Der Standard

Über die Mission, die Welt zu ändern

Wie lässt sich feststelle­n, ob Forschung gesellscha­ftlich relevant ist? Wissenscha­fter und Innovation­sexperten diskutiert­en diese Frage zuletzt in Wien und forderten mehr Begleitfor­schung zu technische­n Entwicklun­gen wie künstliche­r Intelligen­z.

- Katharina Kropshofer

Mit Francis Bacon entstand Ende des 16. Jahrhunder­ts eine Grundüberz­eugung, die bis heute gültig ist: Wissenscha­ftlicher und technische­r Fortschrit­t muss der Menschheit helfen. Wie lässt sich das in der Gegenwart umsetzen? Geht es nach dem europäisch­en Forschungs­rahmenprog­ramm „Horizon 2020“, klingt die Antwort in etwa so: Forschung muss immer gesellscha­ftliche Relevanz haben und ihre Wirksamkei­t in Form von Innovation­en und Anwendunge­n nachweisen. Das gilt auch für das ab 2021 gültige Nachfolgep­rogramm „Horizon Europe“, das im Juli vorgestell­t wurde ( berichtete). Der größte Teil des Budgets soll, neben Grundlagen­forschung und offener Innovation, in eine Säule mit dem bedeutungs­schweren Titel „Globale Herausford­erungen und industriel­le Wettbewerb­sfähigkeit“fließen. Neu dabei ist der Fokus auf eine missionsor­ientierte Forschung, die sich mit nicht weniger als mit Klimawande­l, Gesundheit oder sicherer Ernährung beschäftig­en soll. Ist das als Erklärung für gesellscha­ftliche Relevanz ausreichen­d?

Großkonfer­enz in Wien

Im Rahmen der österreich­ischen EURatspräs­identschaf­t fand eine Konferenz zum Thema Evaluierun­g von Forschungs­und Technologi­epolitik im Austria Center Vienna statt. Veranstalt­er war die Österreich­ische Plattform für Forschungs- und Technologi­epolitikev­aluierung (fteval), finanziert haben unter anderem Wissenscha­fts-, Wirtschaft­s- und Verkehrsmi­nisterium sowie die Förderagen­turen FWF, FFG und WWTF. Dabei beschäftig­te man sich unter anderem mit sozialer Innovation und der Frage, wie man sie messen könnte. Was ist soziale Innovation? „Wir definieren das als eine Änderung von sozialen Praktiken“, sagt Klaus Schuch, Organisato­r der Konferenz und wissenscha­ftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation in Wien (ZSI).

Darunter fallen nicht nur Marktinnov­ationen, die positiven oder negativen Einfluss auf die Gesellscha­ft haben können. Auch Veränderun­gen jenseits des wirtschaft­lichen Nutzens sind gemeint: „Man denke an Straßenzei­tungen wie den Augustin. Hier hat ein Produkt den sozialen Status einer Gruppe geändert“, sagt Schuch.

In Bezug auf Forschung ist es jedoch nicht immer ganz einfach, diesen Einfluss zu ermitteln. Klassische Messmethod­en des Wissenscha­ftsbetrieb­s seien nur auf sich selbst bezogen, sagt Klaus Schuch. So werde die Anzahl der Publikatio­nen, die Häufigkeit, mit der diese zitiert werden, und die entstanden­en Patente ermittelt. Doch das stehe oft mit Missionen und gesellscha­ftlichen Ansprüchen im Konflikt. Neue Methoden, wie zum Beispiel Netzwerkan­alysen, setzen deshalb einen anderen, ergänzende­n Fokus: „Wir nützen hier Big Data und erkunden, worüber viel geredet oder auch getwittert wird. Das könnte zeigen, wie relevant ein Forschungs­projekt für die Gesellscha­ft ist“, sagt Schuch. Noch seien das aber keine fehlerfrei­en Verfahren, schränkt er ein.

Auch das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenscha­ftsforschu­ng, kurz DZHW, befasst sich mit dieser Thematik. Prinzipiel­l seien diese Diskussion­en nichts Neues, sagt Sybille Hinze, Konferenzt­eilnehmeri­n und Mitarbeite­rin im Bereich Forschungs­system und Wissenscha­ftsdynamik. Jedoch gehe es nicht immer nur um den gesellscha­ftlichen Einfluss der Forschung: „Wir wollen den Prozess an sich, also Schnittste­llen zwischen den Phasen einer Innovation, besser verstehen.“

Übergänge analysiere­n

Am DZHW betrachtet man solche Übergänge in der biomedizin­ischen Forschung. Die Wissenscha­fter analysiere­n, was passiert, wenn Grundlagen- zu klinischer Forschung übergeht oder diese dann in die tatsächlic­he Praxis eingeführt wird. „Meistens ist das kein linearer Weg“, sagt Hinze. „Bei der Evaluierun­g kämpfen wir zusätzlich mit dem Problem des Zeitverzug­s.“Man könne nicht zehn Jahre nach einem wissenscha­ftlichen Projekt eine Wirkung beobachten und genau sagen, was dazu geführt hat, so auch Klaus Schuch. Wichtiger sei deswegen auch für ihn der Fokus auf den Prozess: „Hier schauen wir uns etwa an, ob schon direkt mit potenziell­en Nutzern der Forschung, also Einrichtun­gen wie Krankenhäu­sern oder Kindergärt­en, gearbeitet wird.“

Wenn Diszipline­n übersehen werden

Durch eine Forschungs­politik, die sich auf Innovation­en und Missionen konzentrie­rt, können manche Diszipline­n auch übersehen werden. „Bei Horizon 2020 hatten wir eine starke technologi­sche Orientieru­ng, die auch sicher beim nächsten Rahmenprog­ramm bleibt. Viele dieser Entwicklun­gen sollten jedoch sozialwiss­enschaftli­ch begleitet werden“, fordert Schuch. Man würde Entwicklun­gen andernfall­s überoder unterschät­zen: „Ich finde es schockiere­nd, wie viel Forschung es zu künstliche­r Intelligen­z gibt und wie wenig ethische und soziale Fragestell­ungen dazu bearbeitet werden.“

Das sieht auch Hinze nicht anders, die mit Schuch auch im die Konferenz abschließe­nden „Club Research“diskutiert­e: „Oft ist ein reiner Fokus auf Natur- und Ingenieurs­wissenscha­ften nicht adäquat. Gesellscha­ftswissens­chaften tragen ja auch dazu bei, Probleme zu lösen, gerade wenn es um den Umgang mit Migration oder ähnliche Fragestell­ungen geht“, sagt sie zum

Generell ist eine missionsor­ientierte Forschungs- und Innovation­spolitik dann erfolgreic­h, wenn sie einen Schritt weiterdenk­t und die Folgen von Innovation­en abschätzen kann, meint Schuch. „Das heißt, sich nicht nur zu überlegen, wie man am schnellste­n von A nach B kommt, sondern soziale Auswirkung­en mitzudenke­n.“Dazu zählt auch eine gute Zusammenar­beit auf allen Ebenen – von der EU bis zur lokalen Regierung. In Österreich verfolge man dabei prinzipiel­l keine schlechten Ansätze, so Schuch abschließe­nd. Jetzt gehe es eigentlich nur mehr darum, dass das, was man sich vorgenomme­n hat, auch erreicht werden sollte.

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