Über die Mission, die Welt zu ändern
Wie lässt sich feststellen, ob Forschung gesellschaftlich relevant ist? Wissenschafter und Innovationsexperten diskutierten diese Frage zuletzt in Wien und forderten mehr Begleitforschung zu technischen Entwicklungen wie künstlicher Intelligenz.
Mit Francis Bacon entstand Ende des 16. Jahrhunderts eine Grundüberzeugung, die bis heute gültig ist: Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt muss der Menschheit helfen. Wie lässt sich das in der Gegenwart umsetzen? Geht es nach dem europäischen Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“, klingt die Antwort in etwa so: Forschung muss immer gesellschaftliche Relevanz haben und ihre Wirksamkeit in Form von Innovationen und Anwendungen nachweisen. Das gilt auch für das ab 2021 gültige Nachfolgeprogramm „Horizon Europe“, das im Juli vorgestellt wurde ( berichtete). Der größte Teil des Budgets soll, neben Grundlagenforschung und offener Innovation, in eine Säule mit dem bedeutungsschweren Titel „Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit“fließen. Neu dabei ist der Fokus auf eine missionsorientierte Forschung, die sich mit nicht weniger als mit Klimawandel, Gesundheit oder sicherer Ernährung beschäftigen soll. Ist das als Erklärung für gesellschaftliche Relevanz ausreichend?
Großkonferenz in Wien
Im Rahmen der österreichischen EURatspräsidentschaft fand eine Konferenz zum Thema Evaluierung von Forschungsund Technologiepolitik im Austria Center Vienna statt. Veranstalter war die Österreichische Plattform für Forschungs- und Technologiepolitikevaluierung (fteval), finanziert haben unter anderem Wissenschafts-, Wirtschafts- und Verkehrsministerium sowie die Förderagenturen FWF, FFG und WWTF. Dabei beschäftigte man sich unter anderem mit sozialer Innovation und der Frage, wie man sie messen könnte. Was ist soziale Innovation? „Wir definieren das als eine Änderung von sozialen Praktiken“, sagt Klaus Schuch, Organisator der Konferenz und wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation in Wien (ZSI).
Darunter fallen nicht nur Marktinnovationen, die positiven oder negativen Einfluss auf die Gesellschaft haben können. Auch Veränderungen jenseits des wirtschaftlichen Nutzens sind gemeint: „Man denke an Straßenzeitungen wie den Augustin. Hier hat ein Produkt den sozialen Status einer Gruppe geändert“, sagt Schuch.
In Bezug auf Forschung ist es jedoch nicht immer ganz einfach, diesen Einfluss zu ermitteln. Klassische Messmethoden des Wissenschaftsbetriebs seien nur auf sich selbst bezogen, sagt Klaus Schuch. So werde die Anzahl der Publikationen, die Häufigkeit, mit der diese zitiert werden, und die entstandenen Patente ermittelt. Doch das stehe oft mit Missionen und gesellschaftlichen Ansprüchen im Konflikt. Neue Methoden, wie zum Beispiel Netzwerkanalysen, setzen deshalb einen anderen, ergänzenden Fokus: „Wir nützen hier Big Data und erkunden, worüber viel geredet oder auch getwittert wird. Das könnte zeigen, wie relevant ein Forschungsprojekt für die Gesellschaft ist“, sagt Schuch. Noch seien das aber keine fehlerfreien Verfahren, schränkt er ein.
Auch das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, kurz DZHW, befasst sich mit dieser Thematik. Prinzipiell seien diese Diskussionen nichts Neues, sagt Sybille Hinze, Konferenzteilnehmerin und Mitarbeiterin im Bereich Forschungssystem und Wissenschaftsdynamik. Jedoch gehe es nicht immer nur um den gesellschaftlichen Einfluss der Forschung: „Wir wollen den Prozess an sich, also Schnittstellen zwischen den Phasen einer Innovation, besser verstehen.“
Übergänge analysieren
Am DZHW betrachtet man solche Übergänge in der biomedizinischen Forschung. Die Wissenschafter analysieren, was passiert, wenn Grundlagen- zu klinischer Forschung übergeht oder diese dann in die tatsächliche Praxis eingeführt wird. „Meistens ist das kein linearer Weg“, sagt Hinze. „Bei der Evaluierung kämpfen wir zusätzlich mit dem Problem des Zeitverzugs.“Man könne nicht zehn Jahre nach einem wissenschaftlichen Projekt eine Wirkung beobachten und genau sagen, was dazu geführt hat, so auch Klaus Schuch. Wichtiger sei deswegen auch für ihn der Fokus auf den Prozess: „Hier schauen wir uns etwa an, ob schon direkt mit potenziellen Nutzern der Forschung, also Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Kindergärten, gearbeitet wird.“
Wenn Disziplinen übersehen werden
Durch eine Forschungspolitik, die sich auf Innovationen und Missionen konzentriert, können manche Disziplinen auch übersehen werden. „Bei Horizon 2020 hatten wir eine starke technologische Orientierung, die auch sicher beim nächsten Rahmenprogramm bleibt. Viele dieser Entwicklungen sollten jedoch sozialwissenschaftlich begleitet werden“, fordert Schuch. Man würde Entwicklungen andernfalls überoder unterschätzen: „Ich finde es schockierend, wie viel Forschung es zu künstlicher Intelligenz gibt und wie wenig ethische und soziale Fragestellungen dazu bearbeitet werden.“
Das sieht auch Hinze nicht anders, die mit Schuch auch im die Konferenz abschließenden „Club Research“diskutierte: „Oft ist ein reiner Fokus auf Natur- und Ingenieurswissenschaften nicht adäquat. Gesellschaftswissenschaften tragen ja auch dazu bei, Probleme zu lösen, gerade wenn es um den Umgang mit Migration oder ähnliche Fragestellungen geht“, sagt sie zum
Generell ist eine missionsorientierte Forschungs- und Innovationspolitik dann erfolgreich, wenn sie einen Schritt weiterdenkt und die Folgen von Innovationen abschätzen kann, meint Schuch. „Das heißt, sich nicht nur zu überlegen, wie man am schnellsten von A nach B kommt, sondern soziale Auswirkungen mitzudenken.“Dazu zählt auch eine gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen – von der EU bis zur lokalen Regierung. In Österreich verfolge man dabei prinzipiell keine schlechten Ansätze, so Schuch abschließend. Jetzt gehe es eigentlich nur mehr darum, dass das, was man sich vorgenommen hat, auch erreicht werden sollte.