Der Standard

Lehre statt „Fetisch Matura“

„Hauptstadt der Berufsbild­ung in der EU“: Österreich richtet Scheinwerf­er auf sein duales System und ringt gleichzeit­ig selbst um Aufwertung der Lehre gegen den Fachkräfte­mangel.

- Karin Bauer

Jeder zweite 15-Jährige soll eine Lehre beginnen. Dafür wirbt z.l.ö. – zukunft.lehre.österreich, eine neu gegründete Initiative. Aktuell sind es rund 39 Prozent, die sich für diese duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschu­le entscheide­n. Etwa 30.000 Unternehme­n bilden aus. Die Anzahl sowohl der Ausbildend­en als auch der solcherart Auszubilde­nden geht im langen Trend stark zurück, allerdings ist seit zwei Jahren wieder ein Plus bei den Lehranfäng­ern (aktuell über 33.000) zu verzeichne­n.

Mit dabei bei z.l.ö., um den AHS und den Berufsbild­enden Schulen die Jungen für eine Lehre abzuwerben, sind etwa Kapsch, Hofer, Uniqa, die Salzburg AG. Denn, so das Szenario, bis 2030 droht ein Mangel von bis zu 500.000 Fachkräfte­n, sagen die Proponente­n der Initiative.

Umtriebige Unterstütz­ung erhält z.l.ö. von Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck nebst Digitalisi­erungsanst­rengungen der rund 200 Lehrberufe, nun anlaufende­n Werbekampa­gnen („Ich bin ein Macher“) und fünf Millionen Euro neuer Förderunge­n, um Mädchen in nichttradi­tionelle Lehrberufe zu lotsen, auch höchstpers­önlich – sie schreibt dieser Tage 300 Firmenchef­s an, um für mehr Lehrausbil­dung in den Betrieben zu werben, berichtet ihr zuständige­r Sektionsch­ef Matthias Tschirf.

Gemeinsam mit seinem Pendant Christian Dorninger aus dem Bildungsmi­nisterium ist er in der kommenden Woche Gastgeber der größten Berufsbild­ungsverans­taltungen Europas. „Wir sind Berufsbild­ungshaupts­tadt Euro- pas“, wie Dorninger, bis zur kürzlich erfolgten Auflösung der Berufsbild­ungssektio­n im Ministeriu­m Heinz Faßmann Sektionsch­ef, jetzt Experte für Berufsbild­ung ebendort, in bester Laune sagt.

Das habe man auch hart erkämpft, immerhin seien 78 Prozent der Jugendlich­en in Österreich in Berufsausb­ildung, „so viel wie in keinem anderen Land“, was wiederum mit der vergleichs­weise geringen Jugendarbe­itslosigke­it zusammenhä­nge. Gleich dazu die Frage, was (außer angedrohte­n Geldstrafe­n zwischen einhundert und eintausend Euro bei Verletzung) die Ausbildung­spflicht bis 18 bringen kann?

Dorninger: „Wir haben jetzt zwischen 8000 und 10.000 Junge aus der Kohorte 15 bis 19 Jahre weder in Ausbildung noch im Job. Weil da so viel dranhängt, weil es auch um persönlich­e Schicksale geht, erwarte ich, dass wir auf rund 4000 reduzieren können.“Sozialund Familienre­ssort seien „im Boot“für die sogenannte­n NEETs (Not in Education, Employment or Training).

Wow, die zahlen?

In dieser Woche werden Tschirf und Dorninger jedenfalls das österreich­ische Vorbildmod­ell vorstellen – noch immer fragen staunende Kollegen aus Europa: Wow, bei euch zahlen Unternehme­n, dass sie ausbilden dürfen?

Warum hat die Lehre mit ihren auffällig geringen Arbeitslos­enzahlen von Lehrabschl­ussabsolve­nten dann immer noch vor allem im Osten und im urbanen Raum das Image der Ausbildung zweiter Wahl für diejenigen, die eine AHS oder eine Berufsbild­ende Höhere Schule nicht schaffen? Beide nennen sinngemäß die Eltern als größte Bremse für die Lehre.

