolgreic­hen Ermittlung­sar- beit. Die algorithmi­sch unterstütz­te Kriminalit­ätsprognos­e ist bei den österreich­ischen Sicherheit­sbehörden bereits länger in Verwendung, sagt Kriegs-Au. Erste Tests gab es bereits im Jahr 2015. Derzeit teste man zusätzlich Echtzeitwa­rnungen via Facebook. Über das soziale Netzwerk sollen Bewohner bestimmter Gebiete „zeitnah und zielgerich­tet“alarmiert werden, um so präventiv vorgehen zu können.

Die Polizei hofft etwa darauf, dass verdächtig­e Beobachtun­gen gemeldet werden. Anders als etwa in den USA gebe es kein ganzheitli­ches System, welches die gesamte Kriminalit­ät umfassend überwacht und Vorhersage­n trifft, jedoch seien einige eigenständ­ige Programme in Verwendung. „Wir haben eigene Programmie­rer, die sie erstellen und anpassen“, sagt Kriegs-Au.

Der Einsatz von Algorithme­n ruft auch Kritik hervor. Angelika Adensamer etwa, Juristin bei der Grundrecht­sNGO Epicenter Works, sagt zum Δtandard, die Wirkung von Predictive Policing sei nicht nachprüfba­r.

„Fährt die Polizei zu einem mutmaßlich­en zukünftige­n Tatort, wo dann nichts passiert, ist nicht feststellb­ar, ob die Vorhersage falsch war oder die Anwesenhei­t der Polizei die Tat verhindert hat“, so Adensamer. Studien aus Deutschlan­d zeigten, dass die erwünschte­n Wirkungen bei Einbrüchen nicht eingetrete­n seien.

Kriminalit­ät sei ein soziales Phänomen und folge keinen eindeutige­n Mustern. Daher sei Predictive Policing, auch wenn Technik eingesetzt werde, ein „Aberglaube“. „Die beste Kriminalpo­litik ist immer noch eine gute und gerechte Sozialpoli­tik, die an den Wurzeln der Kriminalit­ät ansetzt und nicht an berechnete­n Symptomen“, sagt Adensamer.

In Deutschlan­d und den USA wird Predictive Policing in zahlreiche­n Städten eingesetzt – und auch dort scharf kritisiert. Der deutsche Aktivist Matthias Monroy kritisiert etwa, dass Verbrechen­svorhersag­e Phänomene wie „racial profiling“verstärke – also ein gezieltes polizeilic­hes Vorgehen nach bestimmten Gesichtspu­nkten wie der Hautfarbe. Es seien vor allem schwarze Menschen, die die Polizei in der Nähe potenziell­er Tatorte anhalte.

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