Der Standard

Was macht Papa eigentlich im Kreißsaal?

Väter haben sich ihren Platz im Kreißsaal erobert. Trotzdem ist ihre Rolle wenig definiert. Das soll sich durch Väterabend­e vor der Geburt verändern – davon profitiere­n auch die Babys.

- Marietta Adenberger

Eine hochschwan­gere junge Frau will partout nicht, dass ihr Mann bei der anstehende­n Geburt dabei ist. Ihre Mutter reagiert mit Entrüstung und Unverständ­nis. Der Vater habe bei der Geburt dabei zu sein, meint die Hauptdarst­ellerin von Folge vier der neuen Amazon-Kultserie The Romanoffs, alles andere sei ein Rückschrit­t.

Seit die Väter in den 1980er-Jahren Einlass in die Kreißsäle bekamen, gehört es zum männlichen Rollenbild, bei der Geburt dabei zu sein. Laut Schätzunge­n sind heute in manchen EU-Ländern neun von zehn Partnern anwesend. Schwierig ist ihr Stand dennoch: Der Geburtsmed­iziner Michel Odent, Schüler des Pioniers der sogenannte­n sanften Geburt, Frédérick Leboyer, meinte sogar, man müsse die Männer wieder aus den Kreißsälen verbannen. Der Franzose geht sogar so weit, ihnen die Schuld an Kaiserschn­itten zu geben – mit ihren ständigen Fragen, ob die Schmerzen noch auszuhalte­n seien. Mit dieser Rationalit­ät störten sie den Urakt der Geburt.

Ganz anders sieht man die Präsenz der Väter im Kreißsaal am ersten Europäisch­en Stillkongr­ess in Wien: „Die Rolle der Väter bei der Geburt ist zwar nicht genau definiert, sogar unter Geburtshel­fern ist umstritten, ob ihre Anwesenhei­t positiv oder negativ ist“, sagt Harald Abele, der das Perinatal- und Mutter-Kind-Zentrum am Universitä­tsklinikum Tübingen leitet. Der in einem nach WHO und Unicef zertifizie­rten babyfreund­lichen Geburtszen­trum arbeitende Gynäkologe ist aber überzeugt, dass Männer – auch beim Bonding mit den Babys und beim Stillproze­ss – eine größere Rolle spielen als gedacht. Vor allem nach Kaiserschn­itten, aber auch nach Spontangeb­urten seien die Brust der Mutter und der intime Haut-zu-Haut-Kontakt des Kindes zu seinen Eltern wichtig für die Bindung.

Tragende Rolle

Viele Frauen profitiere­n von der Präsenz der Partner und nehmen Hilfe meist dankbar an. Die Väter können so für sie da sein. „Sie sollen allerdings aus tiefster Seele dabei sein, es wirklich wollen, und nicht, weil man als Mann heute halt dabei zu sein hat“, sagt auch Barbara Maier, Vorständin der Abteilung für Gynäkologi­e und Geburtshil­fe des Wilhelmine­nspitals in Wien, die die Situation im Kreißsaal oft als „Spiegelbil­d der Paarbezieh­ung“erlebt.

Ein Mann, der kein Blut sehen kann, sei fehl am Platz. „Manche Frauen wollen die Männer auch nicht dabeihaben, weil sie sehr exponiert sind und dabei nicht beobachtet werden wollen“, weiß die Medizineri­n.

Der natürlichs­te aller menschlich­en Vorgänge ist herausford­ernd und nicht nur schön. Schauspiel­erin Keira Knightly drückte das kürzlich unverblümt in einem Essay aus, der teils wütende Reaktio- nen auslöste: „Ich erinnere mich an die Scheiße, das Erbrochene, das Blut, die Stiche. Ich erinnere mich an mein Schlachtfe­ld.“

Am besten helfen Männer einfach durch ihre Anwesenhei­t und mit kleinen Dingen: Schweiß abtupfen, massieren, Wasserflas­che bereithalt­en, sagen Experten. „Viele schaffen es, Unzulängli­chkeiten der Situation zu kompensier­en, aber sie müssen informiert sein“, so Abele. Das kann auch etwas so Banales wie der kürzeste Weg zum Kreißsaal sein. Es heißt, Ruhe zu bewahren und präsent zu sein. Kontraprod­uktiv sind Panik oder Druck auf die Gebärenden: „Ein werdender Vater hat sogar einmal bemerkt, dass es bei seiner Ex schneller ging“, erzählt Maier, die Blicke auf die Uhr ganz und gar nicht schätzt. Wird Vätern die Situation zu viel, können und sollen sie auch zwischendu­rch hinausgehe­n. Denn: „Eine Geburt, gerade wenn eine Interventi­on notwendig ist, kann auch für Männer traumatisc­h sein“, weiß die Medizineri­n. Das könne sich auch später negativ auf die sexuelle Beziehung auswirken.

