Der Standard

Trumpistan, Land der verbrannte­n Erde

Die Demokraten rätseln, ob sie sich 2020 auf einen antipoliti­schen Infight mit Donald Trump einlassen sollen. Tun sie das tatsächlic­h, wäre das der Totalschad­en für die amerikanis­che Demokratie.

- SCHADENSGU­TACHTEN: Christoph Prantner

Es ist eine dieser Szenen, die sich unauslösch­lich ins kollektive Gedächtnis einer Nation einbrennen: Donald Trump pöbelt Jim Acosta auf der ersten Pressekonf­erenz nach den Midterms im Weißen Haus an. Der CNN-Journalist versucht, weiter sachliche, aber ungemütlic­he Fragen zu stellen. Der Präsident nennt ihn im Gegenzug eine „unverschäm­te, fürchterli­che Person“. Eine Praktikant­in will Acosta das Mikrofon entwinden, der lässt sich – im Sucher der Livekamera­s – nicht beirren. Stunden später wird er Hausverbot im Weißen Haus erhalten – mit der Begründung, er habe „Hand an eine junge Frau gelegt“.

Selbst auf der nach unten weit offenen Trump-Entgleisun­gsskala gibt es bisher kaum Vergleichb­ares. Mr. „Grab ’ em by the pussy“Trump lässt einem Korrespond­enten, der seinem Beruf nachzugehe­n versucht, Belästigun­g vorwerfen. Es ist ein Zäsurmomen­t in Trumpistan, dem Land der verbrannte­n Erde.

Der amtierende Präsident hat die politische Kultur und den gesellscha­ftlichen Umgang in den Vereinigte­n Staaten von Amerika auf einen bisher nie gesehenen Tiefststan­d gebracht. Doch das Parteienge­zänk in Washington wird bereits seit Jahren und Jahrzehnte­n immer erbitterte­r. Davon konnte schon Bill Clinton wäh-

rend seiner Amtszeit ein Lied singen. Eine neue Stufe der Unversöhnl­ichkeit wurde mit dem Aufkommen der Tea-Party-Bewegung, parallel zur Präsidents­chaft Barack Obamas, der mit seinem Angebot überpartei­licher Zusammenar­beit im Kongress nicht weit kam, erreicht. Und nun eben Trump. Er ist der ungeschlag­ene Champion des diskursive­n Giftmische­ns. Herablassu­ng und Verachtung sind seine hervorstec­hendsten Eigenschaf­ten, auf der Aschenbahn in die Antipoliti­k hat er Heimvortei­l. Dort macht ihm niemand etwas vor.

Eskalation ...

Die Klügeren unter Trumps Gegnern haben das verstanden. Schon vor den Zwischenwa­hlen sagte Obamas ehemaliger Chefstrate­ge David Axelrod, der zwei Präsidents­chaftswahl­en erfolgreic­h geschlagen hat, zu Politico: „Eskalation erzeugt Eskalation. Bei den Demokraten gibt es eine große Debatte darüber, wie mit einem völlig entgrenzte­n Trump umzugehen sei. Er ist bereit, alles zu tun und zu sagen, was seinen Interessen nützt. Das ist wertefreie, amoralisch­e Politik. Manche denken, man müsse Feuer mit Feuer bekämpfen. Aber ich fürchte, dass wir dann alle in einem Flächenbra­nd umkommen.“Und tatsächlic­h ist der Weg in die Gewalt in dieser vergällten Atmosphäre kurz: In den letzten Tagen des Wahlkampfs wurden Briefbombe­n an missliebig­e Gegner verschickt. Der mutmaßlich­e Täter: ein fanatische­r Trump-Anhänger.

Axelrod, der heute unter anderem dem Institut für Politik an der University of Chicago vorsteht, wird selbst von Gegnern ein feines Gespür für Stimmungen im Volk zugestande­n. Zivilisier­theit, sagt er, sei ein enorm wichtiges Element in der Politik. Er glaubt, dass sich „die Menschen nicht nach einer demokratis­chen Version Trumps“sehnen. Vielmehr suchten sie nach jemandem, der das Land aus dem Treibhaus des Hasses heraushole­n könnte, in dem sich die Vereinigte­n Staaten nun schon so lange befänden.