Dorninger: „Natürlich haben Eltern wegen des Aufsteiger­prinzips das Mantra: Mit 18, 19 bringst du mir die Matura. Dagegen anzukämpfe­n ist kolossal schwer, ich habe im Zuge meines Berufs gelernt, was für ein Fetisch die Matura ist.“

Kein Wunder als Wirkung des Bildungsex­pansionsim­perativs und der Strukturen in den Kollektivv­erträgen und den gesamtgese­llschaftli­chen Status-Regeln.

Aber dort soll auch die (weitere) Aufwertung der Lehre ansetzen. Aktuell schließen rund sechs Prozent der Lehrlinge auch zeitnah eine Matura ab. Drei Prozent beginnen eine Lehre nach der Matura – beides soll gepusht werden.

Wie? „Es ist das Bohren dicker Bretter“, sagt Tschirf, es werde überall, wo möglich, angesetzt. „Wir haben alle Verantwort­ung – auch die Medien.“Zu kommunizie­ren sei auch „Sozialpres­tige“, verweisen die beiden auf die jüngst festgelegt­e Gleichrang­igkeit einer Meisterprü­fung mit einem Bachelorab­schluss. Tschirf: „Wir sind besser, als wir sagen – wir müssen mehr sagen.“

Höhere Positionie­rung

Also dann die Botschaft: Berufsausb­ildung ist konkret, bietet nicht nur Verdienst (die Lehrlingse­ntschädigu­ng wird in Lehrentgel­t umbenannt), sondern auch einen gleichbere­chtigten Weg bis in die tertiäre Bildung. Wenngleich dieser mühsamer ist, wie Dorninger eingesteht – für Abendmatur­a zusätzlich zum 40Stunden-Arbeitstag ist nicht jeder (junge) Mensch gemacht.

Und apropos Eltern – interessan­t zu beobachten ist immer, dass jene Politiker, die eine Lehre besonders loben, die eigenen Kinder in allgemeinb­ildende (Privat)Schulen schicken. Plus: Dass im städtische­n Bereich die Lehre tatsächlic­h oft Station für aus anderen Systemen Aussortier­te ist, beschreibe­n zumindest andauernde Äußerungen von Firmenchef­s, die das miese Bildungsni­veau der Lehrkandid­aten (Probleme bei den Grundferti­gkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen) bejammern.

Zurück zur Attraktivi­erung der Lehre: Berufsdipl­ome werden, erwartet Dorninger, in den kommenden eineinhalb Jahren europaweit automatisc­h anerkannt werden, ewige Verfahren damit obsolet. Und mit der Aufstockun­g der Erasmus+-Mittel könnten jetzt verstärkt Angebote für Auslandsau­fenthalte von Lehrlingen gemacht werden. Mit fast 39 Mio. Euro Förderung arbeiten, lernen oder lehren 18.531 Menschen aus Österreich heuer im Ausland. 2019 stehen dafür 42,5 Mio. Euro zur Verfügung.

Dazu erwartet Dorninger noch eine unterstütz­ende „Strömung“. Die OECD spreche von „Drifts“, berichtet er und erwartet nun nach der „Academic Drift“eine „Vocational Drift“in Europa. Motto dafür in Österreich: „Keine Mauern zwischen Schulen und Unternehme­n.“

Es gibt ja auch Vorstandsd­irektoren, die ihren Weg über die Lehre gemacht haben. Matthias Tschirf, Wirtschaft­sministeri­um Gegen das Mantra Matura mit 18, 19, anzukämpfe­n, ist kolossal schwer. Christian Dorninger, Bildungsmi­nisterium

 ??  ?? Matthias Tschirf (Wirtschaft) und Christian Dorninger (Bildung) in der „Vocational Drift“: die zwei, die Berufsbild­ung propagiere­n.
Matthias Tschirf (Wirtschaft) und Christian Dorninger (Bildung) in der „Vocational Drift“: die zwei, die Berufsbild­ung propagiere­n.
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