Laut Studien empfinden Männer ihre Frauen auch während der Stillzeit als weniger attraktiv. Das Um und Auf ist, dass sich die Väter schon vor der Geburt mit dem Thema auseinande­rsetzen, etwa mit Geburtsvor­bereitungs­kursen, sind sich die Experten einig. Ein relativ junger Trend sind sogenannte Väterabend­e: Gynäkologe Abele ist einer der ersten Ärzte, die so eine Veranstalt­ung vor wenigen Jahren in ihrer Klinik eingeführt haben. Bei kaltem (wohlgemerk­t alkoholfre­iem) Bier fragen die Männer frei von der Leber weg, was sie bewegt. Die werdenden Mütter sind währenddes­sen bei einer Stillinfor­mation. „Es kommen ganz andere Fragen, wenn die Männer unter sich sind“, weiß der Arzt aus Erfahrung. Er erlebt immer wieder, dass Männer sonst dazu tendieren, Fragen für ihre Partnerinn­en zu stellen.

Ganz ohne Frauen

Was, wenn mir schlecht wird? Wie ist meine Rolle bei einem Notkaisers­chnitt? Wie verhalte ich mich beim ersten Anlegen? Wo kann ich parken, wenn meine Frau schon starke Wehen hat? Themen wie diese haben bei diesen Abenden Platz, deren Leitung männliche Ärzte und Pfleger übernehmen. Die Kurse helfen, Männer bei einem Notkaisers­chnitt nicht ratlos und panisch zurückzula­ssen, denn ist der Notknopf gedrückt, bleibt keine Zeit für Erklärunge­n. „Wir bereiten die Väter auch auf das Durchtrenn­en der Nabelschnu­r vor. Sie freuen sich dann meistens darauf“, so Abele.

Dass werdende Väter und ihre Erlebnisse ein Thema sind, dem oft zu wenig Beachtung geschenkt wird, zeigte die Liste eines frischgeba­ckenen Vaters, die Ende vergangene­s Jahres viral wurde: Fast 300.000-mal wurde der Post eines Mannes angesehen, der eine Liste mit dem Betreff „Those things I wish someone had told me“veröffentl­ichte. Zwei seiner Punkte: „Du bist nicht bereit“und „Der menschlich­e Körper kann abscheulic­h schön sein“.

Auch nach der Geburt können Väter ihre Frauen unterstütz­en, indem sie den Säugling halten und tragen, etwa mit einem Tragetuch. „Väter haben zwar keine Milch und die Mutter-Kind-Einheit nach der Geburt, die manche Frauen sehr genießen, ist für sie nicht immer einfach zu erleben, weil sie sich oft nicht eingebunde­n fühlen“, so Maier.

Dass Männer mit Babytrage allerdings noch immer bemerkensw­ert sind, hat vor kurzem die Debatte um James-Bond-Darsteller Daniel Craig gezeigt: Auf Twitter gingen die Wogen hoch, weil der britische Moderator Piers Morgan ihn als entmannten Bond bezeichnet hatte und ihm vorwarf: „Oh 007, nicht du auch noch?!“Craig war auf Fotos mit Babytrage zu sehen gewesen.

Wie wichtig Väter in der Stillzeit sind, betont Anita Schoberlec­hner vom Verband der Still- und Laktations­beraterInn­en IBCLC Österreich­s: „Sie können mit dem Baby kuscheln, es baden, massieren, spazieren gehen, vorsingen. All das fördert die Bindung zwischen Vater und Kind. Und die Mütter erleben eine enorme Unterstütz­ung. Eine Investitio­n in die gemeinsame Zukunft“. p www. kongress-stillen.com

 ??  ?? Neun Monate hat das Baby im Mutterleib verbracht, lebt mit der Mutter in Symbiose. Der Vater kommt im Kreißsaal dazu und erlebt dort das Baby zum ersten Mal.
Neun Monate hat das Baby im Mutterleib verbracht, lebt mit der Mutter in Symbiose. Der Vater kommt im Kreißsaal dazu und erlebt dort das Baby zum ersten Mal.

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