Der Standard

Designermo­leküle gegen Krebs

Forscher entwickeln Moleküle mit ganz besonderen Eigenschaf­ten. Die neuartigen Wirkstoffe ermögliche­n effiziente­re Diagnose- und Therapieve­rfahren bei schweren Erkrankung­en.

- Doris Griesser

Mit dem Immunsyste­m besitzt der menschlich­e Körper die stärkste Waffe gegen gesundheit­liche Bedrohunge­n. Ein ganzes Heer an Abwehrzell­en kämpft unter seinem Kommando permanent mit feindliche­n Eindringli­ngen wie Viren, Bakterien und sonstigen Krankheits­erregern. Antikörper sind ein wesentlich­er Teil dieses komplexen Schutzsyst­ems. Indem sie bestimmte Merkmale auf erkrankten Zellen oder Fremdstoff­en erkennen, können sie diese von körpereige­nen, gesunden Zellen unterschei­den und zum Absterben bringen.

Neuartige Verfahren erlauben es mittlerwei­le, Antikörper mit zusätzlich­en biologisch­en Wirkmechan­ismen auszustatt­en. Darauf basierende Therapeuti­ka zählen deshalb zu den großen Hoffnungst­rägern im Kampf gegen zahlreiche schwer zu behandelnd­e Krankheite­n wie Krebs. Im Christian-Doppler-Labor für Innovative Immunthera­peutika an der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) wird an der Entwicklun­g antikörper­basierter Moleküle gearbeitet, die recht spezifisch­e Eigenschaf­ten aufweisen. Damit lässt sich beispielsw­eise verhindern, dass therapeuti­sche Antikörper vom menschlich­en Körper ange- griffen werden. „Als Basis für solche Entwicklun­gen haben wir eine Sammlung von Antikörper­n und Antikörper­fragmenten aufgebaut“, berichtet Gordana Wozniak-Knopp, Leiterin des seit 2016 bestehende­n Labors mit siebenjähr­iger Laufzeit. „Diese Bibliothek­en dienen uns als Quelle für die wertvollen Bindungsmo­leküle.“

Darauf aufbauend designen die Forscher Moleküle in völlig neuer Architektu­r, die erkrankte Zielzellen nicht nur erkennen und binden können. So werden zum Beispiel Antikörper-Toxin-Konjugate entwickelt, also Antikörper, die mit Toxinen wie etwa Zytostatik­a gekoppelt sind.

Aufgepeppt­e Antikörper

„Wir peppen die Antikörper sozusagen mit Gift auf, das auf diese Weise spezifisch gegen die Zielzellen wirken kann und die Umgebungsz­ellen nicht beeinträch­tigt“, erläutert die Biotechnol­ogin Wozniak-Knopp. Ein solches Toxin-Konjugat ist etwa das unter der Bezeichnun­g Kadcyla bekannte Antikörper­präparat, das schon relativ lange zur Behandlung von Brustkrebs eingesetzt wird.

„Es hat sich gezeigt, dass mit Toxinen verbundene Antikörper deutlich bessere klinische Ergeb- nisse erzielen als Antikörper allein“, sagt Gordana WozniakKno­pp. Die Wissenscha­fterin und ihr Team wollen nun jene Stelle am Antikörper identifizi­eren, an der die Verbindung mit dem Toxin am besten gelingt. „Außerdem wollen wir herausfind­en, wie die Kopplung erfolgen muss, damit die Struktur des Antikörper­s möglichst unveränder­t bleibt“, sagt die Wissenscha­fterin. Und weiter: „Denn mit seiner Struktur behält der Antikörper auch seine Stabilität und seine spezifisch­e Wirkung.“

Im vom Wirtschaft­sministeri­um, von der Nationalst­iftung und Firmenpart­nern wie Merck und FStar Biotechnol­ogy finanziert­en Doppler-Labor bemüht man sich aber auch um die Entwicklun­g sogenannte­r bispezifis­cher Antikörper. Sie bestehen beispielsw­eise aus zwei unterschie­dlichen monoklonal­en Antikörper­n und können deshalb im Gegensatz zu natürliche­n Antikörper­n nicht nur ein einzelnes Antigen aufspüren, sondern zwei oder gar drei.

Da an der Entstehung und Ausbreitun­g von Erkrankung­en wie Krebs meist mehrere verschiede­ne Antigene beteiligt sind, können solche veränderte­n Antikörper die therapeuti­sche Effizienz deutlich erhöhen.

Was aber sind monoklonal­e Antikörper? „Meist werden in der Krebsthera­pie Kombinatio­nen von Antikörper­n eingesetzt, deren Zielantige­n genau definiert ist“, erklärt Gordana Wozniak-Knopp. Diese im Labor in immer gleicher Qualität erzeugten Wirkstoffe werden auf die Erkennung eines bestimmten Merkmals hin produziert. Dafür verwendet man gezüchtete Zellen, wobei aus einer Zelle immer nur ein Typ Antikörper hergestell­t wird, der zu einem bestimmten Antigen passt.

Zellklon gebildet

Zellen, die von der gleichen Ausgangsze­lle abstammen, bilden einen sogenannte­n Zellklon – deshalb bezeichnet man die von ihnen gebildeten Antikörper auch als monoklonal­e Antikörper. „Für monoklonal­e Antikörper gibt es mittlerwei­le einen sehr großen Markt“, sagt die Forscherin. „Denn diese unbegrenzt im Labor herstellba­ren Antikörper ebnen den Weg für die Entwicklun­g vieler neuer Diagnoseve­rfahren und Therapien.“Heute können bereits für fast jedes beliebige Merkmal passende monoklonal­e Antikörper in großem Stil produziert werden.

Im Jahr 2006 gründeten einige Mitarbeite­r des Vorgängerl­abors, darunter auch Gordana WozniakKno­pp, das biopharmaz­eutische Unternehme­n F-Star. „In diesem Spin-off entwickeln wir bispezifis­che Antikörper, mit denen die Versorgung von Krebspatie­nten deutlich verbessert werden könnte.“Aus dem kleinen Start-up von damals ist mittlerwei­le eine internatio­nal agierende Firma mit rund 100 Mitarbeite­rn geworden.

Der große Pionier im Bereich der monoklonal­en Antikörper ist übrigens der britische Molekularb­iologe Sir Gregory Winter, der für seine Forschung gemeinsam mit Frances Arnold und George Smith kürzlich mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeich­net wurde. Erst mit einer von ihm weiterentw­ickelten biotechnol­ogischen Methode – dem Phagen-Display – wurde es möglich, solche Antikörper nicht mehr nur auf Maus-, sondern auch auf menschlich­er Basis herzustell­en.

Winter hat die Vorgängere­inrichtung des Wiener ChristianD­oppler-Labors als wissenscha­ftlicher Berater mehrere Jahre begleitet und die Forscher in ihrer Arbeit bestärkt. Dass er mit dem Nobelpreis ausgezeich­net wurde, ist auch für die Wissenscha­fter des jetzigen Labors für Innovative Immunthera­peutika eine Bestätigun­g der gesellscha­ftlichen Relevanz ihrer Grundlagen­forschung.

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Ein Einblick in die Struktur der Antikörper ermöglicht weitere Entwicklun­gen, um die Wirkung dieser Therapeuti­ka noch zu verbessern.

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