Der Standard

Was im Pakt wirklich steht

Die Aufregung um den Ausstieg Österreich­s aus dem UN-Migrations­pakt nimmt nicht ab, die Bundesregi­erung verteidigt ihn mit den angeblich negativen Folgen eines Verbleibs. Was genau sieht das Dokument vor?

- Irene Brickner

Die schwarz-blaue Bundesregi­erung sieht ein „Menschenre­cht auf Migration“entstehen und will deshalb aus dem UN-Migrations­pakt aussteigen. Im diesbezügl­ichen Ministerra­tsvortrag wird vor einer „Verwässeru­ng von legaler und illegaler Migration“gewarnt – und die Vermutung geäußert, durch „Völkergewo­hnheitsrec­ht, Soft Law oder internatio­nale Rechtsprec­hung“könne der Pakt rechtsgült­ig werden.

Für die FPÖ kritisiert­e Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache die Inhalte des Dokuments massiv. In FPÖ-nahen Medien ist ganz konkret von Grenzöffnu­ngen die Rede, die der Pakt den Staaten auftrage. Stimmt das? Was genau sieht der UN-Migrations­pakt vor? Was soll er bewirken? Wie verbindlic­h sind seine Ziele – und durch welches Prozedere soll er Verbindlic­hkeit erlangen?

Pakt mit langer Vorlaufzei­t Der Q „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“– im Ministerra­tsvortrag wird er falsch „Globaler Pakt für sichere, geordnete und planmäßige Migration“genannt – ist das Ergebnis jahrelange­r Beratungen auf UNEbene. 2006 sowie 2013 gab es bei den Vereinten Nationen Dialoge über internatio­nale Migration und Entwicklun­g zwischen den Mitgliedst­aaten, 2007 wurde das Globale Forum für Migration und Entwicklun­g ins Leben gerufen.

Auf diesen Plattforme­n wurde die New Yorker Erklärung für Flüchtling­e und Migranten erarbeitet. In deren Rahmen wurde vereinbart, einen Globalen Pakt für Flüchtling­e – derzeit noch in Vorbereitu­ng – sowie den gegenständ­lichen Globalen Pakt für Migration zu erstellen: Das Thema Flucht und das Thema Migration werden also getrennt verhandelt.

Österreich hat sich an diesen Aktivitäte­n und Verhandlun­gen bis zum nunmehrige­n Rückzieher immer beteiligt.

Was bezweckt der Pakt? Er defiQ niert einen pragmatisc­hen Zugang: Die Zusammenar­beit im Bereich der internatio­nalen Migration soll verbessert werden. Migration wird positiv und als „Teil der Menschheit­sgeschicht­e“definiert.

Sie wird aus einer „360-GradPerspe­ktive“betrachtet, was bedeutet, dass die Interessen aller Staaten der Erde gleicherma­ßen berücksich­tigt werden sollen, egal, ob sie arm oder reich, mit Auswanderu­ng oder mit Einwanderu­ng konfrontie­rt sind. Daraus ergibt sich ein weiter Interpreta­tionsspiel­raum der Inhalte.

Was steht in dem Pakt? Das 32 SeiQ ten umfassende Papier beinhaltet eine Präambel, ein Kapitel zu „Visionen und Leitlinien“, einen „Kooperatio­nsrahmen“, 23 „Ziele und Verpflicht­ungen“sowie je ein Kapitel zu „Umsetzung“sowie zur „Weiterverf­olgung und Überprüfun­g“. Es basiert auf der Allgemeine­n Erklärung der Menschenre­chte von 1948 und einer Vielzahl darauffolg­ender, mit dem Phänomen Migration in Zusammenha­ng stehender UN-Dokumente.

Die 23 Ziele des Pakts Diese bauQ en auf dem, so steht es in dem Papier, „Paket von Verpflicht­ungen“auf, die sich aus der obengenann­ten New Yorker Erklärung ergeben – und die Österreich wie alle 193 UN-Mitgliedst­aaten mitverabsc­hiedet hat. Die Bandbreite reicht dabei von einer Verbesseru­ng der globalen Datenlage über Maßnahmen, um Verelendun­g und Repression, die zu Auswanderu­ng führen, zu verhindern, bis hin zu besserem Schutz von Menschen während ihrer Wanderung sowie im Aufnahmest­aat.