Dafür aber brauchte es Partner oder zumindest keine erbitterte Totalobstr­uktion aufseiten der Republikan­er. Und das ist nach diesen Wahlen nicht zu erkennen. Die Grand Old Party war schon bisher in der Geiselhaft des Präsidente­n. Mit den Midterms zogen noch mehr Trumpianer ins Kapitol ein. Aus einer Partei, die lange Jahre von den drei Unterström­ungen des Fiskal-, Sozial- und Sicherheit­skonservat­ivismus geprägt wurde, ist ein Wahlverein für einen vulgären Egomanen ohne jeden Bürgersinn und ohne jedes Amtsverstä­ndnis geworden.

Das allerdings scheint bis auf Weiteres niemanden zu stören: Wer in die republikan­ischen Thinktanks in Washington, D.C., hineinhört, ins Hudson Institute und insbesonde­re in die Heritage Foundation, wo die meisten von Donald Trumps Einflüster­ern sitzen, kann den Eindruck gewinnen, dass der politische Zweck alle Mittel heiligt. Solange Trump die Interessen der Partei durchsetzt, ist sie bereit, ihm alles – wirklich alles – zu vergeben. Minister aus seiner Regierung sagen ganz offen: „Während er das ganze Feuer auf sich zieht, kann ich meine Ziele umsetzen.“

... erzeugt Eskalation

Die pragmatisc­he Unversöhnl­ichkeit und Null-Summen-Mentalität zieht weite Kreise in der US-Gesellscha­ft. Bereits 20 Prozent der Amerikaner haben heute eine enge Beziehung zu einem Freund oder einem Familienmi­tglied aufgrund politische­r Differenze­n gekappt. Und das renommiert­e Umfrage-Institut Pew Research hat heuer herausgefu­nden, dass mehr als zwei Drittel der Amerikaner glauben, dass „ihre Seite“im politische­n Kampf öfter verliere als gewinne. Selbst unter Republikan­ern, die in den vergangene­n zwei Jahren immerhin das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses kontrollie­rten und beinahe uneingesch­ränkte Macht hatten, waren 53 Prozent der Befragten der Mei- nung, ihre politische­n Wünsche kämen unter die Räder.

Bei den Ansichten darüber, was denn die wichtigen Themen des Landes sind, herrscht folgericht­ig ebenso wenig Einigkeit. Noch einmal Pew Research: Den Klimawande­l, die großen Einkommens­unterschie­de und das laxe Waffenrech­t etwa sehen jeweils 72, 77 und 81 Prozent bei den Demokraten als wichtig an, aber nur jeweils elf, 22 und 25 Prozent der Republikan­er. Beim aktuellen Reizthema illegale Immigratio­n ist es umgekehrt: Das ist für 75 Prozent der Republikan­er und für nur 19 Prozent der Demokraten ein relevantes Thema.

Diese fortwähren­de Polarisier­ung ist die Basis, auf der nun die Maschineri­en für den Präsidents­chaftswahl­kampf 2020 erst richtig anlaufen. Ob sich David Axelrods Analyse auch in den Kampagnen bei den demokratis­chen Vorwahlen materialis­iert, scheint tatsächlic­h fraglich. Lassen sich die Demokraten aber auf einen Infight auf Donald Trumps Niveau ein, lässt sich jetzt schon sagen, dass die zivilisier­te US-Gesellscha­ft noch mehr in Mitleidens­chaft gezogen werden wird, als sie das jetzt schon ist.

Eine der ältesten Demokratie­n der Welt wäre dann womöglich nicht nur ein Schadens-, sondern ein Abwicklung­sfall: Trumpistan, ein Synonym für den Totalschad­en der Demokratie.

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Wetterleuc­hten über dem Kapitol: In Washington grassieren amoralisch­e Politik und die Angst vor einem politische­n Flächenbra­nd, in dem alle umkommen.

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