Der Standard

Lawrow ist „unangenehm überrascht“

Russischer Außenminis­ter beklagt mangelnden Takt

- André Ballin aus Moskau

Russlands Außenminis­ter Sergej Lawrow zeigte sich am Freitag reichlich verärgert über das Bekanntwer­den der Spionageaf­färe. „Ehrlich gesagt hat mich die Informatio­n unangenehm überrascht“, sagte der russische Chefdiplom­at. Der Westen habe sich die Unart der „Lautsprech­erdiplomat­ie“angewöhnt, bemängelte der 68-Jährige. „Seit Jahrhunder­ten war es üblich, dass ein Land, das Sorgen oder Verdächtig­ungen gegenüber den Handlungen eines anderen Staats hat oder den Verdacht hegt, dass dieser an Prozessen beteiligt ist, die die staatliche Sicherheit bedrohen, direkt um Erklärunge­n bittet – in Übereinsti­mmung mit den Regeln der internatio­nalen Verständig­ung“, gab Lawrow Wien Nachhilfe in Diplomatie. Über den Fall selbst sei der russischen Regierung nichts bekannt.

Das russische Außenminis­terium hat, um seinen Standpunkt klar zu machen – spiegelgle­ich zum österreich­ischen Außenamt –, am Freitag Botschafte­r Johannes Aigner einbestell­t. Die Aussprache, in der Moskau Wien zu verstehen geben wollte, „welcher Methoden man sich bedient, wenn man Fragen an Russland hat“, dauerte eine halbe Stunde.

Sorge um Achse mit Wien

Die gereizte Reaktion Moskaus auf die Agentenaff­äre in Wien erklärt sich aus der Vielzahl von Spionagesk­andalen in der jüngsten Vergangenh­eit: Heuer haben so bereits Polen, die Niederland­e, die Schweiz und Griechenla­nd Vorwürfe dieser Art gegen Moskau erhoben. Der Kreml bewertete die Anschuldig­ungen wie auch die Vorwürfe einer Beteiligun­g an der Vergiftung des übergelauf­enen Agenten Sergej Skripal in Großbritan­nien als Kampagne. Die Sprecherin des russischen Außenminis­teriums, Maria Sacharowa, diagnostiz­ierte „Russophobi­e und Spionomani­e“innerhalb der westlichen Eliten.

Trotzdem wird der aktuelle Fall in Moskau als besonders fatal bewertet. Der Kreml weiß, dass in Wien eine der russlandfr­eundlichst­en Regierunge­n der EU sitzt. Nachdem bereits Griechenla­nd vergrätzt wurde, sind die Aussichten auf eine Abmilderun­g der EUSanktion­en gegen Russland durch die Affäre massiv gesunken.

Während konservati­ve Zeitungen in Moskau hinter dem Skandal einen anderen ausländisc­hen Geheimdien­st wittern, der die Achse Moskau-Wien brechen wolle, regt sich in einigen Medien auch der Unmut gegen den Armeegehei­mdienst GRU – hat dieser doch inzwischen eine ganze Reihe von Fehlschläg­en zu verantwort­en, die das Image Russlands im Ausland nachhaltig beeinträch­tigt haben. Damit gerät auch Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu unter Druck.

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