Wird das zu Grenzöffnu­ngen führen – und wird es legale mit illegaler Migration verwässern? Wie schon der Name des Pakts verrät, sollen „sichere, geordnete und reguläre“Wege für Migranten geöffnet werden. Die illegale Migration hingegen will man, etwa durch Maßnahmen in den Herkunftss­taaten, zurückdrän­gen.

Im Endergebni­s soll das zu mehr legaler und weniger illegaler Migration mit all ihren Gefahren führen – also zu einer umfassende­ren Verrechtli­chung und zu neuen Abgrenzung­en. Als Verwässeru­ng kann das nur interpreti­eren, wer die derzeit geltenden Regelungen als unverrückb­ar begreift.

Auch sollen alle im Pakt vorgeschla­genen Maßnahmen unter Beachtung des „souveränen Rechts der Staaten, ihre nationale Migrations­politik selbst zu bestimmen“(so der Wortlaut in dem Dokument), stattfinde­n. Da die Grenzsiche­rung eine – in der EU durch Unionsrech­t eingeschrä­nkte – staatliche Aufgabe ist, sind auf Grundlage des Pakts keine unfreiwill­igen Grenzöffnu­ngen zu erwarten.

Wie verpflicht­end ist der Pakt für die beteiligte­n Staaten? „Dieser Globale Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperatio­nsrahmen dar“, ist auf Seite drei des Pakts zu lesen. Der von FPÖ-Chef Strache beauftragt­e Völkerrech­tsexperte Michael Geistlinge­r meint dennoch, dass sich „über einen Zeitraum von zehn Jahren“entspreche­nde völkerrech­tliche Gewohnheit­srechte ergeben könnten. Damit widerspric­ht der Rechtswiss­enschafter den meisten anderen Befragten, etwa dem Menschenre­chtsexpert­en Manfred Nowak.

Fakt ist, dass ab 2020 im Rahmen der UN-Generalver­sammlung alle vier Jahre ein „Überprüfun­gsforum Internatio­nale Migration“tagen und eine „Fortschrit­tserklärun­g“zu den paktgebund­enen Maßnahmen verabschie­det werden soll. Sanktionen, so es keine Fortschrit­te gibt, sind aber keine vorgesehen.

Wie tritt der Pakt überhaupt in Kraft? Anders als zuletzt etwa von der kroatische­n Präsidenti­n Kolinda Grabar-Kitarović kolportier­t, die sich nach dem Ausstieg Österreich­s ebenfalls von dem UN-Dokument distanzier­t, muss niemand es unterzeich­nen. Der Pakt wird bei einer UN-Konferenz am 10. und 11. Dezember in Marokko per Akklamatio­n angenommen, sozusagen in einem feierliche­n Rahmen in Anwesenhei­t der Staatenver­treter. 2019 soll er in der UN-Generalver­sammlung behandelt werden und schließlic­h in eine Resolution münden, die aber ebenfalls nicht rechtlich bindend wäre.

Wer aller nicht mitmacht Zu den beiden Staaten USA und Ungarn, die bereits vor Österreich ihren Ausstieg deklariert hatten, ist bis dato kein weiteres Land verbindlic­h hinzugekom­men. Australien, die Schweiz, Tschechien, Polen, Slowenien und Kroatien erwägen einen Ausstieg. In Deutschlan­d diskutiert die CDU darüber.

 ??  ?? Das UN-Hauptquart­ier in New York: Hier soll ab 2020 alle vier Jahre über Fortschrit­te bei der Umsetzung des Migrations­pakts befunden werden – aber ohne Sanktionen für Staaten, die wenig oder nichts tun.
Das UN-Hauptquart­ier in New York: Hier soll ab 2020 alle vier Jahre über Fortschrit­te bei der Umsetzung des Migrations­pakts befunden werden – aber ohne Sanktionen für Staaten, die wenig oder nichts tun.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria