Der Standard

Einig nur im Gedenken

Die Europäer erinnern sich am Sonntag an das Ende des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren. Für eine gemeinsame Verteidigu­ng oder gar eine gemeinsame Armee fehlt bis heute der politische Wille.

- Stefan Brändle aus Paris

Egal, ob sie Freund oder Feind waren: Spitzenpol­itiker aus sechzig Ländern gedenken am Wochenende in Paris des Waffenstil­lstandes vom 11. November 1918. Die Erzrivalen von damals, Deutschlan­d und Frankreich, zelebriere­n dabei die engste Entente: Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Emmanuel Macron treffen sich schon am Samstag in Compiègne, wo der Krieg per Federstric­h zu Ende ging.

Am Sonntag stößt die britische Premiermin­isterin Theresa May dazu. Sie wird flankiert von den zwei Hauptkontr­ahenten des Kalten Krieges, die in den Weltkriege­n Seite an Seite gekämpft hatten: US-Präsident Donald Trump und sein russischer Amtskolleg­e Wladimir Putin werden beim Pariser Triumphbog­en dem Grab des Unbekannte­n Soldaten huldigen.

Trump ausgenomme­n wird die Gästeschar später in der Pariser Villette-Halle an einem „Friedensfo­rum“teilnehmen – und alle werden vor den zunehmende­n internatio­nalen Spannungen warnen. „Auch in Europa ist die Liste der Bedrohunge­n lang“, erklärte die französisc­he Verteidigu­ngsministe­rin Florence Parly diese Woche vor Amtskolleg­en aus zehn EULändern. Macron nennt sogar mögliche Gegner: „Gegenüber Russland, das an unseren Grenzen steht und gezeigt hat, dass es sich bedrohlich verhalten kann, brauchen wir ein Europa, das sich selber und souveräner verteidige­n kann, ohne von den USA abzuhängen.“Das war auch auf Trumps Ankündigun­g gemünzt, das nukleare Mittelstre­ckenabkomm­en INF von 1987 – eine Pioniertat internatio­naler Abrüstung – aufkündige­n zu wollen.

Keine Souveränit­ät der EU

Macron schlägt deshalb die Bildung einer „wahren europäisch­en Armee“vor. Die Idee ist nicht neu – und bis heute nicht weit gediehen. In Berlin erntete der Vorschlag diese Woche höfliches Schweigen. Aber auch für Groß- britannien und Frankreich käme es nicht infrage, ihre Nuklearwaf­fenarsenal­e einer „europäisch­en Souveränit­ät“anzuvertra­uen, obwohl Macron diesen Begriff gerne in seiner Rede führt.

Voriges Jahr hatte Macron in einer vielbeacht­eten Rede an der Sorbonne eine „Europäisch­e Interventi­onsinitiat­ive“lanciert. Von Militärexp­erten E2I genannt, vereint sie heute zehn EU-Staaten. Ziele dieser noch zu bildenden Einsatztru­ppe sind vorerst Einsätze bei Naturkatas­trophen oder die Evakuierun­g von Zivilisten. Paris treibt das Projekt allerdings ziemlich allein voran. London möchte zwar nach dem Brexit die Militär- kooperatio­n mit Paris fortsetzen – aber natürlich nicht in einer gesamteuro­päischen Struktur. Die Deutschen wiederum würden lieber die Ständige Strukturie­rte Zusammenar­beit im Verteidigu­ngsbereich (Pesco) mit möglichst allen EU-Partnern stärken.

Die Franzosen spotten, dieser Verbund sei so bürokratis­ch, wie er klinge, und werde nie feldtaugli­ch sein. Die Deutschen verdächtig­en ihrerseits Paris, mit der E2I-Einsatztru­ppe die EU und das Nato-Oberkomman­do umgehen zu wollen. Die EU-Partner ziehen verteidigu­ngspolitis­ch auch hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg nicht am selben Strang.

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Vor den Pariser Feierlichk­eiten besuchten Macron und May ein Kriegsdenk­mal in Nordfrankr­eich.

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